Freitag, 29. März 2024

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Historische Fakten rund um Jesus

In der Advents- und Weihnachtszeit wird jedes Jahr deutlich, dass die inflationären Engelchen und Christkindlein, die rührseligen Lieder und Krippenspiele weit mehr unseren emotionalen Bedürfnissen entsprechen als der biblischen Überlieferung oder gar dem historischen Geschehen. Wie steht es um Jesus, den Begründer des Christentums? War er der Wunder wirkende Gottessohn oder der Sohn des jüdischen Zimmermanns Josef und seiner Frau Maria, ältester von fünf Söhnen neben mehreren Töchtern, die in dem kleinen Dorf Nazaret aufwuchsen?

Martina Wehlte-Höschele | 23.12.2004
    Wer, wie Arnulf Zitelmann in seinem jüngsten Buch, die Geschichte der Christen erzählen will, muss den heillosen Zwiespalt zwischen geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis und Glaubenswahrheit ausblenden. Und so hält sich Zitelmann, der von Hause aus evangelischer Theologe ist, an die historischen Fakten. Dass er dabei seine Quellen nicht ausweist, wurde schon bei seinem vor zwei Jahren ebenfalls im Campus-Verlag erschienenen Buch Die Weltreligionen bemängelt. Doch – seien wir ehrlich – wer wollte die Zitate überprüfen oder gar ihre Auswahl beurteilen können? Schließlich wendet sich der Autor mit seiner Darstellung nicht an Fachkreise sondern an den interessierten, keineswegs nur jugendlichen Laien. Er hat genau genommen ein all-age-Buch geschrieben, das auf ein hinreichend vorgebildetes mündiges Publikum zielt. Er denkt in historischen Zusammenhängen und seine nüchterne Sicht muss diejenigen provozieren, die in der Bibel nicht auch ein Stück hervorragender Literatur sehen und vielen ihrer Geschichten eine sinnbildliche Bedeutung zuerkennen wollen. Für ihn sind die Wundererzählungen über Jesus ein literarisches Mittel, das auch die Antike auf ihre Helden anwandte, um deren überwältigende Ausstrahlung anschaulich zu machen.

    Jesus, der sich selbst nie als Messias bezeichnet hat, wäre also eine charismatische Persönlichkeit wie Buddha, Sokrates oder Konfuzius gewesen. Und was machte diesen Wanderprediger in Galiläa so erfolgreich? Es war seine Hinwendung zu den religiös und damit gesellschaftlich Diskriminierten, seine Frontstellung gegen eine völlig überregulierte Frömmigkeit der Juden zur damaligen Zeit. Greifbar wird sie beispielsweise in der bei Lukas, Kapitel 13 überlieferten Geschichte von der gekrümmten Frau, die Jesus an einem Sabbat heilt, was ihm prompt der Synagogenvorsteher zum Vorwurf macht.

    Seine Frontstellung, geht gegen diese überregulierte Frömmigkeit, gegen den religiösen Kapitalismus, will ich mal sagen. Da sind ein paar Auserwählte, die halten alle Gebote, die sind superfromm, und diese Vielzahl von Geboten, die die einhalten, die machen’s den kleinen Leuten natürlich unmöglich, ihnen nachzukommen; es ist eine religiöse Zweiklassengesellschaft. Ich will es noch mal sagen: gegen die religiöse Zweiklassengesellschaft, da wendet sich Jesus.

    Enthielt seine Lehre aber tatsächlich eine solche religiös-politische Sprengkraft, dass die israelitische Obrigkeit Jesus ausschalten musste?
    Ihre Brisanz erklärt Zitelmann aus der historischen Situation Israels, wo unter der römischen Besatzungsmacht jede kleinste Unruhe in ein Blutbad münden konnte. Das rückt den Kreuzestod in ein säkulares Licht:

    Jesus, so seh ich das, er hat sich dann selber ausgeliefert, dem Gerichtsverfahren, damit es nicht zu einem Blutbad kommt.... Das führte dann notwendig zu seiner Hinrichtung.

    Eine solch kühle Logik muss bei Gläubigen Widerspruch provozieren, und tatsächlich erhielt der Autor schon bald nach Erscheinen des Buches von seinen Lesern nicht nur Beifall sondern auch den Vorwurf, er verunglimpfe das Christentum. Doch der Blick aus zeitgeschichtlicher Perspektive muss ein anderer sein als die religiös motivierte Sicht auf den Opfertod als Sühne für die ganze Menschheit.
    Und wie ging es weiter?

    Das Christentum stieß dann im Mittelmeerraum in eine Landschaft hinein, die für eine religiöse Erneuerung einfach überfällig war. Die alten Aristokratengötter, die die Griechen und die Römer in staatlichen Kulten verehrten, - das war für die einfachen Leute nichts; sie wandten sich also irgendwelchen Geheimkulten zu, esoterischen Kulten, und da war vor allem die Gnosis. Die Gnostiker sagten: Der Mensch ist gefangen auf dieser Erde und in seinem Leib, und wir müssen ihn befreien, dass er zurückkommt zum Licht. Das ist die Botschaft der Gnosis, hat mit Jesus eigentlich gar nichts zu tun, - insofern aber doch wieder, als die Gnosis sich auch vor allen Dingen wieder an die kleinen Leute wandte, die nicht mehr befriedigt waren von den altherkömmlichen Religionen. - Aber Jesus war kein Gnostiker, kein Esoteriker, ganz und gar nicht. Jesus war absolut nicht leibfeindlich. Das kam dann später rein und das Christentum hat da die Leibfeindlichkeit der Antike übernommen.

