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Historiker kritisiert Zick-Zack-Kurs deutscher Außenpolitik

Heyer: Das Bild sollte keine Freundschaft, sondern Partnerschaft demonstrieren. Bundeskanzler Gerhard Schröder und George W. Bush, der amerikanische Präsident, beim Handshake in Washington – Partnerschaft – immerhin, nachdem das deutsch-amerikanische Verhältnis als tief gestört galt, zuletzt nachdem die Deutschen ihre Gefolgschaft beim Irakkrieg verweigerten und prompt aus der Reihe der aller ersten Verbündeten ausgemustert wurden, sich plötzlich beim Old Europe wiederfanden. Die Zeiten, die scheinen jetzt nach dem Treffen Bush-Schröder vorbei zu sein. Selbst bei der Opposition im Land ist erleichtertes Aufatmen zu vernehmen. Am Telefon nun Thomas Speckmann, Historiker am Haus der Geschichte in Bonn mit dem Schwerpunkt internationale Beziehungen. Da war sie doch wieder greifbar, die alte außenpolitische Verlässlichkeit der Deutschen, oder etwa nicht?

    Speckmann: Es ist eine gute Frage, was da noch verlässlich erscheinen mag, weil eigentlich der außenpolitische Kurs sich nur pro forma geändert hat. Herr Schröder hat ja nicht den Eindruck gemacht, als wenn er wirklich zum Beispiel bei einer Truppenentsendung von NATO-Staaten dabei sein wollte. Herr Fischer lässt es ja dann doch öfters auch offen erscheinen, ob man sich da beteiligen sollte. Es ist jetzt nicht eine in der Praxis festzustellende Ritusänderung dort erschienen. Ich denke, dass die aktuelle Situation in den nächsten Monaten zeigen wird, in wie weit hier wirklich ein Kurswechsel stattgefunden hat. Ich glaube, atmosphärisch hat sich etwas verändert zwischen Washington und Berlin, aber wie gesagt, die Praxis wird erst der Test sein, was sich wirklich verändert hat.

    Heyer: Was könnte ein solcher Test sein? Wann wären Sie überzeugt von der Wende in der deutschen Außenpolitik?

    Speckmann: Ich denke, dass es grundlegende Fragen sind, die man in Deutschland angehen müsste. Es gibt in Deutschland keine Debattenebene, auf der deutsche Interessen im Ausland debattiert werden. Weder in der Politik, noch in der Publizistik gibt es große Überlegungen dazu. Man merkt, dass wir immer wieder überrannt, überrascht werden von aktuellen Gegebenheiten und wir keine klaren Konzepte haben, wie wir mit gewissen Situationen umgehen können. Und das ist so, weil wir keine Debatten führen über grundlegende Themen wie deutsche Interessen im Ausland. Wo wollen wir - wenn - militärisch eingreifen? Wo lohnt es sich, deutsche Soldaten ins Ausland zu schicken? Wo sollte man nur wirtschaftliche Unterstützung leisten? Da gibt es bei uns keine großen Planspiele und dementsprechend wirkt das immer sehr kleinteilig und spontan und überraschend was die Bundesregierung macht. Daher gibt es auch immer dieses hin und her. Erst sagt man nein zu einem erneuten Golfkrieg, dann möchte man aber doch bei einem wirtschaftlichen Aufbau dabei sein. Die Demokratie möchte man sowieso unterstützen. Anderseits kann man natürlich fragen, "Ist die Voraussetzung für eine Demokratie im Irak nicht gerade auch der Krieg gewesen?" Denn einen demokratischen Aufbau im Irak könnte man sich ja kaum vorstellen, ohne dass Saddam Husseins Regime vorher gestürzt worden wäre. Das es von innen heraus gestützt wurde, war ja nicht abzusehen. Von daher bliebe ja eigentlich nur der Krieg, jedenfalls aus amerikanischer Sicht. Wenn man dann plötzlich beim Wiederaufbau dabei sein will, dann versucht man ja eigentlich, 50 Prozent der Miete doch zu bezahlen. Aber letztendlich ist es eine gewisse Realitätsverweigerung zu sagen, wir machen erst ab 50 Prozent mit und die anderen 50 Prozent, die sind moralisch nicht zu rechtfertigen, die müsst ihr alleine machen. Das kann man nicht als geradlinige Außenpolitik verkaufen.

