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Hiobs Kinder
Wie Religionen mit Leid umgehen

Wer glaubt, leidet nicht weniger, aber anders. Alle Religionen zeigen Wege, mit Schmerz, Verlust und Tod umzugehen. Aber nützt das etwas im Alltag? Eine Buddhistin, ein Rabbi, ein evangelischer Pfarrer und ein islamischer Theologe erzählen.

Von Irene Dänzer-Vanotti | 04.04.2018
    "Hiob" am Deutschen Theater Berlin - "Am Ende steht doch das Wunder."
    "Hiob" am Deutschen Theater Berlin - "Am Ende steht doch das Wunder." (imago / DRAMA-Berlin.de)
    "Er hat gesagt, die erste Wahrheit: Ja, es gibt Leiden. Das Leben tut weh", sagt Minka Hauschild.
    Buddha begann mit diesen Worten sein erstes Lehrschreiben.
    "Die zweite: 'Es hat Ursachen, es gibt Gründe dafür, dass das Leben weh tut', die dritte: 'Ja, es ist möglich, Leiden zu vermindern oder Leiden aufzulösen'."
    Der Buddhismus ist ganz lebensnah, wenn es um das Leid geht:
    "Die erste edle Wahrheit erkennt einfach an, dass das Leben einfach Schmerz für uns bereit hält. Geboren werden tut weh, verdauen lernen, in die Schule gehen müssen, die Pubertät, dann werden wir älter, wir werden gebrechlich, wir haben Schmerzen, wir verlieren das, was wir lieben und wir bekommen das, was wir nicht haben wollen."
    Die Malerin und Yogalehrerin Minka Hauschild hat sich in den vergangenen 30 Jahren immer tiefer in den Buddhismus begeben. Sie hat unter dem Baum in Indien, in Bodghaya, meditiert, wo der Buddha erleuchtet wurde. Sie hat den heiligen Berg der Tibeter, den Kailash, mehrfach umrundet, in ihrer Rolle als Reiseleiterin, aber auch als Pilgerin. Minka Hauschild hat die Lehre des Buddhismus über das Leid verinnerlicht:
    "… und 90 Prozent machen wir mit dem Drama, was wir inszenieren. Mit unseren Ängsten, mit unseren Befürchtungen, mit unserem inneren Gejammer, mit unserem Selbstmitleid, mit unserer Selbstanklage, mit dem Gefühl, dass wir versagt haben, mit dem Gefühl, dass wir Schuld sind, mit dem Gefühl… keine Ahnung was."
    "Für mich ist Schokolade nur noch bittersüß"
    Als Deutsche aus einer bürgerlich-protestantischen Familie kennt Minka Haushild noch das Stoßgebet mit seinem – manchmal kindlichen – Wunsch, von Gott, vom Himmel, von irgendwoher möge ihr in der Not Hilfe zu Teil werden. Aber kaum hat sie so einen Wunsch gedacht, wischt sie das wieder bei Seite und findet sich mit dem ab, was der Buddhismus sagt: Das Leid gehört zum Leben.
    Die unendlich vielfältigen Bedingungen des Daseins, zumal des Zusammenlebens der Menschen und Tiere, bringen es hervor. Und der Mensch kann immerhin wählen, ob er eine unbestreitbare Not durch Jammern noch verstärkt oder in Gelassenheit eher vorüberziehen lässt. Minka Hauschild hält die Klage über das Leid für nichts weiter als eine Angewohnheit, die nicht hilft:
    "Da können wir was machen, das können wir einfach lassen. Wir können es lassen."
    Das klingt gut – und scheint doch eine schwierige Übung.
    Wie kopfgesteuert und rational muss man sein eigenes Leben betrachten, wenn man in einer schwierigen Situation die Klage aus dem eigenen Gefühlshaushalt herausdividieren will?
    Minka Hauschild – und viele andere westliche Buddhisten – machen sich das zur Aufgabe. Die Malerin bewältigt damit ein Leben, das sie immer wieder neu entwickeln muss, das nirgends auf einen ausgetretenen Pfad führt.
