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Hinterhältiger Überfall

Biologie. - Europäische Siedler haben Honigbienen in die Neue Welt gebracht. Bisher haben die Tiere in Nordamerika wenig Last von parasitären Insekten gehabt. Jetzt hat aber offenbar eine parasitäre Buckelfliege ihr Wirtsspektrum erweitert – mit üblen Folgen für die Bienen.

Von Joachim Budde | 19.01.2012
    Der Angriff dauert gerade einmal zwei bis vier Sekunden. Ein Weibchen der Buckelfliegenart Apocephalus borealis landet auf einer Biene, der rund einen Millimeter kleine Parasit sticht seinen Eiablageschlauch in den Hinterleib der Biene, legt Eier hinein und fliegt wieder davon. Die Biene ist dem Tod geweiht, ein paar Tage später stirbt sie. Zwischen ihrem Kopf und Thorax kriechen Maden heraus, verpuppen sich und entwickeln sich zu ausgewachsenen Tieren. Befallene Bienen verhalten sich merkwürdig, sagt Professor John Hafernik von der San Francisco State Universität.

    "Das ungewöhnliche ist, dass eine befallene Biene den Stock bei Nacht verlässt und irgendwo draußen stirbt. Es könnte sein, dass die Biene Selbstmord begeht, um den Rest des Volkes zu schützen, dass kennen wir von anderen Krankheiten. Es könnte auch sein, dass der Parasit die Biene dazu bringt, irgendwo hinzufliegen, wo es für ihn günstig ist. Was dafür sprechen könnte ist, dass die Biene den Stock nachts verlässt und sich zu Lichtquellen hingezogen fühlt – beides Verhaltensweisen, die aus der Literatur eher unbekannt sind. Und wir vermuten, dass dies ein neuer Bienenparasit ist, sonst wäre er schon längst aufgefallen."

    Die Fliege ist an sich seit langem bekannt. Bisher aber waren Hummeln und Wespen ihre Opfer, die wie die Fliege selbst in Nordamerika heimisch sind. Hafernik ist nur durch Zufall darauf gestoßen, dass Bienen ein neues Problem haben. Auf dem Rückweg von einer Exkursion mit Studenten hat er vor dem Biologie-Gebäude der Universität unter einer Laterne Bienen gefunden, die im Kreis herumliefen oder zusammengerollt auf dem Beton lagen. Er brauchte Futter für eine gerade gefangene Gottesanbeterin und nahm sie in einem Fläschchen mit. Mehrere Tage sammelte er dort Bienen als Futter.

    "Einmal habe ich das Fläschchen in mein Büro mitgenommen statt die Gottesanbeterin zu füttern. Wenn Sie meinen Schreibtisch sähen, wüssten Sie, warum die Flasche dort für eine Woche verschwunden ist. Als sie wieder auftauchte, waren darin kleine braune Insektenpuppen und ein paar Maden, die aus den Bienen herauskrochen. Da wusste ich, mit diesen Bienen ist etwas faul."

    Hafernik und seine Studenten untersuchten daraufhin Bienenstöcke rund um die Bucht von San Francisco. In 77 Prozent der getesteten Stöcke fanden sie befallene Bienen. Auch im kalifornischen Central Valley und im US-Bundesstaat South Dakota konnten sie die Fliegen in Bienenstöcken nachweisen. Wie sie im Rest des Landes verbreitet sind und ob alle Populationen Bienen als Wirte entdeckt haben, ist noch unbekannt.

    Seit einigen Jahren haben amerikanische Imker viel Kummer mit ihren Bienenvölkern, denn es grassiert eine rätselhafte Krankheit, das Colony collapse disorder, der Völkerkollaps. Bienenvölker, die scheinbar gesund sind, verschwinden binnen kürzester Zeit aus ihren Stöcken. Nur Brut und Honig bleiben zurück. Die genauen Ursachen sind immer noch unbekannt. Viele amerikanische Medien berichten, die jetzt entdeckte Fliege könnte eine große Rolle beim Völkerkollaps spielen. Das hält Dennis van Engelsdorp, Bienenexperte an der Universität von Maryland, für sehr unwahrscheinlich.

    "Weil sie lediglich ausgewachsene Bienen befallen, die Trachtbienen. Beim Völkerkollaps verschwinden aber auch die jungen Bienen, die der Parasit gar nicht befallen haben kann. Jedes Bienenvolk hat einen Puffer an Arbeiterinnen, den kann die Fliege verkleinern, aber vermutlich kann sie Bienenvölkern nicht so sehr zusetzen, dass sie zusammenbrechen. Haferniks Forschungsarbeit ist sehr interessant, wir müssen noch viel mehr über den Parasiten herausfinden. Aber dass die Fliege allein für die landesweite Bienensterblichkeit verantwortlich sein kann, das glaube ich nicht, und das glauben auch die Autoren sicherlich nicht."

    Vorerst wirft die winzige Fliege also vor allem neue Fragen auf.