    Wir finden sie in den Kampfschriften des Bischofs Augustinus ebenso wie den Aufruf zur Zwangsbekehrung mit Hilfe der Staatsmacht. Dabei war erst ein knappes Jahrhundert zuvor Kaiser Konstantin zur Schlüsselfigur für eine Allianz zwischen Staat und Kirche geworden, zum Wegbereiter für das Christentum als der die abendländische Kultur prägenden Kraft. Nach einer Vision, in der ihm das Christusmonogramm erschienen war, siegte Konstantin im Oktober des Jahres 312 mit diesem Zeichen auf den Schildern seiner Soldaten in der entscheidenden Schlacht gegen seinen Mitregenten Maxentius. Hatte er diese Entscheidung aus religiöser Erkenntnis oder aus machtpolitischem Kalkül getroffen? Es könnte, wie so oft in der Geschichte des Christentums, eine Mischung aus beidem gewesen sein.

    Konstantin war, wie alle Leute in der Antike, für eine Vielzahl von Religionen offen und das Christentum hatte zu seiner Zeit eine so gesellschaftlich starke Stellung, dass er einfach auf das bessere Pferd gesetzt hat. Und das war eine neue Religion und eine neue nach römischem Vorbild gut funktionierende Verwaltungshierarchie mit Bischöfen und anderen Amtsträgern in einem christlichen Reichsverbund von damals immerhin etwa 10 Millionen Menschen.

    Wie aber wurde das Christentum zu der am weitesten verbreiteten Weltreligion? Seine Geschichte ist mit Blut und Tränen geschrieben, eine Abfolge von Machtkämpfen und Eroberungszügen, die bei Zitelmann lebendig und nah werden, weil er sie an einzelnen Personen fest macht. Es gelingt ihm immer, sich in ein persönliches Verhältnis zu seinem historischen Stoff zu setzen: 'Ich wüsste gerne ....’, nimmt er seinem Leser die Frage aus dem Mund, oder er spricht vom Theologenstreit zwischen Arius und Athanasius als von einem 'unsäglichen Gezänk’. Er kommentiert humorvoll oder kritisch, zieht Vergleiche zum Buddhismus oder dem Islam und schlägt den Bogen in unsere Gegenwart: Ohne Konstantins Gründung von Byzanz (dem heutigen Istanbul) als einem Machtzentrum im Osten des Römischen Reiches, hätte es kein Europa gegeben. Und ohne die Bildungsoffensive Karls des Großen, der an der Wende vom achten zum neunten Jahrhundert den Wissensstandard seiner Priester anheben wollte, hätte Europa im Hochmittelalter nicht das geistige Fundament erhalten, auf dem es in den nachfolgenden Jahrhunderten zu seiner kulturellen Blüte kam.

    Jedem Jahrhundert ist ein Kapitel gewidmet, wobei die Abfolge von geistigen Bewegungen und Gegenbewegungen seit dem fünfzehnten Jahrhundert, das Zeitalter der Entdecker, später die Epoche der Aufklärung, etwas stärkeres Gewicht haben. Es ist ein Vorzug des Autors, seinen Blick panoramaartig schweifen zu lassen, - auch über die gotische Baukunst, über Rembrandt – und Verbindungslinien zu ziehen, etwa von den Rieser Ketzern, einer pantheistischen Gruppierung im Schwäbischen während der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts zu Teilhard de Chardins Vorstellung von Gott in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.

    Die ganze Schöpfung, so sagt Teilhard de Chardin, der französische Philosoph und Theologe, die ganze Schöpfung bewegt sich auf diesen Omega-Punkt, auf diesen großen Attraktor zu und alles wird von ihm angezogen und Gott selbst ist wieder die Zugkraft in diesem ganzen evolutionären Prozess. Gott ist noch nicht alles in allem, aber er soll es werden und die ganze Schöpfung bewegt sich auf ihn zu. So würde der moderne Pantheismus das formulieren.

    In seinem letzten, leider etwas kurzen Kapitel, antwortet Arnulf Zitelmann auf die Frage Bleibt das Christentum zukunftsfähig? mit einem eindeutigen Ja. Denn es ist neben dem Buddhismus eine der lern- und wandlungsfähigsten Religionen.

    Man wird sehen, dass das Christentum eine terrestrische Angelegenheit ist, aber dass Jesus mit seinen Ideen weit in die Zukunft hereinreicht. Das heißt, wir müssen uns verabschieden von den althergebrachten Konzepten: Gott ist allmächtig, Gott ist allwissend, er macht alles, von Konzepten also, die noch von der Antike übernommen sind und mit unserer modernen Welt, unserem modernen Selbstverständnis überhaupt nicht übereinstimmen. Wir müssen zu einer neuen Gottesvision kommen.