9. November
Historiker Wirsching bedauert "Konkurrenz in der Erinnerungskultur"

Am 9. November jähren sich gleich mehrere wichtige historische Ereignisse für Deutschland: Der Fall der Berliner Mauer 1989, die Reichspogromnacht 1938, das Scheitern des Hitlerputsches 1923 und die Ausrufung der ersten deutschen Republik 1918. Auch unabhängig vom heutigen Datum sieht der Historiker Andreas Wirsching zunehmende Konkurrenzen in der Erinnerungskultur.

    Der Historiker Andreas Wirsching steht vor einer Bücherwand.
    Der Historiker Andreas Wirsching. (picture alliance / dpa / Matthias Balk)
    Bis in die 80er Jahre habe es in der alten Bundesrepublik den Konsens gegeben, dass es bezüglich der Erinnerungskultur vor allem um die Verantwortung der deutschen Gesellschaft für den Nationalsozialismus und den Holocaust gegangen sei. Dies sei zunehmend durch eine Pluralisierung des Erinnerns abgelöst worden, sagte der frühere Direktor des Instituts für Zeitgeschichte im Deutschlandfunk. Das liege unter anderem daran, dass die Opfer des Kommunismus versuchten, ihre Perspektive in das deutsche Gedächtnis einzuschreiben. Eine Rolle spielten aber auch die zunehmend migrantische Gesellschaft und der Generationenwechsel.

    Erinnerungskultur ohne Kompass

    Zwar sei Pluralismus durchaus wünschenswert, doch Wirsching kritisiert eine richtungslose Konkurrenz in der Erinnerungskultur, die dazu führe, dass man nicht mehr miteinander ins Gespräch komme. Jeweils andere Perspektiven würden nicht gelten gelassen, es gebe Tendenzen eines Kulturkampfes.
    Bestimmte Denkrichtungen des Postkolonialismus etwa neigten dazu, den Holocaust von den spezifischen Bedingungen der deutschen Geschichte zu entkoppeln und ihn mit anderen Genoziden zu vergleichen. Dadurch werde der deutsche Antisemitismus als ein Rassismus unter anderen Rassismen wahrgenommen. Dabei gebe es Unterschiede. Im Antisemitismus seien Juden als gefährliche Konkurrenten in einem welthistorischen Sinne wahrgenommen worden. Dies sei etwas anderes als das Überlegenheitsgefühl gegenüber Kulturen im globalen Süden.
    Wirsching ruft zu gegenseitigem Verständnis auf. Es sei wichtig, verschiedene Perspektiven zuzulassen, damit es nicht zur Fragmentierung der Gesellschaft komme.
    Diese Nachricht wurde am 09.11.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.