Das Feuilleton der letzten Woche arbeitete sich exemplarisch an 2000 Jahren Kultur- und Gesellschaftsgeschichte ab. So wurde nicht die Festspielsaison 2005, auch nicht Wilhelm Furtwängler, sondern sogar noch dessen Vater, der Archäologe Adolf Furtwängler, von der FAZ vom Donnerstag ostentativ gewürdigt. Michael Siebler beschäftigte sich dabei mit der Vielfarbigkeit antiker Bildwerke, und belegt den "Abschied vom kalten mondlichtweißen Marmor als ästhetischer Norm" mit einer beeindruckenden Teil-Abbildung des Aphaia-Tempels aus der Münchner Glyptothek.
Während in Berlin der Umzug der Nofrete noch vorbereitet wird, feiert man einstweilen den 175. Jahrestag der Gründung der Staatlichen Museen zu Berlin. Im Mittelpunkt steht "der betende Knabe", eine 300 vor Christus in Rhodos gegossene Statue, die Friedrich der Große schon 1747 erworben hatte. Lothar Müller in der Süddeutschen: "Die Aufstellung in Sanssouci war noch eine Geste der individuellen Aneignung gewesen, durch die ein fürstlicher Sammler seinen Geschmack demonstrierte. Mit der Überführung aus dem Berliner Stadtschloss in Schinkels Museum trat der "Betende Knabe" aus der Sphäre der Privatsammlungen heraus nicht nur in die Öffentlichkeit, sondern zugleich in den sich öffnenden Raum der Kunstgeschichte.
In Dresden wurde die Jubiläumsausstellung "Zeitschichten" im Schloss eröffnet. Sie ist Georg Dehio gewidmet, dessen "Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler" 2005 einhundert Jahre alt wird. "Konservieren, nicht restaurieren", hieß die Devise von Dehio, aber Dieter Bartetzko in der FAZ bringt den Ausstellungsort selbst gegen Dehio in Stellung: "Raum für Raum informieren Unterabteilungen, wie die ausgeglühten nackten Raumschalen mittels Kopien in einstiger Pracht wiedererstehen sollen ... Die Denkmalpflege tut wohl oder übel mit. Aber, das beweist die Ausstellung, sie wäscht ihre Hände nicht mehr in Unschuld."
Auch bei den diesjährigen Festspielen, wo die großen Inszenierungen eher verhalten besprochen werden, Bayreuths "Tristan" und Salzburgs "Zauberflöte" etwa, schweift der Blick zurück in die Geschichte. Andreas Novak hat eine Geschichte der Salzburger Festpiele von 1933 bis 1945 geschrieben, in welcher deutlich gemacht wird, "wie sehr Goebbels versuchte, Salzburg zu seinen Festpielen zu machen, wohl wissend, dass Hitler ein für allemal Bayreuth verfallen war", so Jens Malte Fischer bei seiner Rezension in der Süddeutschen.
Der Spiegel, die ZEIT und alle Feuilletons vom Samstag haben als großes Thema den 60. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima. Die Neue Zürcher vom Samstag verbindet das mit einem Stück ihrer Zeitungsgeschichte: "Am Tag nach dem Abwurf der Atombombe berichtet die Morgenausgabe in "tastenden, ungläubigen Anführungsstrichen von "Atomzertrümmerung" und von "Atomic Bombs". Im Mittagsblatt des 7.Augusts 1945 wird weiterhin in Anführungszeichen, aber eingedeutscht von der Atombombe gesprochen. In der Abendausgabe sind die Anführungszeichen verschwunden. Das neue Wort…ist innerhalb weniger Stunden ins Alltagsvokabular des Zeitungsredaktors eingegangen." Thomas Macho wundert sich in der ZEIT, warum sich keiner mehr von den Atomwaffen bedroht fühlt: "Wie konnten die Atombomben aus den Horizonten kultureller Aufmerksamkeit verdrängt werden, obwohl (nach konservativer Schätzung) weltweit immer noch rund 20000 Nuklearwaffen aufbewahrt werden? Warum sind die Atombomben scheinbar "erkaltet" und erzeugen, ganz im Gegensatz zur Gen- und Biotechnologie, keine kulturellen Imaginationen mehr, keine Bilder, Filme oder Texte" Und, Thomas Macho zitiert Günther Anders: "Wo ist unsere Angst?"
Und schließlich landete auch das Feuilleton auch in der Gegenwart. Dafür stehen nicht nur die auffallend respektvollen Besprechungen des Films "L.A.Crash" von Paul Haggis, dafür steht auch das Politische Feuilleton und der bevorstehende Wahlkampf. Am Dienstag dachte Jens Bisky in der Süddeutschen über die "Ostseele" nach, die bei diesen Wahlen umworben werden soll: "Den Osten, für den man einen eigenen Wahlkampfstil entwickelt könnte, gibt es nicht mehr. Neben den Zöglingen der Transfergesellschaft, die alles vom Staat erwarten, weil er das seit 1990 verspricht, leben jene, die nur noch spöttisch auf die depressive Bundesrepublik schauen, die sich so schwer mit dem Abschied von ihren Illusionen und ihrer ans Ende gelangten Erfolgsgeschichte tut. Lange Zeit hat die Fiktion einer ostdeutschen Identität, das "Wir sind anders", die Differenzen in den Neuen Ländern überwölbt und die Tatsache verdeckt, dass hier Parallelgesellschaften ohne gemeinsame Öffentlichkeit entstehen."