    Wie viel weicher klingt dagegen die Zusage des Christentums:
    "Die Spitze des christlichen Glaubens ist: Im Leide sind wir nicht von Gott verlassen, sondern […] dass Gott denen nah ist, die ein zerschlagenes Herz haben, ein gebrochenes Gemüt und die Spitze ist dann in der Tat im Kreuz Jesu, wo ja unser Glaube sagt, auch wenn Jesus selber subjektiv der Meinung war, 'Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?', ist Gott trotzdem objektiv bei ihm und lässt ihn nicht allein und führt ihn ja dann auch durch den Tod hindurch in ein neues Leben", sagt Nikolaus Schneider. Er ist evangelischer Pfarrer und war einige Jahre lang der höchste Vertreter des Protestantismus in Deutschland als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche.
    Wenn er über das christliche Verständnis von Leid spricht, klingt immer das Ringen mit seinem eigenen Schicksal durch: Er und seine Frau Anne Schneider leiden auch nach Jahren noch darunter, dass ihre jüngste Tochter, Maike, mit 22 Jahren an Leukämie starb. Sie hadern mit ihrem Gott und ertragen dennoch den Verlust, auch wenn er den Geschmack ihrer Existenz grundsätzlich verändert hat:
    "Und wir lernen, in allem Leide, durchaus auch wieder Freude zu empfinden, aber sagen wir mal, um das im Bild zu sagen: Für mich ist Schokolade nur noch bittersüß. Also es gibt nicht mehr diese volle Süße. Weil einfach diese Erfahrung mich durchs Leben begleitet. Aber das ist auch in Ordnung so, denn so merke ich ja, wie lieb ich meine Tochter hatte und sie auch mich, und das ist auch die Art und Weise, wie diese Beziehung bleibt. Und das hat auch durchaus etwas Tragendes."
    Allmacht und Ohnmacht
    Und diese Liebe ist nicht das einzige, das trägt. Nikolaus und Anne Schneider haben in mehreren Büchern und Interviews geschildert, dass sie Gottes Nähe spürten, als sie Maike in den Tod begleiteten.
    "Leid nicht als Ausdruck von Strafe und Gottverlassenheit, sondern Leiden als eine Realität des Lebens, aber auch die Erwartung, dass Gott auch in dieser Realität – in dieser dunklen Realität – in unserer Nähe ist."
    Das ist die Zusage des Christentums. Gott ist auch im Leid präsent. Er hat sich unter die Menschen begeben, er kennt ihre Not und leidet mit ihnen.
    Daraus haben viele Theologen in den vergangenen Jahrzehnten – zumal unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges - geschlossen: Dieser Gott verlangt auch, dass sich Menschen für das Leid anderer einsetzen, dass sie politisch tätig werden und Strukturen verändern, die Ungerechtigkeit und damit Leiden fördern.
    "Als Rabbiner, vor allem auch im Umgang mit anderen Menschen, ist für mich zunächst die Frage wichtig, "Woher kommt Leid? Was ist die Ursache für Leid?", sagt Daniel Alter.
    Und warum lässt Gott es zu? Wenn er allmächtig ist, müsste er das Elend der Welt verhindern können, unabhängig davon, ob die Natur es verursacht oder Menschen einander zufügen. Deshalb wird Leid auch oft als Gegenbeweis für die Existenz Gottes betrachtet – und die monotheistischen Religionen müssen sich damit auseinander setzen.
    "Es gibt oft die Idee, Gott hat das Leid geschaffen. Wenn ich es vereinfacht ausdrücken sollte, dann würde ich sagen, das Leiden ist nicht wegen Gott, sondern Gott zum Trotz geschehen."
    Daniel Alter ist Rabbiner und in Projekten des jüdisch-muslimischen Dialogs engagiert.
    "Ich werde zum Beispiel manchmal gefragt "Wie bringt man Gott als barmherzigen Gott mit schrecklichen Dingen in Einklang?" Das Paradebeispiel – das Paradigma schlechthin – wäre die Shoah, Auschwitz, […] als der Maßstab für Grauen, der Maßstab für Leid. [...] Und ich denke nicht, dass Gott solche Dinge zulässt. Denn dieses Leid wird ja nicht von Gott getan, es ist der Mensch. Man kann natürlich argumentieren, dass Gott es zulassen würde, aber Gott tut das Leid nicht. Das Leid tut der Mensch und schafft der Mensch. Gott hat diese Welt geschaffen und wenn wir bei dem Beispiel der Shoah bleiben, hat er den Menschen geschaffen mit der Möglichkeit, gut oder böse, schlecht oder ein positiver Mensch zu sein. Diese Entscheidung ist nicht in Gottes Hand und das ist zum Beispiel eine Entscheidung, die Menschen treffen, aus der für andere Menschen unter Umständen Leid resultieren kann."
