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Hirngespinste

Bewusstsein und Hirnfunktionen hängen miteinander zusammen. Das steht heute außer Frage. Doch sind deshalb alle Wahrnehmungen, alle Empfindungen, Gedanken oder Beurteilungen lediglich ein Effekt physiologischer Abläufe in unserem Kopf? Und sind sie damit auch kalkulier- und manipulierbar? Über dies Fragen diskutierte eine deutsch-kanadische Forschergruppe an der Universität Mainz.

Von Inge Breuer |
    "Wenn jemand behauptet, es gibt eine Seele, es gibt Gott, diese Wörter, die hören wir heute mit einem naturwissenschaftlichen Ohr. Und das heißt: Zeigt uns die Wirkung, dann nehmen wir auch an, dass da etwas ist, was wirkt. Wer behauptet, es gibt Yetis, muss uns dann zumindest ein Foto zeigen, am besten einen Yeti zeigen. Und das gilt auch für Gott und die Seele."

    Er glaube nicht an Wunder, so einer der Referenten der Tagung, weil es so wenige davon gebe. Die Alltagserfahrung zeige gewöhnlich, dass es in der Welt "natürlich" vorgehe. Der liebe Gott wird nicht mehr gebraucht. Ja, mittlerweile werden religiöse Erfahrungen sogar als Resultate von Hirnfunktionen beschrieben, die im Labor jederzeit simuliert werden können. Gott also - nichts als ein "Hirngespinst"?

    Dass unser Bewusstsein manipulierbar ist, gilt mittlerweile als gewiss. Stimulierende Substanzen, Drogen oder Alkohol lassen uns Stimmen hören. Wir fühlen uns bedroht, sehen die Welt rosarot, ja sogar das Erlebnis, sich außerhalb seines eigenen Körpers zu befinden, kann chemisch hervorgerufen werden. Auch die Medizin bedient sich mittlerweile solcher Manipulationen, um auf das Bewusstsein einzuwirken. Dazu Dr. Christian Hoppe von der Klinik für Epileptologie am Universitätsklinikum Bonn:

    "Das sind alles Verfahren, bei denen das Gehirn manipuliert wird, und zwar chemisch in der Anästhesiologie. Das heißt, da wird die Narkose herbeigeführt und das Bewusstsein ausgeschaltet, mit Drogen, das wäre also die chemische Manipulation des Gehirns, die bestimmte Zielstellungen auf der Ebene der Psychologie wiederherstellen will, zum Beispiel die Wiederherstellung einer Ausgeglichenheit, die Kontrolle einer übersteigerten Angst. Und ein Verfahren mit Schwerpunkt auf die elektrische Tiefenhirnstimulation auch der Behandlung der Depression, die bei einer sehr schweren Depression eingesetzt wird."

    Dass das Bewusstsein aufs engste mit den Hirnfunktionen zusammenhängt, steht heute also außer Frage. Doch sind deshalb alle Wahrnehmungen, alle Empfindungen, Gedanken oder Beurteilungen lediglich ein Effekt physiologischer Abläufe in unserem Gehirn? Und das heißt, messbar, kalkulier- und damit eben auch manipulierbar?

    Zunehmend mischt sich die Neurobiologie in philosophische Fragen ein. Versucht "Geistiges" in biochemische Abläufe aufzulösen. Für den Leiter der "Evangelischen Akademie" in Bonn, Dr. Frank Vogelsang, ist eine solche Sichtweise verkürzt.

    "Wir können die Welt von außen beschreiben, den Urknall beschreiben, die Entwicklung der Welt, können die Evolution, alles scheinbar von außen beschreiben. Nur beim Bewusstsein merken wir, dass das nicht aufgeht, dass wir mit dem Bewusstsein immer außen bleiben zu dem, was wir gerade beschreiben. Und insofern halte ich das Bewusstsein für eine ganz wichtige Größe, die uns hilft, neu wahrzunehmen, dass wir in die Wirklichkeit eingelassen sind und dass es vielleicht nicht so einfach ist, aus objektiver wissenschaftlicher Perspektive das Ganze der Welt zu beschreiben."

    So eng Gehirn und Bewusstsein auch miteinander verknüpft sind, so unterschiedlich sind doch Zugänge zu beiden. Denn während das Gehirn, jene 1,5 Kilogramm Materie, bestehend aus Fett, Proteinen und Wasser nur mit naturwissenschaftlichen Methoden erforschbar ist, widersetzt sich das Bewusstsein gerade solcher Objektivierung. Was ich denke, wahrnehme, fühle, weiß nur ich. Ich kann nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob ein anderer Mensch überhaupt Bewusstsein hat - oder ob er vielleicht nur so tut.

