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Hintergründe zur Sendung
Der Koran und seine Übersetzung ins Deutsche

Der Koran wurde in den vergangenen Jahrhunderten mehrfach in die deutsche Sprache übertragen. Insbesondere in den vergangenen Jahren sind weitere Koran-Übersetzungen ins Deutsche vorgelegt worden. Eine allgemein anerkannte Version gibt es jedoch nicht. Jede Übersetzung hat ihren eigenen Charakter.

Von Thorsten Gerald Schneiders | 01.03.2015
    Die Übersetzung von Rudi Paret aus dem Jahr 1966 gilt nach wie vor als Standardübersetzung, die insbesondere im wissenschaftlichen Kontext benutzt wird. Sein Text ist von sachlicher und nüchterner Stilistik, ganz mit dem Ziel verfasst, die Bedeutung der Verse zu vermitteln und dabei nah am arabischen Original zu bleiben. Vielfach arbeitet Paret daher mit Einschüben in Klammern, die weiterführende Erläuterungen aus dem Zusammenhang des Textes und Hinweise auf die Konnotation der arabischen Wörter bieten.
    Ganz anders ist dagegen die Koran-Übersetzung des deutschen Dichters Friedrich Rückert aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgerichtet. Sein primäres Ziel bestand darin, die Sprachkunst des ursprünglichen Textes wiederzugeben. Inhaltliche Genauigkeit tritt bei ihm zugunsten stimmiger Reimprosa in den Hintergrund. Zudem ist Rückerts Übersetzung nicht vollständig, einige Passagen wurden nicht übersetzt. Alle anderen Koran-Übersetzungen reihen sich weitgehend in dieses Spektrum ein.
    Blick auf das Denkmal des deutschen Dichters Friedrich Rückert in dessen Geburtsort Schweinfurt (Unterfranken).
    Blick auf das Denkmal des deutschen Dichters Friedrich Rückert in dessen Geburtsort Schweinfurt (Unterfranken). (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Nichtwissenschaftliche Übersetzungen
    Auch nicht-wissenschaftliche Koran-Übersetzungen neueren Datums haben ihre eigene Charakteristik, die man im Umgang mit ihnen beachten muss. Sie folgen häufig bestimmten ideologischen oder theologischen Strömungen, deren Prinzipien sie gewisse Übersetzungsfragen unterwerfen. Dem Konvertiten und ehemaligen deutschen Diplomaten Murad Wilfried Hoffmann zum Beispiel wird vorgehalten, er habe bei seiner Neuherausgabe der Übersetzung von Max Henning eigene Vorstellungen einfließen lassen, so dass am Ende eine "weichgespülte" Version vorlag, die an manchen Stellen weniger scharf formuliert ist, als es das arabische Original eigentlich verlangt.
    Ein muslimischer Junge in weißem Gewand und mit Häkelkappe sitzt auf einem Gebetsteppich und liest den Koran.
    Ein muslimischer Junge sitzt auf einem Gebetsteppich und liest den Koran. (Imago / Indiapictures)
    Ein weiteres Beispiel ist die Ausgabe von Muhammad Rassoul. Rassouls Übersetzung fand früher schon Verbreitung unter eher streng religiösen Muslimen in Deutschland. Heute wird sie für die Koran-Verteilaktion "Lies" genutzt. In deren Rahmen bringen Salafisten seit Ende 2011 an öffentlichen Ständen kostenlose Nachdrucke unters Volk, um Propaganda für ihr Islam-Verständnis zu machen. Rassoul hatte sich zum Ziel gesetzt, den Text möglichst Wort für Wort wiederzugeben und eine recht nüchterne Version vorzulegen. Herausgekommen ist am Ende eine etwas schwer zu lesende Fassung. Sie wird auch von wissenschaftlicher Seite teilweise wegen Ungenauigkeiten kritisiert, stellt aber dennoch keine sonderlich schlechte Version dar.
    "Koran erklärt" folgt keiner bestimmten Übersetzung
    Die Übersetzung der Koranverse für "Koran erklärt" folgt keiner bestimmten Ausgabe. Es erwies sich aus praktischen Gründen nicht möglich, sich für eine zu entscheiden. Das liegt bereits daran, dass mehrere unserer Autoren eigene Koran-Übersetzungen vorgelegt haben und verständlicher Weise auch mit diesen arbeiten. Es handelt sich dabei um Adel Theodor Khoury, Hans Zirker, Milad Karimi und Hartmut Bobzin. Davon abgesehen ist es bei der Realisierung einer Radiosendung bedeutsam, möglichst klare Formulierungen für das Hörverständnis zu haben. Das ist in keiner Übersetzung für jeden einzelnen Vers immer so gegeben, mitunter finden sich fürs Hörverständnis besser geeignetere Übersetzungen in einer anderen Ausgabe - sei es weil mal hier, mal dort einfachere grammatikalische Strukturen oder modernere Worte gewählt wurden.
