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Hinter der Kriegspropaganda

Es war anno 1842, als sich ein britisches Expeditionsheer von Kabul aus auf den Weg machte: 16.500 Soldaten, Offiziere und deren Familien, darunter 690 Europäer. Der Marsch wurde zum Todesmarsch. Paschtunische Bergkrieger überfielen die Briten, massakrierten einen nach dem anderen. Allein der Militärarzt Dr. William Brydon erreichte die rettende Garnison Jalalabad. 165 Jahre später schlägt die NATO Schlachten in Afghanistan - unter Federführung der Supermacht USA wird angeblich auch Deutschland am Hindukusch verteidigt. Gerade erst wurde das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr um ein weiteres Jahr verlängert. Wie das Unternehmen ausgehen wird, das steht in den Sternen über dem Hindukusch. Die Perspektiven erscheinen alles andere als rosig. "Geliebtes, dunkles Land. Menschen und Mächte in Afghanistan", so der Titel der jüngsten Neuerscheinung über Afghanistan. Günter Knabe stellt das Buch vor.

Von Günter Knabe |
    Ja, die Afghanen sind hart, sehr hart. Im Nehmen und im Geben. Und sie ertragen viel, sehr viel - nur fremde Herren, - die dulden sie nicht. Ihre Gastfreundschaft aber ist nahezu grenzenlos. Viele sind arm, aber so ziemlich alle sind sie stolz auf ihre Heimat. Sobald aber Eroberer von außen drohen oder fremde Heere das Land besetzen, sind sich alle Afghanen einig im erbitterten Widerstand dagegen. Die geografische Lage Afghanistans macht es zum Kreuzweg Asiens und immer wieder zu einem Spielball der Weltpolitik. Dieses schwer zu begreifende Land, seine Menschen und seine Geschichte verständlich zu beschreiben und das zu erklären, was Afghanistan heute so traurig wichtig macht, ist keine leichte Aufgabe. Susanne Koelbl und Olaf Ihlau haben sie mit ihrem Buch erfolgreich angepackt. Beide sind sie "Spiegel"-Journalisten. Ein großes Archiv, viele Reisen nach und in Afghanistan, Gespräche und Interviews mit Menschen aus allen Schichten - Afghanen und Ausländern - sind die Grundlage ihres Werks. Bei den Reportagen wird man mitgenommen in die Dörfer und Städte, in die Basare und zu den Ruinen und auch in die Berghöhlen, die Osama bin Ladens Gefechtsstand waren, bis er im Dezember 2001 vor den anrückenden US-Einsatzkommandos ins Irgendwo verschwinden konnte. Die Sprache dieser Reiseberichte stellt die Menschen und die Szenen, das Geschehen so eindrucksvoll dar, als sei man selbst überall dabei gewesen: beim Opiumhandel in einem Basar im nordöstlichen Badachschan und bei dem knallharten Einsatz der ersten Polizistin in der erzkonservativen Stadt Kandahar gegen einen Macho-Ehemann, der seiner noch nicht einmal 16jährigen Ehefrau brutale Gewalt antut. Auch der Tod von vier kanadischen Soldaten in Südafghanistan im September 2006 wird so detailliert reportiert, als sei man als Augenzeuge zugegen gewesen, als der Selbstmordattentäter die
    ISAF-Soldaten und sich in die Luft sprengte. Hass und Grausamkeiten - auch gegeneinander - haben sich eingefressen in das Fühlen und Denken vieler Afghanen in den Jahrzehnten Kampf und Krieg und Blutvergießen. In der Kriegspropaganda wurde und wird so etwas immer wieder eingesetzt. Dazu gehört auch die Horrorgeschichte, dass die Mujahedin der Hasarah-Minderheit beim Kampf um Kabul gefangenen Gegnern Nägel in den Kopf getrieben, ihn dann abgeschlagen und heißes Öl - wie es heißt- in den Rumpf gegossen hätten und sich daran ergötzt hätten, dass die kopflosen Körper dann noch herumgetorkelt seien. Das ist rein medizinisch schierer Unsinn. Es kann nur ein Versehen sein, dass die Autoren dies ohne kritische Distanzierung wiedergeben. Wie verflucht hart das Leben der Menschen in Afghanistan diesseits der Horrorpropaganda von Kriegsparteien tatsächlich ist, das vermittelt das Buch ohnehin. Und auch am Hindukusch sind es - wie in vielen Konfliktregionen - vor allem die Frauen, die brutaler Gewalt hilflos ausgeliefert sind. Selbst die Liebe bringt afghanischen Mädchen und Frauen harte Strafen, gar den Tod, wenn sie die sehr engen sittlichen Grenzen der Macho-Stammesgesellschaft sprengt. So wie es an Leben und Tod der jungen talentierten Dichterin Nadia Andschoman dokumentiert wird. Spätestens an dieser Stelle taucht die Frage auf, warum für Susanne Koelbl dieses Land trotz allem das "geliebte Afghanistan" ist - zumal für sie als Frau. Und als Frau hat sie Zugang zu den Frauen, die sie hinter Mauern und unverschleiert getroffen hat und erzählt jetzt im Gespräch darüber, dass sich "unter der Burka ...erstaunliche Überraschungen verbergen, hohe Hacken und geschminkte neugierige Augen. "Es gibt viele starke Frauen dort," sagt sie, "starke Persönlichkeiten. Schönheiten. Heimliche Lieben...", schwärmt Frau Koelbl. Licht und Schatten im Drama Afghanistan zeigen auch die Porträts und Kurzbiographien von Figuren und Persönlichkeiten der Geschichte dieses Landes deutlich. Diese Galerie beginnt mit Babur und endet mit dem kommunistisch ausgerichteten Putschgeneral Gulabzoi, der, aus Russland zurück, seit kurzem wieder in Kabul, politische Pläne schmiedet. Der Steppenreiter Babur kam aus Samarkand und begründete im 16.Jahrhundert vom Hindukusch aus das Mogulreich in Indien. Drogen waren ihm Lebenselixier bis zum frühen Tod. Unter den vorgestellten afghanischen Herrschern hat der König Amanullah für Deutschland eine besondere Bedeutung. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wollte er sein Land reformieren und holte dafür neben anderen Ausländern gerade auch deutsche Lehrer und Ingenieure ins Land. Der Reformerkönig Amanullah scheiterte am Widerstand der erzkonservativen Mullahs und den Sitten und Wertvorstellungen der Stammesgesellschaft, die immer noch gelten und in Amanullahs Zeiten genauso wenig mit westlichen Gesellschaftsformen und Lebensweisen vereinbar waren, wie in unseren Tagen. Amanullah wurde gestürzt. Die guten deutsch-afghanischen Beziehungen überdauerten die wilden und die guten Zeiten der afghanischen Politik und der jüngeren Geschichte - auch der deutschen. Das wird in dem Buch genau so aufgezeigt wie jene intensive Entwicklungshilfe Deutschlands, genauer Westdeutschlands, für Afghanistan, die Anfang der sechziger Jahre einsetzte, als das Land unter seinem König Mohammed Sahir heute als goldene Zeit verklärte Jahre erlebte. Nach der Machtübernahme der afghanischen Kommunisten und dem Einmarsch der Sowjets in ihr damals südliches Nachbarland wurden die Zahlungen der Bundesrepublik durch die sogenannte sozialistische Bruderhilfe der DDR ersetzt. Der Kommunistenchef Najibullah und seine Genossen scheiterten mit ihren allzu plumpen, rücksichtslosen Reformversuchen. Nach dem Untergang der Kommunisten folgte wieder Bürgerkrieg unter den afghanischen Gruppierungen und Stämmen, bis die Taliban mit ausländischer Hilfe ihre Glaubensdiktatur errichteten und Ruhe herrschte im Land, die Ruhe des Schreckens. Und jetzt - nach der Vertreibung der Glaubenskrieger und ihrer Al-Qaida-Verbündeten und deren überraschender Rückkehr - was macht Deutschland heute, was tut es für die leidenden, uns so freundlich gesonnen Menschen dort? Auch das wird von Koelbl und Ihlau gründlich, differenziert und mit viel Skepsis dargestellt. Die Mängel und Fehler, aber auch die Leistungen der westlichen und damit auch der deutschen Afghanistan-Politik werden genauso klar aufgelistet, wie die Fragwürdigkeiten und das Versagen der afghanischen Politiker.

