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Historisch einmaliger Fall
Main-Taunus-Kreis verdient Geld mit Schulden

Wenn man einen Kredit aufnimmt, zahlt man normalerweise Zinsen. Im Fall des Main-Taunus-Kreises in Hessen ist es aber umgekehrt: Für einen kurzfristig aufgenommenen Kredit bekommt der Landkreis Geld von der Bank, statt welches zu zahlen. Doch statt zu jubeln, sind selbst die Kommunalpolitiker alles andere als begeistert.

Von Ludger Fittkau | 16.08.2016
    ILLUSTRATION - Geldscheine stecken unter einem Teppich.
    Die hessische Stadt Hofheim musste kurzfristig einen Kredit aufnehmen - Zinsen zahlen muss sie aber nicht: im Gegenteil. (picture alliance/dpa - Thomas Eisenhuth)
    Ein Bächlein plätschert gemächlich durch die schmucke Altstadt der südhessischen Kreisstadt Hofheim am Taunus. Das Gewässer ist in eine neu angelegte, schnurgerade Rinne gefasst, Bänke stehen gleich daneben unter Schatten spendenden Bäumen. Die gebrauchten Bücher, die wie vielerorts in der Fußgängerzone kostenlos mitgenommen werden dürfen, sind fein säuberlich in einer alten englischen Telefonzelle aufgereiht.
    Alles wirkt proper und aufgeräumt in Hofheim am Taunus. Doch sicherlich würde den Bürgern, die hier ihre Einkäufe tätigen oder den warmen Sommertag im Straßencafé genießen, schon einfallen, wofür noch mehr Steuergeld ausgegeben werden könnte.
    Allerdings - das die Hofheimer Kreisverwaltung nun für Kredite, die sie aufnimmt noch Zinsen oben drauf bekommt, statt welche zu zahlen, löst bei den meisten Hofheimern in der Fußgängerzone ein Kopfschütteln aus. Etwa bei Natalie Seeger und Klaus Hauff:
    "Das ist ein Anreiz für alle ins Minus zu gehen, dass ist unmöglich. Eine Vorbildfunktion, die nicht gut ist."
    "Ich finde das nicht gut, dass die Geld dafür kriegen, das sie Schulden machen. Wo gibt es denn so was? Wenn sie Schulden machen, dann sollen sie dafür bezahlen und nicht noch Geld kriegen. Das ist ein Witz für mich."
    Am Stadtrand von Hofheim steht das große, in den 80er-Jahren gebaute Verwaltungsgebäude des Main-Taunus-Kreises. Hier hat Landrat Michael Cyriax sein Büro. Dass er nun für einen kurzfristigen Kredit, den der Landkreis aufnimmt, Geld bekommt, statt wie früher üblich Zinsen dafür zu zahlen findet der CDU-Politiker selbst ziemlich absurd:
    "Ich finde es erstaunlich, dass selbst in einem Kreis wie dem Main-Taunus-Kreis wir heute von der großen Zinspolitik betroffen sind. Das ist für uns ein historisches Ereignis, dass wir zehn Millionen Euro für einen Zinssatz bekommen, dass wir da sogar noch Geld von der Bank bekommen. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Wir haben die Historie befragt, den Kreis gibt es seit 1928, auch dort ist das niemanden in den Büchern aufgefallen, dass das jemals vorgekommen war."
    Alles andere als normal
    Reizt es den Landrat nicht, jetzt ganz schnell noch mehr neue Kredite aufzunehmen, mit denen man dann Gewinne machen kann, weil man Zinsen von der Bank drauf bekommt, statt welche zu zahlen? Nein, sagt Michal Cyriax:
    "Das sind alles andere als normale Zeichen. Da werden Anreize falsch gesetzt, das ist ein Drang in die Verschuldung. Ich finde diese Anreizsysteme, diese Systematik nicht richtig, ich finde sie falsch. Wir werden bei unserer grundsoliden Haushaltspolitik bleiben und nur dann auf dem Kapitalmarkt verschulden, wenn wir wirklich in Engpässen sind, um sie kurzfristig zu überbrücken oder langfristige Investitionen, damit zu finanzieren."
    Außerdem sei der Landkreis ja selbst ein bisschen Bankunternehmen, erklärt Michael Cyriax. In dieser Rolle verliere man im Augenblick durch die Negativzinsen nun täglich Geld:
    "Wir sind ja unter anderem an Sparkassen beteiligt. Sparkassen, aber auch die Kollegen der Genossenschaftsbank oder die Privatbanken leiden unter diesem niedrigen Null-Zins-Umfeld.
    Wir haben gehört, dass am Tegernsee die erste Raiffeisenbank von vermögenden Kunden sogar den ersten Strafzins erhebt. Aus der Zeitung weiß ich, dass die hier beheimatete Stadt Eschborn über Rücklagen verfügt und hier auch Beträge an die Banken zu bezahlen hat für Gutachten. Das sind absurde Zeiten."
    Ein harter Schlag
    Inzwischen sei sogar die örtliche Müllkippe negativ von den niedrigen Bankzinsen betroffen – gibt der Landrat weiterhin zu Bedenken:
    "Unsere Abfallunternehmung, an der wir beteiligt sind. Auch die haben Rückstellungen. Die müssen nämlich dafür sorgen, dass die Deponie auch in zehn, 20 oder in 50 Jahren umweltgerecht betrieben wird. Und da konnten wir bislang mit einem Zinssatz von rund vier Prozent rechnen.
    Der ist jetzt auch deutlich abgesenkt worden, weil die Bundesbank aufgrund der EZB-Zinspolitik andere Zinssätze vorschreibt. Das führt sofort dazu, dass wir im Jahr 2015 fünf Millionen Euro an Rückstellungen zusätzlich haben verbuchen müssen. Und das ist ein Schlag, den man nicht so ohne Weiteres auch als kommunales Unternehmen verkraftet."
    In der Fußgängerzone sind die Hofheimer Natalie Seeger und Klaus Hauff heilfroh, dass ihr Landrat die Zinspolitik kritisch sieht und jetzt nicht noch weitere Kredite aufnehmen will, um von den Negativzinsen zu profitieren:
    "Wenn er jetzt gesagt hätte, wir machen Schulden, damit wir Geld kriegen, das wäre ja der falsche Weg gewesen."
    "Die Leute kaufen nur noch auf Kredit, das ist nicht gut. Das ist kein gutes Vorbild – auf keinen Fall."