    Heyer: Ist es dass, was für Sie den so genannten Zickzack-Kurs der deutschen Außenpolitik ausmacht? Dies und noch mehr?

    Speckmann: Ja, es ist das grundlegende Problem, dass eigentlich seit 1945 Politik in Deutschland mit der Ressource Moral verknüpft wird. Wir versuchen eine Politik zu finden, was ja auch ehrenrührig ist, bei der man sagt, "moralische Kategorien, Menschenrechte, Demokratie sollen im Vordergrund stehen".

    Heyer: Was ja nicht das Schlechteste ist.

    Speckmann: Nein, absolut, nur findet sich das in so ziemlich jeglicher Präambel demokratischer Außenpolitik in westlichen Staaten wieder, nur mit dem Unterschied, dass die Deutschen das sehr stark in der Öffentlichkeit propagieren, während sich dort andere rechtliche Staaten deutlich zurückhalten und dadurch auch nicht in diese Widersprüche sich verstricken müssen, wie wir. Denn auch die deutsche Außenpolitik ist moralisch nicht einwandfrei. Im internationalen Bereich ist so etwas auch kaum möglich. Man muss sich nur anschauen, wie in den letzten Jahrzehnten zum Beispiel gegenüber Russland oder auch Afghanistan Politik betrieben worden ist. Es ist ja nicht so, dass nur die Amerikaner diejenigen waren, die zum Beispiel die Mudschaheddin-Kämpfer unterstützt haben. Heutzutage wird gesagt, "Ja, hättet ihr damals nicht Bin Ladens Leute unterstützt, als sie noch gegen die Russen gekämpft haben, dann hätte ihr jetzt auch nicht die starken Probleme mit ihnen". Da hat die damals noch schwarz-gelbe Bundesregierung genauso mitgearbeitet und Millionen Unterstützung geliefert. Es ist ähnlich in Tschetschenien, wo der BND heute aktiv in der Bekämpfung der dortigen, von den Russen als Terroristen bezeichneten, Gruppen beteiligt ist. Andere würden vielleicht Freiheitskämpfer dazu sagen. Es ist immer eine sehr zwiespältige Geschichte mit der deutschen Außenpolitik. An sich ist das nicht schlimm, weil das jedem Staat so geht. Wenn man aber immer als der Friedensengel vorweg schwebt, dann holt einen sehr schnell diese graue Realität ein. Dadurch entsteht ein Bild, das in sich nicht stimmig ist. Und das merkt auch der Wähler zu Hause sehr schnell, dass dort ein Luftschloss aufgebaut wird, was permanent einzustürzen droht.

    Heyer: Bleiben wir noch mal bei dem Punkt, den Sie gerade angesprochen haben. Wo sind deutsche Soldaten, auch Bundesgrenzschutzbeamte, deutsche Kräfte, überall im Einsatz? Offenbar auch in Haiti, wie wir eben in den Deutschlandfunknachrichten gemeldet haben.