    Porträt von Adel Theodor Khoury vor weißem Hintergrund.
    Adel Theodor Khoury ist Koran-Übersetzer und Koran-Kommentator. Er lehrte Religionswissenschaft an der Katholischen Fakultät der Uni Münster. (priv.)
    Zudem finden sich in unterschiedlichen Übersetzungen Formulierungen, die klarer auf den inhaltlichen Kern einer Sendung zulaufen. Keiner der Autoren erhebt mit seinen Ausführungen den Anspruch auf eine umfassende Darlegung aller Aspekte des jeweiligen Verses. Die Autoren haben sich bestimmte Fragen - häufig nach ihren Forschungsschwerpunkten - herausgegriffen. Alles andere ließe sich in einer begrenzten Sendezeit von fünf Minuten pro Folge nicht realisieren. Daher war es ebenso ratsam, Vers-Übersetzungen zu wählen, die möglichst auf diese ausgewählten Fragestellungen hin zugespitzt sind.
    Der Islamwissenschaftler und Philosoph Milad Karimi
    Der Islamwissenschaftler und Philosoph Milad Karimi (Peter Grewer)
    Arbeits- oder Muttersprache der Autoren ist nicht immer Deutsch
    Ein Teil der Texte wurde schließlich von Autoren verfasst, deren Arbeits- oder Muttersprache nicht Deutsch ist. Dementsprechend haben sie mit Koran-Übersetzungen in anderen Sprachen gearbeitet. In diesen Fällen mussten auch die Koranverse ins Deutsche übertragen werden. Dabei war die von den Autoren gewählte inhaltliche Ausrichtung der Erklärungstexte zu berücksichtigen, sodass die Vers-Übersetzung und der Inhalt der Sendung am Ende aufeinander abgestimmt waren. Zum Teil zielten die Autoren auf spezifische Formulierungen und sprachliche Nuancen in den Koran-Versen ab, die sich in den deutschen Ausgaben, schon gar nicht in immer einer und derselben, so widerspiegeln.
    Hartmut Bobzin
    Hartmut Bobzin hat den Koran übersetzt und war Professor für Islamwissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg (Bobzin)
    Solche Übersetzungen von Versen ins Deutsche wurden selbstverständlich nicht nach Belieben vorgenommen. Sie orientieren sich an den vorhandenen Ausgaben. Primär zu Rate gezogen wurden dabei die ausgewählten, vor allem wissenschaftlich bedeutsamen Werke von Rudi Paret, Adel Theodor Khoury, Hans Zirker, Hartmut Bobzin und Max Henning, herausgegeben von Annemarie Schimmel, sowie dem Corpus Coranicum. Zum anderen wurden religiös bedeutsame Ausgaben konsultiert: die von Moustafa Maher im Auftrag der Azhar-Universität in Kairo und die von Abdullah as-Samit (Frank Bubenheim) und Nadeem Elyas, die vom saudischen Religionsministerium beauftragt und beglaubigt wurde.
    Übersetzungen sind lediglich Hinweise auf die Bedeutung
    Sowohl die Erläuterungen als auch die Koran-Übersetzungen in diesem Buch sind folglich primär auf die Gestaltung einer Radio-Sendung ausgerichtet. Das heißt, mit den Texten verbindet sich kein Gedanke einer verbindlichen und letztgültigen Aussage über besprochene Koran-Verse. Hörer und Internetnutzer müssen sich vergegenwärtigen, dass die Vers-Übersetzungen lediglich Hinweise auf die Bedeutung des arabischen Originals geben.
    "Koran erklärt" bietet einen fundierten Überblick über zentrale Aspekte, die in den ausgewählten Koran-Abschnitten thematisiert werden. Deutungsunterschiede sind nicht ausgeschlossen. Es ist immer möglich, den präsentierten Erläuterungen auch noch mal eine andere Erläuterung gegenüberzustellen, sei es, weil eine andere Übersetzung sprich Interpretation des Originaltextes vorgenommen wurde oder weil ein anderes religiöses Grundverständnis vertreten wird. Klar ist aber, die Autoren von "Koran erklärt" sind ausgebildete Wissenschaftler, die sich zum Teil seit Jahrzehnten auf hohem Niveau mit ihren Themen befassen oder befasst haben.
    Die Auswahl der Koranverse und der Autoren
    Die Auswahl der Koranverse erfolgte ebenfalls nach pragmatischen Überlegungen. Ausgangspunkt war eine Liste von Versen, die der Deutschlandfunk vorrangig besprochen haben wollte. Die Liste ist thematisch breit gefächert und bezieht rein theologische Fragen ebenso mit ein wie Fragen, die für das heutige Zusammenleben unter Muslimen und mit ihnen von Bedeutung sind.
