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Hintertür für den Großen Bruder

Seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York fordern Sicherheits- und Geheimdienste mehr Freiheit bei der Überwachung. Dem sollte der so genannte Total Information Awareness Act, später umbenannt in die diplomatischere Formulierung Terrorism Information Awareness Act, Rechnung tragen. Doch Datenschützer schlugen Alarm und konnten die Umsetzung des umstrittenen Gesetzespakets erfolgreich verhindern. Dennoch sammeln US-Behörden weiter fleißig Daten über In- und Ausländer. Eine Reihe von Hochtechnologieprojekten soll den Staatsschützern dabei helfen, den Überblick in der Datenflut zu behalten.

Pia Grund-Ludwig |
    Es gab in den USA ewige Debatten um das Überwachungsprogramm Terrorist Information Awareness. Das sollte Informationen aus unterschiedlichsten Datenbanken zusammenführen und unter anderem exakte Personenprofile von Terrorismusverdächtigen liefern. Als Gesamtprogramm ist es nun seit September vom Tisch, aber amerikanische Datenschützer sehen das nur als Teilerfolg. Dieses Aus für das Projektbündel und die Auflösung des Hautquartiers, des Information Awareness Office, war nur ein erster Schritt, erklärt David Sobel vom Electronic Privacy Information Center EPIC. Das verhindere aber nicht, dass die Regierung weiter Daten sammele, es mache die Aktivitäten nur schwerer nachweisbar. Das ist nicht von der Hand zu weisen: Acht der ursprünglich 26 Programme werden nämlich unter Federführung der Defense Advanced Research Projects Agency DARPA weitergeführt. Die Darpa ist die Forschungsabteilung des US-Verteidigungsministeriums. Das wichtigste Vorhaben, das weitergeführt wird, ist Spracherkennung und -analyse. Dafür fließen allein im nächsten Jahr über 50 Millionen Dollar. Davon profitiert auch das britische Unternehmen autonomy, das sich auf Sprach- und Bilderkennung spezialisiert hat. Von einem Stop der Projekte können keine Rede sein, meint Firmenchef Mike Lynch:

    Im Moment ist es das eher ein Bereich, der wächst, als dass Projekte eingestellt werden. Wir sind der Technologiepartner für die Homeland Security Initiative in den USA. Diese Probleme, um zum Beispiel terroristische Angriffe zu verhindern, sind sehr schwierig. Es geht um riesige Informationsmengen, das ist zu viel Arbeit, um sie von Hand zu erledigen, und man muss sehr ausgeklügelte Zusammenhänge verstehen. Sie sehen nie das ganze Bild, sondern immer nur einzelne Teile. Viele Leute sehen das als Problem der Informationssuche, als würde man einfach etwas eintippen und suchen. Aber wenn wir über diese Fragen sprechen, weiß man meist nicht, wonach man sucht. Das Problem ist schwieriger, es ist komplex.

    Um die Aufgabe zu lösen, verwendet das Unternehmen deshalb auch keine Methode, die lediglich Wörter miteinander vergleicht, sondern Mustererkennung. Das hat den Vorteil, dass Ähnlichkeiten auch dann auffallen, wenn gar nicht die gleichen Wörter verwendet werden. Damit finden sie beispielsweise heraus, dass ein Junge mit einem Hund das gleiche bedeuten könnte, wie ein Jugendlicher mit einem weißen Pudel. Außerdem kombiniert die Software Informationen aus ganz unterschiedlichen Quellen wie Telefonanrufen, Bewegtbildern oder Formularen. Damit werden im Idealfall Dinge sichtbar, die der Fragende gar nicht sucht. So hätte vor dem 11. September niemand bewusst nach Flugschülern recherchiert, die nur das Fliegen üben, aber nicht das Landen. Der Software wäre das vielleicht aufgefallen. Dann hätte natürlich immer noch ein Mensch die richtigen Schlüsse ziehen müssen, aber immerhin hätte ihm die Software einen Hinweis auf Häufungen bestimmter Ereignisse geben können. Dazu fließen Informationen aus vielen unterschiedlichen Bereichen zusammen, so Lynch:

    Das Department of Homeland Security verbindet 22 unterschiedliche Behörden, von der Küstenwache bis zum Außenministerium, Leute die sich beispielsweise mit der Bedrohung durch biologische Waffen befassen. Unsere Aufgabe ist es, diese Informationen zu analysieren und ein zusammenhängendes Bild zu erzeugen.

    Um ein komplettes Bild der vorliegenden Informationen zu erhalten, spielt die Technologie von Virage eine wichtige Rolle. Die Company ist vor zehn Jahren aus einem Projekt des amerikanischen Verteidigungsministeriums entstanden und wurde vor kurzem von Autonomy geschluckt. Zu dessen Stärke zählt es, Stimmen bestimmten Personen zuordnen. Die Technologie hat der amerikanische Geheimdienst unter anderem eingesetzt, um herauszufinden, ob Videos von Al-Qaida-Chef Ossama bin Laden echt oder gefälscht sind. Zu den Kunden der Briten zählen aber nicht nur die amerikanischen Schlapphüte. Auch in Europa wird das Programm von fast allen westeuropäischen Regierungen eingesetzt, zur Drogenfahndung oder zur Analyse von Geldströmen. Was er genau in Deutschland mit den Produkten macht, darf Lynch aber leider nicht sagen:

    Das müssen sie schon die deutsche Regierung selbst fragen.