Biskys Artikel erschien am Dienstag. Da hatte die Öffentlichkeit gerade erst von der Tötung von neun Neugeborenen in Brieskow-Finkenheerd erfahren. Der brandenburgische Innenminister Schönbohm brachte dieses Verbrechen in Zusammenhang mit einer "erzwungenen Proletarisierung" in der ehemaligen DDR. Gerade weil Schönbohm seine Äußerung später zurücknahm, verwundert die konzessive Zustimmung, die Schönbohm in der FAZ vom Freitag gleich doppelt erfährt, im politischen Kommentar auf Seite 1 und im Feuilleton: "Einbeziehen in die Ursachenforschung muss man die DDR-Vergangenheit schon", meint im Feuilleton Regina Mönch und fährt fort: ""denn die Region, in der es geschah, gehört zu jenen, die besonders von Abwanderung und wirtschaftlichen Problemen betroffen sind."
In der Berliner Zeitung argumentiert die DDR-Sportlerin und Buchautorin Ines Geipel ähnlich: "Jörg Schönbohm hat, zieht man das in diesem Zusammenhang unstatthaft Kalkulierte seiner Äußerung ab, leider Recht. Sprachlosigkeit, zunehmende Kinderarmut, eine drastische Gewalt- und Missbrauchsbereitschaft, die dreifach höhere Zahl innerfamiliärer Tötungsdelikte oder der um vier Jahre tiefer liegende Drogeneinstieg von Jugendlichen - das sind Fakten des Ostens gegenüber dem Westen, die ausreichen sollten, um öffentlich über die längst bekannte Gesellschaftswüste zu sprechen."
Eine Trouvaille lässt sich das Feuilleton freilich vom Politik-Ressort wegschnappen: die Berufung Bernhard Schlinks als Vertreter der Bundesregierung im Karlsruher Neuwahl-Verfahren. Schließlich ist Schlink nicht nur Staatsrechtprofessor sondern auch ein sehr erfolgreicher Autor. Die Süddeutsche schreibt dazu in der Samstagausgabe in der politischen Rubrik "Profil": "der Essayist wird sich nun die Rechtsposition der Bundesregierung zu eigen machen, der er vor drei Jahren unter der Überschrift "Die erschöpfte Generation" einen "Primat des Populistischen" gegenüber dem "Programmatischen" ankreidete."
Während in Berlin der Umzug der Nofrete noch vorbereitet wird, feiert man einstweilen den 175. Jahrestag der Gründung der Staatlichen Museen zu Berlin. Im Mittelpunkt steht "der betende Knabe", eine 300 vor Christus in Rhodos gegossene Statue, die Friedrich der Große schon 1747 erworben hatte. Lothar Müller in der Süddeutschen: "Die Aufstellung in Sanssouci war noch eine Geste der individuellen Aneignung gewesen, durch die ein fürstlicher Sammler seinen Geschmack demonstrierte. Mit der Überführung aus dem Berliner Stadtschloss in Schinkels Museum trat der "Betende Knabe" aus der Sphäre der Privatsammlungen heraus nicht nur in die Öffentlichkeit, sondern zugleich in den sich öffnenden Raum der Kunstgeschichte.
In Dresden wurde die Jubiläumsausstellung "Zeitschichten" im Schloss eröffnet. Sie ist Georg Dehio gewidmet, dessen "Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler" 2005 einhundert Jahre alt wird. "Konservieren, nicht restaurieren", hieß die Devise von Dehio, aber Dieter Bartetzko in der FAZ bringt den Ausstellungsort selbst gegen Dehio in Stellung: "Raum für Raum informieren Unterabteilungen, wie die ausgeglühten nackten Raumschalen mittels Kopien in einstiger Pracht wiedererstehen sollen ... Die Denkmalpflege tut wohl oder übel mit. Aber, das beweist die Ausstellung, sie wäscht ihre Hände nicht mehr in Unschuld."
Auch bei den diesjährigen Festspielen, wo die großen Inszenierungen eher verhalten besprochen werden, Bayreuths "Tristan" und Salzburgs "Zauberflöte" etwa, schweift der Blick zurück in die Geschichte. Andreas Novak hat eine Geschichte der Salzburger Festpiele von 1933 bis 1945 geschrieben, in welcher deutlich gemacht wird, "wie sehr Goebbels versuchte, Salzburg zu seinen Festpielen zu machen, wohl wissend, dass Hitler ein für allemal Bayreuth verfallen war", so Jens Malte Fischer bei seiner Rezension in der Süddeutschen.
