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Hip-Hop
Käptn Peng, der Philosoph

Schnelle Autos, schöne Frauen, Sex und Gewalt. Im Hip-Hop sind Texte über diese Themen alltäglich. Nicht bei einer Gruppe aus Berlin: Schauspieler Robert Gwisdek alias Käptn Peng und die Tentakel von Delphi interessieren sich viel mehr für den Ursprung des Seins.

Von Carina Vogt-Schröpfer | 23.01.2014
    Im Hörspiel "Der geheimnisvolle Fremde" von Mark Twain (DKultur, 2013) spielt Robert Gwisdek die Figur des Seppi
    Robert Gwisdek ist Schauspieler und als "Käptn Peng" auch HipHop-Künstler. (Deutschlandradio - Gudrun Haggenmüller )
    "Meine sehr verehrten Damen und Herren ich befinde mich im Kampf mit einem sagenumwobenen Tier gigantischen Ausmaßes. Es wird die Hydra genannt. Für jeden Kopf, den man der Hydra abschlägt, wachsen ihr zwei weitere nach. Was die Sache nicht eben einfacher macht."
    Wenn der Berliner Schauspieler Robert Gwisdek mit seiner Hip-Hop-Formation auf der Bühne steht, ist er Käptn Peng. Zusammen mit seinem Bruder Johannes alias Shaban und weiteren Musikern, die sich die Tentakel von Delphi nennen, erzählt er dem Publikum von Selbstfindung und Grenzerfahrungen. Mit Masken verkleidet oder Federschmuck auf dem Kopf versucht er, Monster und Drachen zu zähmen, und fragt sich immer wieder, was ist Realität und was ist Existenz.
    "Ich trag ein Kreuz mit dem Wort, das zu enträtseln ist, es ist 'Ist'. Wie könnte es anders sein, alle andern Rätsel sind im Kern viel zu klein. Ist 'Ist' real oder ist 'Ist' nur Schein?"
    Meinhard Zanger, Philosoph und Intendant des Wolfgang Borchert Theaters in Münster zählt Käptn Peng nicht zu den Vertretern des klassischen HipHop:
    "Es ist meines Erachtens sogar eine politisch-philosophische Spielform davon. Weil die Kunst ja ein bisschen auf den Kopf gestellt wird und sich damit zur Antikunst entwickelt. Und das ist ja eigentlich die Tendenz oder das Ziel der Dadaisten gewesen, die ja gegen die bürgerliche Gesellschaft oder die Ideale, die die bürgerliche Gesellschaft hatte, und gegen die Wertesysteme sich gestellt hat."
    Kritiker sprechen von sinnfreien Texten, Fans von philosophischer Tiefe
    Er betrachtet das Werk als neodadaistische Bestrebung. Dazu passen die selbst gemachten Instrumente. Töpfe, Koffer, Ketten liefern einen unverwechselbaren Klang. Die Bühne gleicht einem Trödelmarkt, Teppiche, ein Blumenstrauß, eine umgedrehte Blechwanne. Zwischendrin die Aufforderung des Sängers: "Lasst uns ein Alphabet vernichten." Kritiker von Käptn Peng sprechen von sinnfreien Texten, Fans von philosophischer Tiefe.
    "Jedes Wort hat nicht nur eine, sondern fünf Bedeutungen. Was ja auch ihre Sprache im Grunde ausmacht und von daher ist auch deren Kunst, wie man es auch nennen kann, ein Zeichen für die deutsche Dichter-und-Denker-Kultur. Halt, Goethe auf Bass."
    Der Song "Kampf gegen die Hydra" ist angelehnt an die griechische Mythologie. Herakles’ Aufgabe ist es, das Schlangenwesen mit den vielen Köpfen zu erlegen. Später in der Französischen Revolution wird die Hydra als Bild für den Kampf des Volkes gegen den Adel benutzt. Und hier...
    "Oh mein Gott, die Hydra bin ich!"
    ...bei Käptn Peng stellt sich die Hydra überraschend als der eigene Verstand heraus.
