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Historiker: Bush stachelt US-Soldaten an

Der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt sieht Kriegsrechtsverletzungen amerikanischer Soldaten im Irak durch feindselige Äußerungen von US-Präsident George W. Bush befördert. "Der amerikanische Präsident kann sich ja nicht genug tun in der Beschreibung dieses bösen Weltfeindes", sagte Messerschmidt. Das führe dazu, dass sich ein einzelner Soldat auch bei der Misshandlung von Zivilisten im Recht fühlen könne.

Moderation: Doris Simoan |
    Doris Simon: Als am 19. November letzten Jahres ein Sprengsatz in der westirakischen Stadt Haditha explodierte, war das furchtbar für den 20-jährigen amerikanischen Soldaten, der bei dieser Explosion umkam, und schlimm für seine Familie und Kameraden, aber alles in allem trauriger Alltag im Irak. Was dann aber folgte, das war alles andere als Alltag: Wahllos drangen US-Marineinfanteristen in Häuser in Haditha ein und erschossen 24 Zivilisten. Das US-Verteidigungsministerium erwägt inzwischen, mehrere Marineinfanteristen wegen Mordes anzuklagen.

    Am Telefon ist nun Manfred Messerschmidt, der sich als Militärhistoriker und als früherer Leiter des militärgeschichtlichen Forschungsamtes jahrzehntelang kritisch mit der deutschen Wehrmacht auseinandergesetzt hat, mit Kriegen und Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. Guten Morgen!

    Manfred Messerschmidt: Schönen guten Morgen!

    Simon: Herr Messerschmidt, US-Marineinfanteristen, eine Elitetruppe, ermorden 24 Zivilisten. Wie kommt es zu so einem Verhalten von Soldaten, Soldaten einer regulären Armee eines demokratischen Landes?

    Messerschmidt: Das hängt nach meiner Meinung zusammen mit einem Feindbild der amerikanischen Armee. Wir kennen das aus der deutschen Geschichte. Wir kennen den Aufruf des Kaisers, als die Soldaten nach China geschickt wurden gegen den Boxeraufstand, wo es hieß, es wird kein Pardon geben. Wenn der Soldat weiß, dass er im Sinne dieses von der Regierung geführten Krieges handelt, die ausgerufen hat, dass es gegen einen Weltfeind, einen Weltterrorismus geht, dann ist im Grunde für den Soldaten jeder verdächtig, wenn irgendwo etwas passiert. Dann kann so etwas geschehen. Es ist natürlich auch das Zeichen für eine lockernde Disziplin. Aber wir haben so viele Beispiele auch aus dem Zweiten Weltkrieg, dass Soldaten, selbst wenn gar nichts passiert war, einfach aus Enttäuschung weil sie irgendeinen Auftrag nicht erfüllen konnten wie etwa in dem kleinen griechischen Ort Distomon, wo 300 ältere Männer, Frauen und Babys, also vom Baby bis zum 80-Jährigen, erschossen worden sind.

    Simon: Nun mag man ja noch sagen, dass das zu Zeiten des Nazi-Regimes war und die Soldaten damals anders in den Krieg gezogen sind. Aber hier geht es doch um eine gut ausgebildete Truppe, die doch auch in Sachen Demokratie geschult wird.

    Messerschmidt: Ja, im Krieg ist plötzlich alles anders, und man rechnet auch damit, dass das im Grunde nicht raus kommt, dass es auch nicht bestraft wird, wenn es raus kommt. Wir wissen ja zum Beispiel, der Fall Mylai in Vietnam. Gut, da sind sie irgendwann bestraft worden, aber dann sind sie ja doch wieder amnestiert worden. Im Grunde ist das Gefühl, es wird gedeckt auch durch unsere militärischen Vorgesetzten, uns wird schon nichts passieren.

    Simon: Sie nennen das Stichwort Strafe. Wenn es jetzt heißt, das US-Verteidigungsministerium erwäge, mehrere dieser Marineinfanteristen anzuklagen wegen Mordes, ist das wichtig? Ist das entscheidend für kommende Generationen?