    Nicht erst seit Auschwitz – aber seither verschärft – steht die Frage nach der Rechtfertigung Gottes im Raum, die Theodizee-Frage.
    "Keiner Seele wird aufgebürdet, was sie nicht tragen kann"
    Gläubige Muslime beteiligen sich weniger an dieser Diskussion. Sie geben – so scheint es – ihren Allah nicht preis, mag sich auf Erde abspielen, was will. Christen und Juden können dagegen nicht mehr von Gott reden ohne seine Verbindung zum Leiden der Schöpfung zu benennen, wie vorsichtig, unwissend oder fragend diese Äußerungen auch immer sein mögen.
    Die Bibel erzählt von einem, der die Tiefe des Leides durchschritten hat: von Hiob. Allerdings hatte Gott selbst mit Hiob in gewisser Weise gespielt. Gott überließ Hab und Gut dieses Mannes dem Teufel in einem Pakt:
    "Der Herr sprach zum Satan: Siehe, alles, was er hat, sei in deiner Hand; nur an ihn selbst lege deine Hand nicht."
    Gott war wohl selbst ein wenig neugierig geworden, ob der anständige Mensch aus dem Lande Uz wohl fromm bleiben würde, wenn Katastrophen ihm alles, was seinen Wohlstand ausmachte, rauben würden, seine Kinder und seine Herden. Aber Hiob hielt durch, nachdem Unwetter seine Familie zerstört und seine Tiere vernichtet hatten.
    "Da stand Hiob auf und zerriss seine Kleider und raufte sein Haupt und fiel auf die Erde und betete und sprach: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt. In diesem allem sündigte Hiob nicht und tat nichts Törichtes wider Gott."
    Alle drei monotheistischen Religionen kennen diesen Hiob als Urbild menschlichen Leidens. Inzwischen aber finden Hiobs Kinder und Kindeskinder ihren eigenen Bezug zum Leid. Während Muslime es eher zu ertragen scheinen, begehren Christen und Juden dagegen auf.
    Für Juden ist – noch mehr als für alle anderen – der Holocaust das Verbrechen, das Leid, das Elend, neben dem jede andere Schwierigkeit verblasst. Rabbiner Daniel Alter und Millionen anderer Jüdinnen und Juden verlieren trotz der monströsen Ereignisse nicht den Glauben an ihren Gott.
    Der Schatten bleibt aber spürbar, denn Daniel Alter und die anderen Menschen in den Generationen nach der Vernichtung der Europäischen Juden können eigenes Leid nie ganz losgelöst von dieser Erfahrung des jüdischen Volkes betrachten:
    "Dann kommt mir mein eigenes Leid oder das, was ich manchmal als Leid empfinde, einfach klein und recht unbedeutend vor, so dass das dann auch oft durch diese Beispiele relativiert wird und ich es dann tatsächlich selber etwas weniger schmerzhaft empfinde, man könnte es dann jetzt salopp ausdrücken, es hilft mir dann, mich zusammenzureißen und mit dem, was ich als Schmerz oder Leid empfinde, anders umzugehen", sagt Daniel Alter.
    Dazu verhelfen ihm auch seine Vorbilder. Daniel Alter arbeitet immer wieder in Kenia und lernt von der Kraft der Menschen, die dort ihre Armut bewältigen. Aber auch an Überlenden der Shoah nimmt er sich ein Beispiel:
    "Wenn ich die kennenlerne und dann auf warmherzige und offene Menschen treffe, die ohne Hass und ohne Verbitterung sich mit anderen Menschen in Bezug setzen können, dann ist das für mich auch etwas sehr Prägendes. Das ist ein sehr starkes Beispiel dafür, wie man mit Leid umgehen kann und wie man das Leid überwinden kann."
    Das Mittel scheint zu sein, dem Leben und all seinen Anforderungen zugewandt zu bleiben und sich ohne Verbitterung immer wieder der Gegenwart zuzuwenden.
