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Hintze: Das deutsche Gesetz zur Stammzellenforschung muss immer wieder auf den Prüfstand

    Engels: Es ist ein weitreichendes ethisches Problem. Viele Menschen, die an Erbkrankheiten leiden, hoffen auf Linderung ihrer Leiden durch die so genannte Stammzellforschung. Das sind menschliche Zellen, die sich noch in jede Form von Körperzellen entwickeln können. Ein Zweig dieser Forschung konzentriert sich auf die embryonale Stammzellforschung. Ethisch problematisch ist dabei, dass bei der sogenannten verbrauchenden Forschung die menschlichen Embryonen sterben. Die Hoffnung auf Heilung steht damit dem Ziel des Lebensschutzes gegenüber. Im vergangenen Jahr hatte der Bundestag nach langem Ringen ja bekanntlich beschlossen, dass in Deutschland nur unter strengen Auflagen an bestehenden Stammzelllinien geforscht werden darf. Doch die EU-Kommission will heute möglicherweise beschließen, Gelder für Forschungen auszugeben, die darüber hinaus gehen. Am Telefon ist nun Peter Hintze, der Europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber er ist auch in Fragen der Embryonenforschung bewandert. Herr Hintze, Sie gehörten damals vor dem Beschluss des Bundestages zur Stammzellforschung zu denjenigen, die auch die so genannte verbrauchende embryonale Stammzellforschung mit Blick auf die Therapiechancen durchaus befürwortet haben. Hat sich daran etwas geändert?

    Hintze: Also wir wollen uns jetzt um Begrifflichkeiten nicht streiten. Ich würde es so formulieren, ich halte es für richtig, dass wir befruchtete Eizellen, die nicht zur Fortpflanzung genutzt werden, sondern in den Tiefkühlbehältern der Medizin lagern, für diese Forschung erschließen, jedenfalls dann, wenn das notwendige Einverständnis von allen Seiten vorliegt, weil ich glaube, dass in der Stammzellforschung der Schlüssel zur Überwindung ganz schwerwiegender Krankheiten des zentralen Nervensystems oder/aber auch des Herzens liegt, und das ist ein Gebot der Menschenwürde, es ist ein Gebot der Ethik des Heiles, diese Möglichkeiten auch für kranke und sterbende Menschen zu erschließen.

    Engels: Dann halten Sie den Trend in der EU-Kommission, doch möglicherweise diese Art der Forschung zu fördern, für richtig?

    Hintze: Ich hielte es für richtig, wenn die Kommission sagt, in diesem für die gesamte Menschheit wichtigen Forschungsgebiet wollen wir auch als Europäische Union etwas tun, und ich stimme nicht mit den ansonsten sehr geschätzten Kollegen im Europäischen Parlament überein, die das jetzt restriktiv handhaben wollen, denn würde der kleinsten gemeinsame Nenner in Europa regieren, bleiben wir in der Forschung weit hinter unseren Möglichkeiten zurück. Ich glaube auch, dass das Gesetz, was wir nach langem Ringen für Deutschland gefunden haben, was die Forschung an embryonalen Stammzelllinien unter starken Einschränkungen zulässt, von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand muss, damit unsere Forschung international auch den Anschluss halten kann. Ich glaube auch, dass die deutsche Stichtagsregelung, die wir gefunden haben, die ich für ethisch und forschungspolitisch zumindest für problematisch halte, auch nach einem gewissen Zeitraum noch einmal überprüft und entweder aufgehoben oder durch einen neuen Stichtag ersetzt wird. Warum oder wo ist überhaupt das Problem? Das Problem liegt darin, dass wir nicht sicher sein können, dass die Stammzelllinien, die vor dem 01.01.2002 etabliert wurden, die also auch nach deutschem Recht für solche Forschungen genutzt werden dürfen, ob sie in der Qualität so sind, dass sie auch wirklich zu optimalen Ergebnissen führen können, oder ob wir dafür nicht Stammzelllinien brauchen, die nach diesem Stichtag etabliert worden sind. Die medizinische Forschung wäre ja schlecht beraten, wenn sie auf Stammzelllinien verwiesen wird, die nicht das volle Potential auch ausschöpfen lassen.

    Engels: Nun erklärten aber auch renommierte deutsche Stammzellforscher, beispielsweise Hans Schöler, die Zerstörung weiterer Embryonen zu Forschungszwecken sei gegenwärtig unnötig. Das widerspricht doch Ihrer These.