    Käptn Peng sagt: "Die Hydra in mir, von meinem Gefühl her, ist der nicht abreißen Gedankenstrom und Assoziationsstrom, den mein Gehirn produziert und die ganze Zeit alles irgendwie in Verhältnis zueinander setzt und die ganze Zeit alles irgendwie wahrnimmt. Ich glaub', das passiert jedem Menschen ähnlich. Und wenn man einmal versucht hat, das anzuhalten, diesen Strom, stellt man, glaube ich, oft fest, dass das gar nicht so einfach ist. Und dass, wenn man es wirklich versucht, es fast wie ein innerer Gegner ist, der halt die ganze Zeit nachwächst und wenn Du ihm einen Stumpf abgeschlagen hast, dann wachsen zwei nach. Und du kriegst ihn nicht so ganz zu fassen, deinen eigenen Geist."
    Der Philosoph Meinhard Zanger spricht in diesem Zusammenhang von selbstreferentiellem Arbeiten. In der heutigen Zeit stehe nicht mehr der Klassenkampf im Mittelpunkt, sondern der Mensch kreist seiner Meinung nach um sich selbst.
    "Also es gibt einen wunderbaren Satz von Christoph Hein in dem Theaterstück 'Die wahre Geschichte des Ah Q', der lautet: Die Welt dreht sich, sie kommt nicht vom Fleck."
    Aus diesem Zustand schöpft Käptn Peng offenbar die Ideen für seine Musik. Die Frage "Wer bin ich" und die Annäherung an eine Antwort beschäftigen ihn im wahren Leben eben so wie auf der Bühne. In dem Lied "OHA" verliert er seinen Verstand, um zur Erkenntnis zu kommen.
    "Alles brauste hoch und wurde riesengroß. Ich löste mich auf, wurde leer und bloß und verstand: Mein Gott, ich bin der Fluss, nicht das Floß."
    Käptn Peng: "Ich meine ab und zu kurz zu wissen, wo ich mich suchen muss, um mich kurz zu berühren zum Beispiel. Aber ich hab mich noch nicht ganz gefunden und heimgeholt, sozusagen. Aber ich hab so eine kleine Visitenkarte von mir selbst, wo ich dann manchmal hinfahre und sage, ach hier bist Du ja! Und dann freue ich mich, mich wiederzusehen und dann muss ich mich schon wieder verlassen und in die Welt hinein und verwirrt sein und so was."
    Spekulationen über Faust als Vorbild
    Über literarische Vorbilder will Käptn Peng nichts verraten. Spekulationen gibt es viele. Ein Blogger will in dem Stück "Parantatatam" Parallelen zur Anfangsszene des Faust erkennen:
    "Parantantatam etwas möchte beginnen etwas möchte von außen nach innen. Etwas möchte von innen nach außen. Etwas will sich mit Etwassen austauschen."
    Meinhard Zanger ist davon überzeugt, hier gereimte Gesellschaftskritik vorzufinden:
    "'Etwas hier drinnen will zerspringen und zerfetzen, etwas steht jetzt auf und wird sich nie wieder setzen.' Das ist ja programmatisch. Wir wissen nicht, was mit dem Etwas gemeint ist, aber hier ist ja schon implementiert die Frage nach eventuell einer Revolution. Es geht um die Frage: In welcher Welt leben wir?"
    Und: Was ist Ihr Ursprung? Darum geht es in dem Stück "Sockosophie":
    "Genaugenommen dürfte es das alles gar nicht geben. Warum? Naja woher soll es denn kommen? Aus dem Nichts! Hey wir haben gesagt genaugenommen! Und genaugenommen kann aus nichts nichts entstehen."
    Die Quelle allen Seins wird am Ende als Socke auf einer Hand entlarvt. Man müsse sich lustig über die Ernsthaftigkeit machen können, sagt Käptn Peng. Die Ironie verhelfe einem dazu, sich schneller zu bewegen und mehrere Standpunkte einnehmen zu können. Damit werden die Konzerte zum Puppentheater für Evolutionstheoretiker, und die Gemeinde der Liebhaber philosophisch-wissenschaftlicher Texte wird immer größer.