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Hip-Hop-Film und -Wirklichkeit

Unter dem Titel "Zeiten ändern dich" ist im Kino die Autobiografie des Berliner Rappers Bushido angelaufen. Die Bernd-Eichinger-Produktion erzählt vom Aufstieg eine Migrantenjungen zu einem der erfolgreichsten Popmusiker in Deutschland. Die Masse der Berliner Rapper dichtet aber heute noch mit knurrendem Magen.

Von Jens Rosbach | 04.02.2010
    Alle sind versammelt außer mir
    Ich bin hier ganz allein
    35 Grad und ich frier
    allein.


    "Meine Texte handeln viel von einer Art grauer Perspektive auf das Leben. Ich sage immer ganz gern: so ein deutsches Grundgefühl. Wo viele Leute dann auch im Internationalen sagen: Guck, die Deutschen sind doch immer die, die so schlecht gelaunt auf der Straße laufen und die die Fresse so ziehen und sonst was. Das ist eben so eine Perspektive eben."

    Johannes Bruhns ist Nachwuchs-Rapper in Berlin. Der 23-Jährige, der aus Reutlingen stammt, hat einen russischen Vater. So verbrachte Johannes seine Teenagerzeit mit Russland-deutschen Migrantenkindern. Meistens hingen sie an Tankstellen ab - mit Jogginghose, Lederjacke und Goldkettchen. Betont proletenhaft.

    "Ich habe mein Gymnasium abgebrochen. Ich sag immer, ich hab es abgebrochen, weil ich mich so wahnsinnig um die Musik kümmern wollte. Im Endeffekt wollte ich einfach ein bisschen kiffen und koksen und mich prügeln und dann irgendwann klarkommen."

    Bruhns rappte nebenbei, trat in jedem Drecklochklub auf, wie er sagt, und machte sich bald einen Namen als Szenekünstler Tua. Heute lebt er in der Hip-Hop-Hauptstadt Berlin - als einer der wenigen Rapper, die mit dem Reimen ihre Brötchen verdienen können.

    "Ich glaube, es gibt nicht mehr so wahnsinnig viele Leute, die da vollberuflich von leben können überhaupt. Die so ein- bis zweitausend Euro im Monat, die es dann sind - mal ist es mehr, mal ist es auch halt mal gar nichts, aber so ist es nun mal als Freiberufler - die sind schon cool so. Also ich bin auf jeden Fall froh und dankbar darum - und jäh!"

    Die Masse der Berliner Rapper dichtet mit knurrendem Magen. Viele Möchtegern- und semiprofessionelle Künstler produzieren ihre Songs in Mini-Heimstudios und präsentieren sie dann im Internet. Besonders angesagt ist verspielte Musik, also Collagen mit Samples verschiedenster Musikrichtungen. Im Trend sind auch Rapper, die sich ganz bewusst kein Image geben - und im schlichten Pullover auftreten. Anti-Image nennt sich das dann.

    " "Oh Shit Alter, ich bin der geborene Loser, der Abkacker im Freestyle, der Nichtskönner, aber Brenner du weißt genau, am Mikrofon bin ich der Dauerrenner. Ich renne schneller, als Michael Schumacher fährt. Aber trotzdem wirst du sehen: Am Mikrofon bin ich immer hochverehrt und begehrt." "

    Die Zeiten haben sich geändert: Viele Jahre ging nichts ohne Image - gerade ohne Gangster-Image. So wurde Ende der 90er Jahre die Rap-Bühne Royal Bunker ins Leben gerufen. Auf diesem "Getto-Podium" sagten Freestyle-Künstler ihre Spontan-Reime auf. Zum einen versuchten sie, sich gegenseitig zu "dissen", also zu bekämpfen. Zum anderen lästerten sie über den soften Hip-Hop, der aus anderen deutschen Städten kam - wie die Mainstream-Musik der Fantastischen Vier. Szene-Kenner Markus Staiger hatte die Freestyle-Bühne gegründet - und daraus später ein eigenes Label entwickelt. Staiger erinnert sich, wie die Berliner Rapper die braven, bürgerlichen Künstler - die sogenannten "Hip-Hop-Beamten" - verbal attackierten:

    "Das war ein bisschen asozial, aber es war notwendig. Aber es war halt lustig. Also man hat halt diese weichgespülten Bands, die von Haus aus Popmusik da produziert haben aus Hamburg, aus Stuttgart, die hat man halt gehasst. Die haben halt gesagt: Hallo, wie geht`s? Und wir haben gesagt: Ja, fick deine Mutter!"