    Speckmann: Ja, es sind immer diese kleinen Operationen unterhalb der großen Bundeswehrebene. Es gibt schnell mal ein paar Hilfskräfte - wie das oft offiziell bezeichnet wird - die vor Ort von den Botschaften aus und auch von den ständigen Vertretungen aus eingesetzt werden können. Dafür sind erst mal gar keine Bundestagsbeschlüsse notwendig. Auch im Irak haben sich schon mal ein paar Helfer aufgehalten, zwar unbewaffnet und in Zivil, von der Bundeswehr dorthin entsandt. Das waren wiederum Kräfte, wie auch die Medien berichteten, vom Bundesgrenzschutz oder von der GSG9, die dann als bewaffneter Begleitschutz, eher als Personenschutz, eingesetzt wurden. Das ist immer so ein Graubereich, bei dem die Opposition sagt, "Müsste man das nicht erst noch diskutieren? Ist das nicht doch ein bewaffneter Einsatz?". Da gibt es rechtlich einen gewissen Bewegungsfreiraum für die Regierung, was auch richtig ist, sonst könnte sie ja gar nicht schnell genug reagieren. Man sieht aber auch, dass wir uns in dieser sehr vernetzten Welt, in der wir uns bewegen, können wir uns solcher Szenarien, wie jetzt auf Haiti einfach nicht entziehen. Dafür sind unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme viel zu empfindsam, als dass wir es uns leisten könnten, die Hände in die Hosentaschen zu stecken und zu sagen, "Macht ihr das mal. Wir kommen dann als die Nationbuilder, als Wiederaufbauhelfer und machen dann das saubere Geschäft hinterher". Das ist einfach nicht den Bündnispartnern zu verkaufen, weil es letztendlich auch um das Leben der eigenen Soldaten, der eigenen Helfern geht. Wenn man in diese Gebiete geht und versucht nur mit dem Scheckbuch hinterher zu trotten, dann ist das in Zeiten, seit dem 11. September, nicht zeitgemäß. Die Bundesregierung hat das auch verstanden. Denn sie hat aktuell in zehn Staaten – mit gewissen Schwankungen – deutsche Truppen. So eine Situation hat es seit dem 2. Weltkrieg nicht gegeben. Das ist eine gewisse Ironie der Geschichte, dass gerade unter einer rot-grünen Regierung die Auslandeinsätze so massiv ausgebaut worden sind.

    Heyer: Möglicherweise auch die Tragik der Geschichte, nicht nur die Ironie.

    Speckmann: Richtig. Und gerade deswegen kann ich persönlich diese schon fast trotzhafte und rational nicht nachvollziehbare Reaktion auch der deutschen Bevölkerung zum Irakkrieg nicht verstehen. Man muss sich die Frage stellen, mit welchem Recht die rot-grüne Bundesregierung einen völkerrechtswidrigen beziehungsweise völkerrechtsumstrittenen Angriffskrieg zusammen mit NATO-Staaten gegen Milosevic' Regime in Serbien geführt hat, während man sich weigerte aus den gleichen völkerrechtlichen Argumenten heraus, gegen den Irak vorzugehen.

    Heyer: Sind wir da möglicherweise bei Ihrer These "Für Erdgas darf’s auch Blut sein"? So hieß es ja zuletzt von Ihnen. Sie behaupten also, dass die deutsche Außenpolitik sich im Glanz ihrer Friedfertigkeit auf der einen Seite sonnt, aber gleichwohl eine robuste Interessenpolitik verfolgt. Ist das möglicherweise auch festzumachen an der Person des Außenministers Joschka Fischer, der ja immerhin für viele als Außenminister von Format eines Hans-Dietrich Genscher gilt?

    Speckmann: Ja, ich muss sagen, was Herr Fischer in den letzten Monaten und zwei, drei Jahren gemacht hat, hat mich nicht mehr besonders überzeugt. Die Frage ist, warum er zum Beispiel gegenüber Herrn Putin - mit dem sich Herr Schröder offiziell exzellent versteht - warum er dort alle Prinzipien der Grünen beiseite gelassen hat. Es wird überhaupt nicht mehr über Menschenrechte gesprochen. Auch bei Reisen nach Afrika und den nahen und mittleren Osten wird die Frauenfrage, die sonst die Grünen sehr stark beschäftigt hat, einfach aus dem Protokoll weggelassen. Tschetschenien ist eine innerrussische Angelegenheit. Der Kanzler hat gesagt, man müsse das differenziert betrachten, was ja in diplomatischer Ausdrucksweise bedeutet, dass man der Sache gleichgültig gegenüber steht.

    Heyer: Zurück zur Moral in der deutschen Außenpolitik, kann man das in einem Satz festmachen?

    Speckmann: Ich glaube, dass wir noch nie moralisch einwandfreie Außenpolitik gemacht haben seit 1945. Es ist eigentlich auch gar nicht möglich und mit der Ressource Moral werden wir den Problemen der heutigen Zeit nicht gerecht.