    Es sind: die immense Korruption und das spurlose Versickern der Euro- und Dollar-Milliarden-Hilfe; die Aussichtslosigkeit, die Drogenproduktion - wenn nicht zu stoppen -, so doch wenigstens einzudämmen; die an den Versprechungen gemessen jämmerlich geringen Wiederaufbauleistungen im Lande; der Einsatz der Bundeswehrsoldaten und KSK-Leute, und die bislang ziemlich erfolglose Ausbildung einer einsatzfähigen Armee und schlagkräftigen Polizei; aber auch die ungebrochene Macht der früheren Kriegsherren und Drogenhändler, die trotz ihrer Verbrechen heute im Kabuler Parlament sitzen, und die wachsende Zahl ziviler Opfer der Militäreinsätze und Selbstmordattentate. Das mangelnde Wissen über Afghanistan und das geringe Verständnis für seine Menschen und deren Bedürfnisse waren sicher einer der Gründe für die bisherigen Fehlschläge der Afghanistan-Politik des Westens. Wenn wenigstens deutsche Politiker und die Deutschen, die - in welcher Funktion auch immer -, die Afghanen unterstützen wollen, lesen, was Susanne Koelbl und Olaf Ihlau beobachtet und recherchiert haben, könnte mancher Fehler in Afghanistan eventuell noch rechtzeitig korrigiert werden. In ihrem Buch kann man Afghanistan, die Menschen und Mächte dort, jedenfalls kennen lernen und vieles besser verstehen.

    Günter Knabe über Susanne Koelbl und Olaf Ihlau: Geliebtes, dunkles Land. Menschen und Mächte in Afghanistan, Siedler Verlag, München 2007, 22.95 Euro.