    Eine Frau spiegelt sich im Martin-Gropius-Bau in Berlin im Schutzglas einer Kopie des Korans.
    Die Darstellung des Korans war immer auch ein Kunstform in der islamischen Welt. Hier eine Kopie des Koran im Martin-Gropius-Bau in Berlin. (dpa/Alina Novopashina)
    Darüber hinaus musste den Autoren die Möglichkeit eingeräumt werden, Verse selbst auszusuchen. Das hängt mit der gegebenen Situation innerhalb der Wissenschaft zum Islam zusammen. Die Erforschung des Fachbereichs teilt sich in Deutschland auf drei Hauptzweige auf: die Islamwissenschaft als Kulturwissenschaft (mitunter auch Orientalistik genannt; manchmal aber auch davon abgegrenzt), der Arabistik als Sprachwissenschaft und der Islamischen Theologie beziehungsweise der Islamischen Studien als theologische Disziplin.
    Die Differenzierungen sind nicht immer eindeutig und führen bisweilen zu Streit. In einer "Stellungnahme von Fachvertreterinnen und -vertretern der Islamwissenschaft und benachbarter akademischer Disziplinen" heißt es 2010: "Die Benennung des neuen Faches als ‚Islamische Studien‘ ist in hohem Maße irreführend, denn dadurch verschwimmen in bedenklicher Weise die Grenzen zur Islamwissenschaft in ihrer heutigen Form."
    Nicht jeder Islamwissenschaftler ist ein Koran-Experte
    Die Islamwissenschaft als Kulturwissenschaft befasst sich im Grunde mit der Gesamtheit des universitären Fächerkanons - aber eben unter dem Dach des "Islam". Nicht jeder Islamwissenschaftler ist mithin ein Koran-Experte. Einige Fachvertreter befassen sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Naturwissenschaften, der Kunstgeschichte, der politischen Geschichte oder sonstigen Spezialgebieten. Der Koran nimmt jedoch innerhalb des Kulturkreises eine zentrale Stellung ein, sei es durch seine Einflüsse auf den Alltag muslimischer Menschen weltweit, sei es durch seine sprachliche Stellung innerhalb der arabischen Welt, wo er die Grundlage der Hochsprache darstellt. Dadurch müssen sich Islamwissenschaftler auch auf ihren Spezialgebieten häufig mit der Heiligen Schrift der Muslime auseinandersetzen und haben daher Erfahrungen im Umgang mit diesem Text.
    Das gilt ähnlich für das neue Fach Islamische Theologie. Kein Fachvertreter kommt ohne Koran-Kenntnisse aus, aber nicht jeder Fachvertreter ist ein Koran-Experte. Die Islamische Theologie bringt ebenso wenig Universalwissenschaftler hervor wie die christliche Theologie. Die meisten christlich-theologischen Fakultäten teilen ihr Forschungsgebiet in vier Hauptbereiche auf. Das sind Biblische Theologie, Systematische Theologie, Historische Theologie und Praktische Theologie. Mitunter kommt als übergreifendes Fach die Philosophie hinzu.
    Unterschiedliche konfessionelle Zugänge
    Die Islamische Theologie ist strukturell vergleichbar ausdifferenziert. Es gibt den Kernbereich des Islamischen Rechts (fiqh), es gibt den Kernbereich der eigentlichen Islamischen Theologie (kalâm), in der es vorrangig um die Eigenschaften Gottes geht, den Kernbereich der Koran-Exegese (tafsîr) und den der Hadithwissenschaft (ʿilm al-hadîth). Hinzu kommen Fächer die ebenfalls übergreifenden Charakter haben wie die Mystik (Sufismus) und die Philosophie. Schließlich gibt es unterschiedliche konfessionelle Zugänge. Im Christentum sind das primär katholische und evangelische, im Islam sunnitische und schiitische. Solche Ausdifferenzierungen sind aber angesichts der erst kurzen Existenz der Islamischen Theologie in Deutschland bisher nur ansatzweise in angelegt. Entsprechend überschaubar ist die Zahl des wissenschaftlichen Personals auf den jeweiligen Fachgebieten.
    Der Bedarf an Autoren für eine wöchentliche Sendung ließ sich daraus nicht decken. Auch wenn "Koran erklärt" als Sendung für den deutschsprachigen Raum primär das Ziel verfolgt, hiesige Koran-Experten zu Wort kommen zulassen, war es unumgänglich, qualifizierte Wissenschaftler im Ausland zu konsultieren und Autoren auch nach ihren Forschungsschwerpunkten auszuwählen, um sie dann um Ausführungen zu einzelnen Koran-Versen zu bitten.