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Hinter den Kulissen der Casting-Shows

"Die Casting-Gesellschaft" heißt eine Sammlung von Interviews mit Machern, Kritikern und Opfern der populären Casting Shows, die nicht etwa von Journalisten, sondern von Studierenden der Medienwissenschaft durchgeführt wurden.

Von Bettina Köster | 18.09.2010
    "Samstag, Sie alle haben einen Traum und sie lassen nichts unversucht. Klar bin ich hier der Boss. Manche üben, manche nicht.
    So was nennt man dann Unfähigkeit auf vier Beinen."

    Das Casting läuft und schon bald danach wird das Tribunal eröffnet – bei Deutschland sucht den Superstar. Wieder sitzen Millionen vor der heimischen Mattscheibe und warten auf vermeintliche Triumphe und Flops. Das, was sich zurzeit im Fernsehen wie im Internet abspielt, wird aber auch immer mehr Teil des realen Lebens, meint der Medienwissenschaftler Prof. Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen.

    " Aus dem Zwang zur Fremdinszenierung, der in den Casting-Formaten herrscht – Da ist eine Jury, die etwas will, die mit den Kandidaten in einer bestimmten Weise umgeht. Aus diesem Zwang und der Nötigung zur Fremdinszenierung wird in der Casting-Gesellschaft die Bereitschaft zur Selbstinszenierung. Also die Überlegung ist, dass die Regeln der medienförmigen Inszenierung gewissermaßen Teil unserer eigenen Mentalität, unserer intellektuellen Muskulatur werden."

    Um die Mechanismen, die mit dem Spiel um Aufmerksamkeit verbunden sind, auch für ein breiteres Publikum transparenter zu machen, setzte sich Pörksen mit seinen Studierenden das Ziel, die "Hinterbühne der Inszenierungen", wie er sagt, "auszuleuchten". Sie interviewten Akteure, Opfer und Beobachter der Casting-Gesellschaft – sprachen beispielsweise mit Imke Arntjen, der Besitzerin einer Castingagenur, die meint, dass Deutschland bald durchgecastet ist oder mit Prominenten und Opfer-Anwalt Christian Schertz . Die Studentin Alexandra Schaal interviewte Max Clifford den erfolgreichsten britischen PR-Strategen, den sie den Strippenzieher nannte.

    "Also, Max Clifford ist PR-Berater, er ist Publizist und auch PR-Agent und Manager. Ist in dieser Rolle einer der profiliertesten in diesem Gebiet in Groß-Britannien und hat von den Beatles bis Frank Sinatra schon einige wirkliche Schwergewichte betreut, aber eben auch den Casting Star Jade Goody, die eben auch öffentlich gestorben ist unter seiner Führung gewissermaßen."

    Jade Goody sei jedoch definitiv nicht benutzt worden von dem PR-Strategen Clifford, meint die Studentin. Die junge Britin habe die Medienaufmerksamkeit selber so gewollt. Sie wollte sich mit ihrer Krebserkrankung einem Massenpublikum zeigen, um damit Geld zu verdienen und das ihren Kindern zu hinterlassen. Clifford half ihr dabei. Das glaubt die Studentin dem Inszenierungskünstler, für den Lügen ein ganz normales Alltagsgeschäft sind.

    "Er hat zu Jade Goody ein väterliches Verhältnis gehabt. Der Mann ist sicher sehr gut, was Inszenierung und Selbstinszenierung angeht keine Frage aber Nachfragen an Jade Goody, wie ich auch im Vorfeld recherchiert habe bringen bei ihm eine andere Seite heraus. Ich weiß nicht, warum das so passiert, warum er sich an diese Frau so rangehängt hat, vielleicht auch emotional, da kommt ein anderer Max Clifford raus die Antworten waren in einer anderen Qualität, ja definitiv. Wir haben es vorher recherchiert, wie er sonst Interviews gibt und in meinem Interview und die Fragen zu Jade Goody waren in einer anderen Qualität."

    Das Ratespiel zwischen Medienschein und Wirklichkeit, Inszenierung und Authentizität schimmert in den Interviews der Studierenden immer wieder durch. Sie entblößen so manche Strategie der Medienmacher und haken immer wieder nach. Die Tatsache, dass die Studierenden bei den Interviews dabei nicht als Profis antraten, half ihnen, denn sie wurden häufig von ihrem Gegenüber unterschätzt.

    " Einige haben uns eingeordnet, vielleicht etwas über Schülerzeitungen, aber wir konnten uns vorbereiten wie es richtige Journalisten gar nicht können, allein zeitlich nicht."

    Investigative Medienforschung nennt der Medienwissenschaftler Prof. Pörksen diese Arbeit mit den Studierenden und fordert mehr davon.

    "Aus meiner Sicht tut die Medienwissenschaft gut daran, diese Strategie genaue Sichtbarmachung des Hintergrundgeschehens zu adoptieren im Sinne einer wissenschaftlichen Strategie, also sich zu fragen, was geschieht auf der Hinterbühne, warum agiert ein Politiker wie er agiert. Wer hat ihn beraten, wer hat ihn gecoacht. Und zu diesem Zweck brauchen sie sehr präzise ausrecherchierte, qualifizierte Fallstudien."