Der Spiegel, die ZEIT und alle Feuilletons vom Samstag haben als großes Thema den 60. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima. Die Neue Zürcher vom Samstag verbindet das mit einem Stück ihrer Zeitungsgeschichte: "Am Tag nach dem Abwurf der Atombombe berichtet die Morgenausgabe in "tastenden, ungläubigen Anführungsstrichen von "Atomzertrümmerung" und von "Atomic Bombs". Im Mittagsblatt des 7.Augusts 1945 wird weiterhin in Anführungszeichen, aber eingedeutscht von der Atombombe gesprochen. In der Abendausgabe sind die Anführungszeichen verschwunden. Das neue Wort…ist innerhalb weniger Stunden ins Alltagsvokabular des Zeitungsredaktors eingegangen." Thomas Macho wundert sich in der ZEIT, warum sich keiner mehr von den Atomwaffen bedroht fühlt: "Wie konnten die Atombomben aus den Horizonten kultureller Aufmerksamkeit verdrängt werden, obwohl (nach konservativer Schätzung) weltweit immer noch rund 20000 Nuklearwaffen aufbewahrt werden? Warum sind die Atombomben scheinbar "erkaltet" und erzeugen, ganz im Gegensatz zur Gen- und Biotechnologie, keine kulturellen Imaginationen mehr, keine Bilder, Filme oder Texte" Und, Thomas Macho zitiert Günther Anders: "Wo ist unsere Angst?"
Und schließlich landete auch das Feuilleton auch in der Gegenwart. Dafür stehen nicht nur die auffallend respektvollen Besprechungen des Films "L.A.Crash" von Paul Haggis, dafür steht auch das Politische Feuilleton und der bevorstehende Wahlkampf. Am Dienstag dachte Jens Bisky in der Süddeutschen über die "Ostseele" nach, die bei diesen Wahlen umworben werden soll: "Den Osten, für den man einen eigenen Wahlkampfstil entwickelt könnte, gibt es nicht mehr. Neben den Zöglingen der Transfergesellschaft, die alles vom Staat erwarten, weil er das seit 1990 verspricht, leben jene, die nur noch spöttisch auf die depressive Bundesrepublik schauen, die sich so schwer mit dem Abschied von ihren Illusionen und ihrer ans Ende gelangten Erfolgsgeschichte tut. Lange Zeit hat die Fiktion einer ostdeutschen Identität, das "Wir sind anders", die Differenzen in den Neuen Ländern überwölbt und die Tatsache verdeckt, dass hier Parallelgesellschaften ohne gemeinsame Öffentlichkeit entstehen."
Biskys Artikel erschien am Dienstag. Da hatte die Öffentlichkeit gerade erst von der Tötung von neun Neugeborenen in Brieskow-Finkenheerd erfahren. Der brandenburgische Innenminister Schönbohm brachte dieses Verbrechen in Zusammenhang mit einer "erzwungenen Proletarisierung" in der ehemaligen DDR. Gerade weil Schönbohm seine Äußerung später zurücknahm, verwundert die konzessive Zustimmung, die Schönbohm in der FAZ vom Freitag gleich doppelt erfährt, im politischen Kommentar auf Seite 1 und im Feuilleton: "Einbeziehen in die Ursachenforschung muss man die DDR-Vergangenheit schon", meint im Feuilleton Regina Mönch und fährt fort: ""denn die Region, in der es geschah, gehört zu jenen, die besonders von Abwanderung und wirtschaftlichen Problemen betroffen sind."
In der Berliner Zeitung argumentiert die DDR-Sportlerin und Buchautorin Ines Geipel ähnlich: "Jörg Schönbohm hat, zieht man das in diesem Zusammenhang unstatthaft Kalkulierte seiner Äußerung ab, leider Recht. Sprachlosigkeit, zunehmende Kinderarmut, eine drastische Gewalt- und Missbrauchsbereitschaft, die dreifach höhere Zahl innerfamiliärer Tötungsdelikte oder der um vier Jahre tiefer liegende Drogeneinstieg von Jugendlichen - das sind Fakten des Ostens gegenüber dem Westen, die ausreichen sollten, um öffentlich über die längst bekannte Gesellschaftswüste zu sprechen."
Eine Trouvaille lässt sich das Feuilleton freilich vom Politik-Ressort wegschnappen: die Berufung Bernhard Schlinks als Vertreter der Bundesregierung im Karlsruher Neuwahl-Verfahren. Schließlich ist Schlink nicht nur Staatsrechtprofessor sondern auch ein sehr erfolgreicher Autor. Die Süddeutsche schreibt dazu in der Samstagausgabe in der politischen Rubrik "Profil": "der Essayist wird sich nun die Rechtsposition der Bundesregierung zu eigen machen, der er vor drei Jahren unter der Überschrift "Die erschöpfte Generation" einen "Primat des Populistischen" gegenüber dem "Programmatischen" ankreidete."