Archiv


Hippe Trachten

Was hat ein Nadelstreifenanzug mit einer Punkerjacke zu tun? Und was eine Brauthaube mit einem Cappy von einem Hip-Hopper? So einiges - finden die Ausstellungsmacher im Museum für sächsische Volkskunst in Dresden.

Von Heike Schwarzer |
    Igor Jenzen lässt keinen Zweifel an seinem Status.

    "Der Status ist klar, ich bin offiziell hier.''"

    Was trägt also Igor Jenzen? Auch eine Tracht?

    ""Es ist eine Amtstracht. Ja, genau. Ich trage natürlich Nadelstreifen, wie sich das gehört für einen Direktor."

    Igor Jenzen vom Museum für Sächsische Volkskunst kann sich für Trachten begeistern. Für heutige und für historische. Für ihre herrliche Vielfalt und ihre Herkunft.

    "Vor der Hochzeit, also vor der Zeit, in der man sich niederlässt, Haus baut, Familie gründet usw. ist es besonders wichtig, sich einer Gruppe zuzuordnen, Aufmerksamkeit zu erregen. Und so war das früher auch im Trachtenwesen. Die Trachten vor der Hochzeit sind die spannendsten überhaupt, die schreien immer, ich bin hier, nimm mich, nimm mich."

    Straffe Mieder, fesche Dirndl und krachlederne Hosen – Igor Jenzen weiß um die stereotypen Bilder. Und ihm kommt der Hype nur gelegen: Trachten liegen im Trend.

    "Ja, von Süddeutschland schwappt eine Trachtenwelle über das Land, aber wenn Sie bedenken, dass die Trachten natürlich heute als Hauptmerkmal ein schönes Dekolleté haben, dann muss ich Ihnen sagen, in der vorindustriellen Zeit war Dekollté absolut ein "no go"."

    … und deshalb sind sie in der historischen Abteilung der Dresdner Trachtenausstellung auch nicht zu finden. Dagegen: hoch geschlossene Baumwollkragen, steife Gewänder, aufwendiger Kopfputz aus Perlen und riesige Brustbänder. Wohlstand, Herkunft oder Ehestand – viel lässt sich aus den alten Trachten ablesen.

    "Da haben wir hier Vogtländer, da gibt es Hauben von unverheirateten Mädchen, die noch ganz jung sind, die sind rot, daher kommt Rotkäppchen. Wenn die dann versprochen sind, wird die Kappe grün, wenn sie verheiratet sind, kann die Haube auch andere Farben haben."

    Einem strengen Regelwerk, ausgeklügelten Insider-Codes und mancherlei Verboten unterliegt all diese handwerkliche Schönheit in den Vitrinen. Auch Holger John, Kurator der Ausstellung und eigentlich studierter Grafikdesigner, kommt daran nicht vorbei.

    "Die Volkskunst, das ist nicht verstaubt, nicht von vorgestern. Wenn man einmal so eine kleine Haube betrachtet hat, das ist wie Google, wo man sich verliert, da muss man irgendwann den Stecker ziehen, sonst ist man weg."

    Er bringt zur Austellung ein Hochglanzmagazin heraus. John nennt es eine "Vogue für Volkstracht-Fashion". Volkstracht ist stylisch: Feine Hemden und Mieder, gefaltete Unterröcke und bunte Schürzen und dann diese Spencer, kurze Hüftjacken mit monströsen Puffärmeln. Die Modelle sehen aus wie aus der Frühjahrskollektion von Dolce und Gabanna, stammen aber aus Sachsen, 19. Jahrhundert. Schnitte und Stoffe...

    "das ist heimische Produktion, selbstverständlich."

    … bestes Handwerk, feinstens verarbeitet. Schätze aus dem Fundus der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

    Zwei Räume weiter – ein krasser Gegensatz: Ein Vitrinen-Defilee. Das schwarze Outfit einer Gothic-Fee, daneben eine reich verzierte Rockerkluft, dahinter Bankerinsignien, Hip-Hop-Klamotten und eine Punkerjacke.

    ""… mit Hunderten zum Teil aus Holz gedrechselten Zacken geschmückt ist. Was ich hier sehe als Volkskunstdirektor ist, natürlich Volkskunst. Und: hier tobt der Gestaltungswille. Hier tobt auch ein Ordnungswahn, wer hätte das gedacht, bei Punks."

    "Eine Prachttracht, die riecht auch original, die ist nicht gewaschen wie auch die Kluft vom Rocker, die kann man nur mit Fingerspitzen anfassen."

    Holger John ist eigentlich kein Museumsmann. Er trägt typische Künstlerkluft mit knautschigem Hemd – weiß – und ein Jackett – schwarz - und dazu Jeans.

    "Das Verrückte ist, dass alles seine Regeln hat. Und wir mit unserer angeblichen Demokratie haben die Möglichkeit uns eine Tracht selber auszusuchen, die wir im Alltag tragen. Ist aber nicht ganz so. Ein Banker darf nicht mit Hip–Hop-Klamotten, wir behaupten, einer Tracht, einer Mode, zur Arbeit kommen. So ist es beim Punk genau so. Die Zeichen und Symbole haben wie bei den alten Ägyptern etwas zu sagen. Und so ist es in der Volkstracht auch."

    Trachtenkunst von einst und Szenemode von heute. Sie macht Spaß diese Welt der Kleidung und Verkleidung, vielleicht, weil sie doch überraschend streng, extrem codiert, dafür aber bunt anzuschauen ist. Holger John hat auch einen 17 Meter langen Fries gezeichnet, damit wird jeder "Normalo"-Besucher zum Museumsobjekt. Ob er will oder nicht.

    ".. dass jeder sich auch aussuchen kann, wer er gern sein möchte. Deswegen auch die lange, lange Spiegelwand. Und das sind dann vielleicht, die wirklichen Trachten."