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Hip-Hop in Wort und Schrift

In seinem Debüt-Roman "Sound" orientiert sich der Autor Tom M. Wolf an Strukturen des Hip-Hop. Der Erzählstrang wird immer wieder durch Loops aus Gedankenfetzen, Songtexten oder Gesprächen unterbrochen. Durch diesen Mix entsteht ein völlig neues Leseerlebnis.

Von Ina Plodroch |
    Rap, Gesang, ein Beat, Soundsamples. Stimmen schwirren durcheinander, überlagern sich auf mehreren Spuren, brechen ab.

    Multitracking - im Hip-Hop nichts Ungewöhnliches. In der Literatur eher selten. Bei Tom M. Wolf, dem Autor des Romans "Sound", wird es zum Stilprinzip. Wolf:

    "Jemanden, der Hip-Hop hört, aber kein Musiker ist, und die gesamte andere Zeit, wenn er nicht gerade Musik hört, Romane liest, braucht etwas, das nicht wirklich Musik und nicht wirklich Schreiben ist, sondern irgendwas dazwischen. Um diese unterschiedlichen Einflusse zueinander zu bringen. Also schien für mich ein Buch, das Musik und Literatur verbindet, am besten."

    Tom M. Wolf ist 29 und studiert Jura in Yale. Sein Herz schlägt für Hip-Hop - Wu-Tang Clan, J Dilla, DJ Premier - und für die Literatur. Aber er kann nicht rappen oder reimen. Also hat er einen Roman geschrieben und sich von den Songstrukturen des Hip-Hops inspirieren lassen. Loop, Remix, Multitracking. Ein Hip-Hop Album zum Lesen.


    "Sie ließ sich mit einem Lächeln wieder auf ihre Hacken fallen. Mein Gehirn konnte es gar nicht so schnell verarbeiten. Woher kam das denn? Die Türen schlossen sich hinter ihr. Sie schaute nicht zurück, sie... In echt. Das hier ist wirklich gerade passiert. Vera zog mich an sich und küsste mich, lang und ausgiebig, ihren Körper an meinen gepresst. Warm, da, real. Sie wandte sich ab, um in den Bus zu steigen. Ich griff nach ihr und zog sie an mich, für einen zweiten Kuss. Sie wehrte sich nicht. Als ich anschließend hoch schaute, starrte der halbe Bus uns an."

    In "Sound" geht es aber nicht um Gangster oder Bandenkämpfe. Sondern um Cincy, ein junger Mann, dessen Promotionsstipendium nicht verlängert wurde. Er zieht zurück in seine Heimatstadt irgendwo an der Küste New Jerseys und jobbt bei einer Werft. Zwischen Bar, Yachthafen und alten Bekannten, ist der Ich-Erzähler in erster Linie unsicher und orientierungslos. Dann lernt er Vera kennen. Boy meets Girl. Die klassische Geschichte. Schon x-mal erzählt. Aber Wolf findet in "Sound" eine neue Form dafür.

    "Es kommt darauf, an welche Formen man benutzt und wie diese zu dem passen, was man sagen will. Ich denke, Multitracking funktioniert hier, weil es eine besondere Form des Bewusstseins abbildet, nämlich jemanden, der unterschiedliche Gedanken in sich trägt."

    Das heißt: Wolf bricht immer wieder aus der klassischen, linearen Erzählstruktur aus. Gesprächsfetzen, Songzitate, Gedankenschnipsel schieben sich ineinander. Die Zentralfigur Cincy ist verkopft - denkt viel, sagt wenig davon. Seine Gedanken laufen parallel zu den Gesprächen, wiederholen sich wie ein Loop in einem Hip-Hop-Song. Kumpels quatschen durcheinander, werfen Kommentare ein, wechseln das Thema. Das ist dynamisch, alltagsnah und intensiv.

    Der Leser muss sich daran gewöhnen, nicht 355 Seiten Fließtext vor sich zu haben, sondern vor allem graue Linien, auf denen die Dialoge und Gedanken in verschiedensten Typografien abgebildet sind. Von links nach rechts immer eine Zeile weiter lesen funktioniert bei "Sound" nicht. Das Auge muss zwischen den Zeilen springen. Das ist anstrengend. Mit der Zeit wird diese Form aber spannend, Gespräche werden schneller und unmittelbarer. "Sound" soll Vinyl zum Lesen sein.

    "Eine Platte hat eine A- und eine B-Seite, wenn man mit der A-Seite durch ist, legt man die B-Seite auf, dann wieder die A-Seite. Das schien für mich ein passendes Bild zu sein für diese Kreise, diese Wiederholungen, mit dem der Erzähler konfrontiert ist"

    23 Kapitel wie Songs. Cincys Liebesgeschichte läuft nebenher, "Sound" dreht sich vor allem um seine Form: Remix, Sampling, Loops. Diese Pop Elemente bestimmen Wolfs literarischen Stil. "lesend hören", wie der Verlag verspricht, lässt sich "Sound" nicht. Denn am Ende ist es natürlich ein Roman und keine Platte.

    Literaturhinweis: Tom M. Wolf: "Sound", aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Berlin Verlag, Berlin 2012. 355 Seiten, 22,99 Euro