    Hintze: Sehen Sie, die deutsche Stammzellforschung hat international einen führenden Rang, das kann man schon sagen. Manche Stammzellforscher sind allerdings auch mürbe geworden - ich weiß nicht, ob das für Herrn Schöler gilt -, weil sie derartig mit öffentlichen Vorwürfen überzogen wurden und ja nach langem Kampf dieses Stammzellgesetz in Deutschland überhaupt möglich war. Sie wissen, dass ich eine Gruppe zusammen mit Katharina Reiche angeführt habe von Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, die für eine forschungsfreundlichere Regelung eingetreten sind. Wir haben am Schluss diesem Stammzellgesetz unsere Zustimmung gegeben, damit es überhaupt zu einer rechtlichten Grundlage gekommen ist, weil uns die deutschen Forscher gesagt haben, ohne eine klare Rechtsgrundlage mit dem öffentlichen Druck, der da gemacht wird, mit den Begriffen, die da gegen uns in Stellung gebracht werden, können wir nicht arbeiten. Deswegen habe ich Verständnis, wenn manche Forscher sagen, wir wollen nicht erneut in diese Diskussion hereinkommen. Aber ich glaube, dass wir trotzdem mit wachem Verstand und auch mit aller ethischer Aufmerksamkeit, die dafür nötig ist, immer wieder fragen, ist das Gesetz, was wir gemacht haben, ausreichend, oder müssen wir es nicht doch den Notwendigkeiten einer humanen Forschung im Dienste des Menschen anpassen?

    Engels: Gucken wir noch mal auf Europa. Nun geht es da ja im deutschen Entwurf um die Stammzelllinien, hier jetzt möglicherweise im Kommissionsentwurf um Embryonen, das heißt eine Möglichkeit, weitere Stammzelllinien zu züchten oder weiterzuentwickeln. Das Forschungsministerium sagt, dieser Fall widerspräche geltendem Recht in Deutschland. Was ist da zu tun?

    Hintze: Also erst mal ist das geltende Recht in Deutschland das eine und das geltende EU-Recht das andere. Der Kollege aus dem Europäischen Parlament, mit dem ich in der Sache ja unterschiedlicher Meinung bin, hat ja selber eben eingeräumt, EU-rechtlich ist das möglich, denn die Europäische Union wäre ja am Ende, wenn das Recht in Einzelstaaten immer auf die gesamte EU durchschlagen würde, das heißt - ab Mai nächsten Jahres sind wir 25 Mitgliedstaaten -, wenn in einem Staat irgendetwas anders geregelt ist, dürfte es die ganze EU nicht tun. Also EU-rechtlich ist die Sache. Übrigens auch die Forschung in der EU ist an klare ethische Kriterien gebunden. Nun ist die Frage, sollen wir der Europäischen Union unsere Meinung in dieser Frage aufzwingen oder nicht? Ich bin der Meinung, wir sollten die Freiheit haben, die Europäische Union das eigenständig entscheiden zu lassen. Natürlich sind dann solche Forschungsfördermittel in Deutschland dafür nicht abrufbar, aber ich glaube, das können wir verkraften. Im Gegenteil: das wird die ethische Überlegung noch einmal vertiefen, ob wir mit den sehr starken Einschränkungen bei uns eigentlich recht gehandelt haben. Es wird immer von Embryonen gesprochen und all unser Denken ist bildlich, und die Zeitungen, die darüber schreiben, bilden dann meistens einen kleinen Fötus ab, also man hat einen kleinen Menschen vor Augen. In Wirklichkeit geht es um eine befruchtete Eizelle, die Sie und ich mit dem bloßen Auge nicht erkennen können, die außerhalb des menschlichen Körpers in einem Stahltank, in einer Kühlflüssigkeit in Stickstoff ja aufbewahrt wird. Deswegen finde ich auch die Gleichsetzung oder auch die Begrifflichkeit, die hier verwendet wird, einfach unzutreffend. Und der Forschungskommissar hat überlegt zu sagen, wir nehmen solche befruchtete Eizellen für eine ethisch eng verantwortete Forschung, die verworfen sind und deren Existenz darin besteht, bei -140°C in Stickstoff gekühlt zu sein. Ich finde, das ist eine Überlegung, die man mit Recht anstellen kann.

    Engels: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio