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Hirnforschung
Wie sich die Risikobereitschaft im Alter entwickelt

Im Prinzip sollen Menschen mit dem Alter immer abgeklärter und weiser werden. Die Frage ist nur, ob das so stimmt? Amerikanische Psychologen und Hirnforscher haben sich das Risikoverhalten älterer Menschen nun genauer angeschaut. Mit überraschenden Ergebnissen.

Von Martin Hubert | 14.12.2016
    Ein Roulette-Spieltisch in der Stuttgarter Spielbank.
    Die Ergebnisse zeigten zunächst, dass ältere Menschen tatsächlich weniger riskant handelten als die Jüngeren. (DPA/ Christoph Schmidt)
    Auf dem Höhepunkt der letzten Finanzkrise forderten einige Experten einen Generationenwechsel auf dem Börsenparkett. Dort wären einfach zu viele junge Börsianer aktiv, die zu risikoreich pokerten. Sie sollten daher durch ältere Börsianer ersetzt werden, die vorsichtiger mit Gewinn- und Verlustchancen umgehen würden.
    Risikobereitschaft jüngerer Menschen untersucht
    Dahinter steckte die verbreitete Vorstellung, dass ältere Menschen aufgrund ihrer Lebenserfahrungen sozusagen von Natur aus ruhiger und besonnener mit Risiken umgehen. Aber wäre das wirklich schon die Lösung, einfach jung durch alt zu ersetzen? Die Ergebnisse einer Forschergruppe um die Neurowissenschaftlerin Ifat Levy von der Yale School of Medicine in New Haven lassen daran zweifeln. Ifat Levy hatte in früheren Studien bereits die Risikobereitschaft jüngerer Menschen untersucht.
    "Dort hatten wir eine enge Beziehung gefunden zwischen dem Volumen der grauen Substanz im hinteren Scheitellappen des Gehirns und dem Risikoverhalten jüngerer Menschen. Individuen mit mehr grauer Substanz, also mit mehr Nervenzellkörpern in dieser Hirnregion, verhielten sich risikobereiter als Personen mit weniger grauer Substanz."
    Im hinteren Scheitellappen laufen verschiedene Nervenbahnen zusammen, die mit Wahrnehmung und Bewegungsabläufen zu tun haben. Er ist an Entscheidungen darüber beteiligt, ob und wie sich jemand auch in unsicheren und riskanten Situationen bewegen soll. Die Studie von Ifat Levy legte nun nahe, dass er auch für riskante Entscheidungen geistiger Art zuständig ist. Und das führte automatisch zu der Frage: Besitzen ältere Menschen weniger graue Substanz im Scheitellappen und gehen deshalb vorsichtiger mit Risiken und unsicheren Entscheidungen um?
    "Das untersuchten wir an 52 Testpersonen, die zwischen 18 und 88 Jahre alt waren. Jede von ihnen konnten 60 mal zwischen einer sicheren und einer riskanten Geldentscheidung wählen. Sie konnten ein Spiel spielen, das ihnen sicher fünf Dollar Gewinn einbrachte. Oder sie konnten an einer Lotterie teilnehmen, bei der sie mal mehr als fünf Dollar oder nichts gewinnen konnten, also zum Beispiel eine 25 prozentige Chance hatten, 25 Dollar zu gewinnen."
    Verbindung zwischen dem Alter und der Risikobereitschaft
    Gleichzeitig wurde das Gehirn der Versuchspersonen gescannt. Das Ergebnis entsprach in einem Punkt dem der früheren Studie. Auch hier war ausschließlich der hintere Scheitellappen und kein anderes Hirnareal am Risikoverhalten beteiligt. In Bezug auf das Alter aber erlebte das Forscherteam eine Überraschung.
    "Unsere Ergebnisse zeigten zunächst, dass ältere Menschen tatsächlich weniger riskant handelten als die Jüngeren. Je älter sie waren, desto seltener entschieden sie sich für die Lotterie und bevorzugten die sicheren fünf Dollar. Auch das Volumen der grauen Substanz im hinteren Scheitellappen nahm mit dem Alter ab. Aber das wirklich neue und interessante Ergebnis unserer Studie war, dass nicht das Alter per se, sondern das Hirnvolumen am besten voraussagte, wie riskant sich eine einzelne Person verhält."
    Es gibt also eine Verbindung zwischen dem Alter, dem Risikoverhalten und einem geringeren Volumen der grauen Substanz im hinteren Scheitellappen, aber sie ist kein Naturgesetz. Eine weitere Studie mit einer ähnlichen Testaufgabe von Ifat Levy belegte zusätzlich, dass besonnenes Risikoverhalten nicht geradling mit dem Alter zunimmt. Junge Erwachsene im mittleren Lebensalter gingen dort größere Risiken ein als Adoleszente.
    Insgesamt sprechen die neuen Studienergebnisse nicht dafür, dass alles automatisch besser wird, wenn man 30 bis 40-jährige Börsenmakler durch ältere ersetzt. Entscheidender ist die graue Substanz im Scheitellappen jedes einzelnen Individuums. Und künftige Forschung muss herausfinden, ob deren Volumen die Ursache oder die Folge einer risikoreicheren oder weisen Lebensführung ist, denn darüber konnten Ifat Levys Studien noch nichts aussagen.