    Messerschmidt: Das ist sehr wichtig. Das ist ganz entscheidend. Das Gefühl nicht nur die Regierung, auch die eigene Gesellschaft deckt das oder deckt das nicht, wir sind dann Außenseiter, wenn wir bestraft werden, wenn das nicht vorhanden ist, dann läuft eben alles aus dem Ruder. Das passiert leider oft im Kriege. Bei uns ist es ja noch bekannt, die Entwicklung im deutsch-französischen Krieg 1870. Da gab es den berühmten Begriff des Franctireurs. Das war einfach einer, das ist der Gegner des Militärs. Der stellt sich nicht dem offenen Kampf und schnell geraten auch Zivilisten als Helfer - so ist das auch im Partisanenkrieg gewesen. Das sind die Helfer dieser Partisanen. Das ist ein heimtückisches Gesindel, und dann gibt es keine Rücksicht. Das ist etwas, was sich beim Militär dann sehr schnell verbreitet, eine solche Auffassung, und wenn erst noch einige Beispiele da sind und man weiß, es passiert nicht viel. Ganz besonders schlimm war es im Krieg gegen Russland, wo es hieß ,Soldaten, die so etwas tun, dürfen gar nicht bestraft werden. Selbst wenn das den Soldaten so nicht mitgeteilt wird, aber man erfährt es ja. Es geschieht etwas, und Bestrafungen gibt es nicht. Im Grunde tun wir das Richtige gegen diesen allgemeinen Feind.

    Simon: Das heißt aber, Herr Messerschmidt, wenn ich Sie richtig verstehe, bei allen Schulungen, Ausbildungen, Demokratieunterricht, das was entscheidender ist, ist dieser Kontext, dieser Subton, der mitgegeben wird den Soldaten?

    Messerschmidt: Ja, das ist es und das bestehende Feindbild. Das ist jetzt im Krieg im Irak ja nun wirklich vorhanden. Der amerikanische Präsident kann sich ja nicht genug tun in der Beschreibung dieses bösen Weltfeindes. Das ist eine Stimmung, die auch lange in ganz Amerika geherrscht hat. Jetzt wird seit einiger Zeit Kritik laut, und man glaubt nicht mehr alles, was von oben gesagt wird.

    Simon: Herr Messerschmidt, Sie haben Mylai vorhin angesprochen, das berüchtigte Massaker aus dem Vietnam-Krieg. Das hat ja seinerzeit Ende der 60er Jahre für eine Wende in der öffentlichen Wahrnehmung des Krieges in den USA gesorgt. Sehen Sie, dass so ein Massaker wie jetzt in Haditha im West-Irak eine ähnliche Wirkung haben könnte?

    Messerschmidt: Es steht ja eigentlich in einer ganzen Reihe von Vorgängen, die uns schon bekannt sind. Insofern wird es dieses Gefühl sicherlich bestärken. Das kann man eigentlich nur hoffen. Neulich sind ja auch von englischen Soldaten Dinge berichtet worden, Soldaten, die in einem solchen Zusammenhang stehen. Man kennt den Feind eigentlich, wer ist das, wir sind eigentlich von allen Seiten bedroht. Das ist möglich, wenn man auf einen derartigen Feind angesetzt wird und man sagt, das ist eigentlich unser Feind, das ist auch der Feind der Demokratie. Insofern kann sich das sozusagen umdrehen. Der demokratische Soldat, der sich dafür hält, kämpft gegen den Undemokraten, und das ist der böse Feind. Diese ganzen Einstellungen befördern, glaube ich, derartige Haltungen auch der Vorgesetzten, eben nicht nur der einfachen Soldaten.

    Simon: Das war Manfred Messerschmidt, der Militärhistoriker. Vielen Dank, Herr Messerschmidt für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Messerschmidt: Auf Wiederhören!