    Auch der Islam kennt Überzeugungen, die diese Haltung möglich machen:
    "Der Mensch ist ein autonomes, mündiges Wesen. Auf der anderen Seite sagt Gott: Keine Seele wird mit was aufgebürdet, was sie nicht tragen kann."
    Himmelslohnzauber als Trost
    Duran Terzi war einer der ersten professionell ausgebildeten Lehrer für Islamkunde an deutschen Schulen, ein gläubiger, freundlicher Mann.
    Er schätzt an seiner Religion etwas, was die nicht-muslimische Reporterin überrascht: Duran Terzi bezeichnet den Islam als eine einfache Religion – und hält ihn genau deshalb für so erfolgreich: Seine Lehre, besonders die Deutung des Leidens, sei für Menschen aus verschiedensten Völkern und Kulturen nachvollziehbar.
    Duran Terzi: "Gott wird niemandem etwas aufbürden, an Leid und Glück, womit er eigentlich nicht den richtigen Weg finden kann."
    Menschen sind nach islamischer Vorstellung in der Lage, das Leid zu ertragen, das ihnen widerfährt . Denn ein Leid, das sie nicht tragen könnten, geschieht ihnen gar nicht. Sie haben ein Instrument, damit umzugehen: Geduld.
    "Und Geduld – das ist dann als Begriff "sabar" – ist im Islam dynamisch verstanden. Also Geduld heißt nicht: 'Schade, Pech, hab erlebt, okay, ich muss das aushalten' – eben nicht im Sinne aufgeben. Geduld heißt dynamisch: 'Ich muss da standhaft bleiben.' Wenn wir am Beispiel Krankheit sind – wenn ich krank werde, muss ich Geduld zeigen, heißt, ich muss dann auch mich für die Gesundheit, für die Genesung bemühen. Zum Arzt gehen, dem Rat des Arztes folgen, wenn es nicht klappt, weiter am Ball bleiben, eine andere Therapie nehmen usw – nicht aufgeben. Das ist Geduld."
    Diese Geduld formt dann den Menschen – denn eines gilt für alle Weltanschauungen und Religionen: Sie sind überzeugt, dass der Mensch wächst, wenn er Leid durchgestanden und überwunden hat.
    Duran Terzi: "Und wir müssen uns dann auch weiterentwickeln und Leid ist auch ein Faktor, ein wichtiger Faktor, woran sich die Menschen nicht nur messen, sondern auch weiterentwickeln. Wenn das nicht gäbe, würden die Menschen auch in vielen Sachen sich auch nicht weiterentwickeln können. Das ist so."
    Die dritte Überzeugung des Islam ist, dass das Leid des Lebens im Jenseits ausgeglichen wird. Niemand leidet also umsonst.
    Duran Terzi: "Ein Beispiel: Frau und Mutter überquert die Straße bei Grün und da rast ein betrunkener Fahrer und überfährt sie, Sie sind voll unschuldig. Und das ist ein Teil des Lebens leider, weil wir Menschen mit freiem Willen sind und ein Mensch, der mit freiem Willen ist, macht auch Schlimmes und Fehler. Und das wird dann im islamischen Glauben mit der Entschädigung, also Belohnung, Himmelslohnzauber wird das genannt, im Paradies, also damit wird auch dieses Leid entschädigt, ausgeglichen, und letztendlich ist es dann für die Betroffenen keine Ungerechtigkeit."
    Christen stellen sich heute Höllenqualen und himmlische Freuden im Jenseits nicht mehr so lebhaft vor, wie in früheren Epochen, als Gemälde die Folgen irdischer Verfehlungen oft drastisch vor Augen führten.
    Ist Gott ein Zyniker?
    Aber auch der Theologe Nikolaus Schneider erwartet in einem Leben nach dem Tod einen Ausgleich. Das Leben möge sich runden, Qualen ausgeglichen werden – und bezieht sich dabei auf Dietrich Bonhoeffer:
    "Theoretisch halte ich's aber auch da mit Bonhoeffer, ich kann mir ein theoretisches Konzept nicht vorstellen, wie man nüchtern diese Welt mit all ihren Abgründen und ihren Schändlichkeiten, wie man mit dieser Welt umgehen kann, ohne einen Glauben an einen Gott, der dann doch noch mal für Gerechtigkeit sorgen wird, das Gericht will ja nun auch zurechtbringen und zurechtrücken und die großen Verbrecher sollen nicht einfach so davonkommen – das ist für mich einfach eine absolut notwendige Vorstellung, um hier an dieser Welt nicht zu verzweifeln."
