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Hip-Hop und Bach

Die Gruppe "Flying Steps" ist vierfacher Weltmeister im Breakdance und wurde 1993 in Berlin gegründet. Sie sind Hauptpersonen bei Regisseur Christoph Hagels Interpretation des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach: "Flying Bach" in der Neuen Nationalgalerie Berlin.

Von Elisabeth Nehring |
    Schon vor der Neuen Nationalgalerie treffen verschiedene Welten aufeinander: Aus brummigen Lautsprechern dröhnt deutsche Klassik - Bachs Wohltemperiertes Klavier gegen großstädtischen Verkehrslärm -, die Videoleinwand zeigt in schnellen Schnitten Dance-Styles: Popping, Locking, Powermoves, die virtuosen Rituale einer bewegten Jugendkultur. Und so wenig das im Kopf des Kulturpuristen zusammen geht, so elektrisierend ist es für einen Moment beim Eintritt in die luftige Halle des Mies-van-der-Rohe-Baus, der seine Umgebung nicht draußen und vergessen, sondern durch komplette Verglasung immer sichtbar bleiben lässt. Ein Ort für die Kunst, in dem die Realität stets präsent bleibt - gut gewählt für ein Projekt wie dieses, in dem verschiedene Ausdrucksformen von Kulturen und Zeiten auftreffen.

    Auch der Beginn der Vorstellung löst noch die etwas skeptischen Erwartungen ein: Christoph Hagel lässt die ersten Töne in C-Dur erklingen, die japanische Tänzerin Yui Kawaguchi erscheint hinter der Scheibe, draußen. Matt und geheimnisvoll erleuchtet, zart wie ein hingehauchter Strich. Mehr als ein paar gut gesetzte, beiläufige Bewegungssequenzen, Rundungen der Arme und Wellen des Torsos braucht sie für ihren Teaser erst einmal nicht. Die eigentliche Eröffnung, die zeigen will, wo es lang geht, übernehmen die Jungs auf der Bühne im Innenraum: virtuoses Rotieren auf dem Boden, ein endloser Headspin, der sich in der Dynamik der Bach'schen Fuge verlangsamt und wieder beschleunigt - da meint man zu verstehen, was Christoph Hagel an den Berliner Hip-Hoppern fasziniert:

    "Rhythmus, Fröhlichkeit, diese andere Art von Community, die leben ihren Traum und leben anders zusammen als, wie soll ich sagen, der etablierte Künstler, die Sänger, die Musiker. Ich fand das interessant. Das hat eine Energie, eine Kraft und die wollte ich mit dem Bach in Berührung bringen."

    Tatsächlich kommunizieren das reiche, virtuose Bewegungsmaterial und die Dynamik der verschiedenen Tanzstile, die unter den Begriffen Breakdance oder Hip-Hop zusammengefasst werden, hervorragend mit Bachs Wohltemperiertem Klavier. Hier kontrastieren nicht unantastbare Heiligkeit der Musik und körperliche Profanität; im Gegenteil treffen zwei strukturell komplexe Ausdrucksformen in technischer Virtuosität aufeinander. In ihrer Vitalität, aber auch im Umgang mit kurzen Zeiteinheiten ergänzen sie einander; das scharfe, akzentuierte, stets zu kurzen Clips komprimierte Vokabular des Hip-Hops geht gut mit dem kontrapunktischen Rhythmus zusammen. Christoph Hagel schätzt an der Bachschen Musik:

    "Die Urfröhlichkeit, die völlige Abwesenheit von Sentimentalität, dann doch eine gewisse Strenge, die die auch haben."

    Und wäre es, ähnlich eines Kammertanzabends, bei der bloßen Begegnung von Musik und purer tänzerischer Bewegung geblieben, hätte man um einen ungewöhnlichen Eindruck bereichert nach Hause gehen können. Aber der Abend "Flying Bach" (oder besser: "Red Bull Flying Bach" - der Sponsor möchte nicht ungenannt bleiben) will mehr und so wird um die einzelnen Tanzsequenzen eine ganze Geschichte gebaut: fünf Jungs und ein Lehrer beim Training, die Konkurrenz, Trauer, Freude und Kampf durchleben und sich schließlich noch um eine mysteriöse Frau streiten müssen. An der Rahmenhandlung zeigt sich - im Scheitern - ganz viel: nicht nur, dass ein guter Tänzer nicht auch zugleich ein guter Darsteller sein muss, und einer, der roboterhaftes Popping und hyperschnelles Krumping beherrscht nicht auch einem anderen auf der Bühne glaubhaft einen Schlag versetzen oder auf den Fuß treten kann; es zeigt sich auch, dass die hervorragende Beherrschung von Figuren und Körpertechniken nicht zugleich auch gute Gruppenchoreografien hervorbringt.

    Vartan Bassil, der für die Gesamtchoreografie verantwortlich zeichnet, fällt damit hinter den zeitgenössischen Tanz zurück; der szenisch-theatralische Rahmen zur Aufwertung des Tanzes ist gar nicht nötig wirkt konventionell, fast altbacken. So kreativ die Hip-Hopper mit ihrem Bewegungsmaterial umgehen und verschiedene Stile mischen, so unkonventionell die Idee ‚Bach meets Breakdance' überhaupt ist, so wenig innovativ oder auch nur fantasiereich ist die choreografische Umsetzung.

    Nur die musikalischen Bearbeitungen von Ketan und Vivan Batti überzeugen noch weniger: Bach elektronisch zerscratcht, zerschreddert und zerschunden - man muss kein Purist sein, um das schmerzhaft wahrzunehmen.

    Trotzdem ist die Verbindung Bach und Hip-Hop Erfolg versprechend: In der Reduktion und Konzentration auf Tanz und Musik würde über den erzieherischen ein echter künstlerischer Wert entstehen.