    "Es ist ja dann schon sehr stilprägend geworden, was wir da gemacht haben. Oder was einige Nachfolger dann daraus gemacht haben. Also, ich meine, Bushido ist einer der erfolgreichsten Rapper Deutschlands geworden mit diesem asozialen Gangsta-Style. Und ich meine, der hat sich als Erfolgsmodell durchgesetzt. Und sehr viele Leute wollten ihm nacheifern. Klappt natürlich nicht."

    Die Berliner Rap-Szene: einzelne Stars, wie Bushido und Sido, die Millionen verdienen. Sowie Dutzende Amateure und Raptalente mit leerem Portemonnaie. Abseits der Kunst-Community versuchen sich auch Berliner Problem-Jugendliche im Rappen - unter Anleitung von Sozialarbeitern. So bringt der 40-jährige Olad Aden türkische und arabische Jugendliche zum Reimen und Singen. Das pädagogische Konzept:

    "Wenn ich jetzt mit einem Jugendlichen darüber ins Gespräch komme, der immer nur Sachen schreibt, wie: Ich ficke deine Mutter und ich hau dir in die Fresse uns so. Dann ist ja eigentlich gleich klar, dass der total gefrustet ist, wütend ist und alle möglichen Probleme hat. Und dann frage ich mich natürlich: Warum müssen es denn immer die Schwulen sein? Warum müssen Frauen immer dafür herhalten? Und dann kommen wir ganz schnell ins Gespräch, darüber wo sein Frust eigentlich ist. Dass er keinen adäquaten Ausbildungsplatz gefunden hat. Und dann kann man auch ganz schnell irgendwie mit Projekten folgen."

    Ich bin jung, ich stand dem Tode nah
    scheiß drauf, ich rapp mich hoch und mach mir jetzt mein Traum war
    das ist das Leid meiner Eltern, was ich nicht mehr tragen kann
    man ich geh raus und zeig den Leuten was ich kann
    Ich bin ein Berliner Türke


    Die Teilnehmer des sozialen Rap-Projektes haben zumeist Probleme in der Schule und Ärger mit der Polizei. Streetworker Aden, angestellt beim Berliner Verein Gangway, produziert mit den Migrantenkindern richtige CDs, die dann auch vermarktet und verkauft werden.

    "Mütter der Jugendlichen, die bei uns projektinvolviert waren, wenn die dann einkaufen gehen und irgendwie durch Zufall im Supermarkt das Album stehen sehen haben, das wo ihre Kinder dann auch drauf sind, dann sind die natürlich superstolz und rufen mit Tränen in den Augen ihre Söhne an und sagen, wie stolz sie auf sie sind und so."

    Die Berliner Rap-Szene strahlt nicht nur in die Problem-Viertel hinein. Auch auf den Schulhöfen gutbürgerlicher Bezirke feiert man die jeweiligen Stars. Und die übrige Bevölkerung geht gern in Hip-Hop-Läden shoppen, vor allem in Klamottenläden. Kapuzen-Kleidung, Schlabberhosen und T-Shirts im Graffiti-Style gibt es mittlerweile auch in großen Mode-Ketten. Für alle Hauptstädter, die auch mal Gangster spielen wollen.

    "Ich sehe da oft, wenn ich in der S-Bahn fahre, Leute, die mit Hip-Hop nicht zu tun haben. Man sieht, seien es irgendwelche krassen Glatzen, die ihre politische Gesinnung quasi vorne raustragen. Auch ganz normale C&A- und H&M-Leute haben verstärkt breitere Schnitte und sonst was gewählt. Und das sind einfach Sachen, die kommen aus dem Hip-Hop. Das muss man sagen. Also wenn der Doktorandensohn mit Baggy-Jeans nach Hause kommt, wird der wahrscheinlich nicht mehr schräg angeguckt werden, das war vor ein paar Jahren noch anders."