    "Da gibt es eine ganz berühmte Argumentation in der 'Philosophy of mind', die in angelsächsischen Ländern sehr verbreitet ist und die sagt, möglicherweise haben alle anderen Wesen kein Bewusstsein, sie sind einfach Zombies. Es ist so, als ob sie Bewusstsein hätten, sie haben aber keins. Nur bei mir selbst kann ich feststellen, dass es Bewusstsein gibt. Das Bewusstsein kann man nur dann erfassen, wenn man bei sich selbst beginnt."

    Die Superwissenschaftlerin Mary, so ein philosophisches Gedankenexperiment, hat ihr schwarz-weißes Labor nie verlassen. Sie kennt alle physikalischen Fakten über Farben und Farbensehen. Aber sie selbst hat noch nie Farben gesehen. Wenn sie nun zum ersten Mal draußen den blauen Himmel sieht, macht sie eine Erfahrung, die anders ist als alles physikalische Wissen.

    Die Frage ist also: Wie kann aus jener sumpfigen, grauen Materie des Gehirns die ganze farben- und formen- und tonprächtige Welt des subjektiven Erlebens entstehen? Wenn man von der Farbenpracht eines Picassos, von der Musik Beethovens begeistert ist, dann findet man im Gehirn nichts, was man Begeisterung nennen kann.

    "Die Frage ist einfach die: Wir sind Natur, aber warum erfahren wir die Wirklichkeit? Das geht nicht ohne Gehirn. Aber die Struktur, in der ich zur Wirklichkeit stehe, lässt sich eben doch nur introspektiv aufklären, die lässt sich von außen nicht beobachten. Genaugenommen bekommt der Naturwissenschaftler das Phänomen Bewusstsein nicht in den Blick, sondern er sieht nur ein komplexes Verhalten und erklärt es sich durch vorhandenes Bewusstsein. Aber wenn ich die Struktur, wie stehe ich zur Wirklichkeit, untersuchen will, dann muss ich die Subjektivität untersuchen, und ich glaube, das ist die eigentliche Aufgabe der Philosophie. Das ist nicht das Gegenteil von Objektivität und es kann auch nicht ohne Hirnfunktionen ablaufen, aber es ist etwas sehr Eigenartiges, dass wir zur Wirklichkeit offen sind und dass sich uns die Wirklichkeit erschließt."

    Der Bielefelder Philosoph Ansgar Beckermann versuchte, das ganze Problem zu entschärfen. Er ging davon aus, dass Gehirn und Bewusstsein eigentlich die selbe Sprache sprechen. Dass ein Vorgang im Gehirn einmal als Feuern von Neuronen und einmal als Zustand höchster Verliebtheit zu beschreiben sei. Und dass es dahinter kein Geheimnis gebe. Doch viele Teilnehmer an der Bonner Tagung empfanden diese Sichtweise als unbefriedigend. Denn letztlich geht es um die Einzigartigkeit des Menschen - ob man sie nun Subjektivität, Freiheit oder gar Seele nennt. Ja, am Ende der Tagung ging es sogar um "das Göttliche" - schließlich befand man sich ja in einem Haus der evangelischen Kirche. Gott sei - in theologischer Perspektive - "das Blatt, das alles trägt, was darauf geschrieben ist", sowohl die Natur wie auch den menschlichen Geist. Allerdings sei dies eine Überzeugung, die man nicht "erkennen", sondern zu der man sich nur "bekennen" könne.

    Vielleicht war dies gar kein schlechtes Schlusswort. Denn um "Bekenntnisse", um "Glaubenssätze" also, so hat man den Eindruck, geht es auch in der Auseinandersetzung zwischen Hirnforschung und Philosophie. Der Zusammenhang von Geist und Gehirn bleibt weiterhin rätselhaft. Und keine Antwort vermag zurzeit zu befriedigen.

    "In der Philosophie gibt es dann solche, die sagen, das Bewusstsein hat nichts mit dem Gehirn zu tun. Solche, die sagen, das Gehirn ist ausschließlich da und das Bewusstsein ist eine Fata Morgana. Und solche, die sagen, das Bewusstsein hat mit dem Gehirn zu tun, lässt sich aber nicht auf Gehirnaktivitäten reduzieren."