    Dass Leid einen Menschen reifen lassen kann, ist auch für Nikolaus Schneider – trotz aller Auflehnung dagegen – unstrittig. Dass Gott aber Leiden eigens sendet, um Menschen zu prüfen, glaubt er nicht, selbst wenn manche Theologen das annehmen:
    "Das gibt es, diese Tradition, sowohl in der Bibel wie in vielen Gesangbuchliedern, aber das ist nicht meine Theologie. Ich halte das für eine Fehlinterpretation. Ich habe kein Bild von Gott, dass er so ein Zyniker ist, der also jetzt mit Menschen spielt, um mal zu sehen, ob sie ihm wirklich treu sind. Ich habe kein Gottesbild, dass Gott nun mit uns spielt, dass er ein Zyniker ist und dass er nun Tod, Verderben und alle diese Ungeheuerlichkeiten, die es auf dieser Welt gibt, dass er die schickt, um Menschen zu strafen oder zu prüfen."
    Nikolaus Schneider hat als Gemeindepfarrer viele Menschen in schwierigen Situationen begleitet, hat sich aufgelehnt, wenn politische Entscheidungen in seinen Augen Ungerechtigkeit förderten. Angesichts seines größten Leides – dem Tod seiner 22-jährigen Tochter – hat er aber auch gelernt die vielen guten Seiten seines Lebens mehr als bisher zu schätzen:
    "Aber dass diese anderen Seiten mein bisheriges Leben eben nicht in Frage stellen und nicht einfach alles zerstören, sondern dass diese Leiderfahrung auch mit sich trägt, bei allem Schweren, das noch einmal ganz anders zu schätzen, was es auch an Schönem gibt – das habe ich erfahren."
    Die Buddhistin Minka Hauschild – die Malerin und Yogalehrerin – versucht immer wieder sich selbst auf die Schliche zu kommen, zu verstehen, wie sie Leid intensiviert, indem sie – und niemand sonst – dem Schicksal Forderungen stellt, anstatt es einfach hinzunehmen:
    "Weil häufig hängt ja an unserem Begehren auch so ein finaler Gedanke: "Wenn ich das dann jetzt habe, dann wird endlich mein Leben besser, wenn ich die Ausbildung abgeschlossen habe, wenn ich das Haus habe, wenn ich den Arbeitsvertrag habe, wenn ich den Mann habe, den ich begehre, wenn ich frei bin von Schmerzen, wenn ich gesund bin – dann wird alles besser und insgeheim hoffen wir, dass dieses Besserwerden von Dauer ist. Das ist es aber nicht."
    Aufstehen, sich schütteln, weitermachen
    Minka Hauschild macht es zu ihrer Übung in der Meditation, Freuden zu genießen, am Leiden zu wachsen – und sich dabei immer wieder klar machen, dass das Leid immer da sein wird. Wenn sie ihm ohnehin nicht entkommen kann, warum sich also darüber aufregen?
    "Als Freiberuflerin bin ich immer großen Schwankungen unterworfen. In der Malerei – dann gibt es Ausstellungen, dann wieder keine, Es gibt Erfolge, es gibt Misserfolge. ich kann dafür sorgen, dass meine Sicht darauf entspannter ist. Und das hat mir einfach sehr gut geholfen, die scheinbar unsteten Lebensstil relativ leicht und zuversichtlich durchzuführen – bis heute."
    Wie Menschen das im Leben unvermeidliche Leid wahrnehmen, hängt entscheidend von ihren Überzeugungen ab und diese sind noch immer geprägt von der Religion. Einen Sinn zu sehen, wo rational betrachtet keiner ist – das kann das Repertoire des Umgangs mit allem was Leid verursacht – selbst mit Verlust, Tod und Trauer, erweitern. Rabbiner Daniel Alter etwa hat sich von klein auf eine Widerstandskraft antrainiert, die, wie er vermutet, auch zu seinem jüdischen Erbe gehört:
    "Das ist letzten Endes auch das, was ich in der Kindheit ein bisschen mitbekommen habe – Hinfallen heißt: Aufstehen, sich schütteln, weitermachen."