Archiv


Historische Lektionen aus Nordirland

In Irland vermittelte der frisch ernannte US-Sondergesandte für den Nahen Osten, George Mitchell, das nordirische Karfreitagsabkommen in Dublin vom Dezember 1999. Es regelte die erhofften friedlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und Nordirland. Nun wird überlegt, ob Nordirland Vorbild sein kann für den Nahen Osten.

Von Martin Alioth |
    Fehlendes Vertrauen und die gegenseitige Unterstellung von bösem Willen kennzeichne die Beziehungen zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland, einschließlich ihrer Politiker, sagte der amerikanische Vermittler George Mitchell, als er den Auftrag akzeptierte, Friedensverhandlungen in Nordirland zu leiten.

    Im Sommer 1996 wurde der Verhandlungstisch in der Schreinerei Flanagan in Richill in der nordirischen Grafschaft Armagh gezimmert, im Herbst des folgenden Jahres begannen die Verhandlungen, an denen erstmals auch Sinn Féin, eine politische Partei, die aus der Irisch-Republikanischen Armee herausgewachsen war, teilnehmen durfte. Der Weg an den Tisch war lang gewesen und sollte noch längst nicht abgeschlossen sein. Sinn Féin hatte in den frühen 1980er-Jahren, im Gefolge der IRA-Hungerstreiks, beschlossen, sich ernsthaft um ein Wählermandat zu bemühen, ohne aber die Bindung an die IRA aufzugeben. Die Gewählten wurden geächtet. Es war dann ausgerechnet John Hume, der gemäßigte irische Nationalist – also der direkteste Rivale Sinn Féins um die Wählergunst -, der 1988 begann, Sinn Féin in die politische Respektabilität zu führen. Es dauerte nochmals 10 Jahre, bis George Mitchell am 10. April 1998, einem Karfreitag, verkünden konnte.

    "I'm pleased to announce that the two Governments and the political parties of Northern Ireland have reached agreement."

    Die britische und die irische Regierung hätten sich mit den politischen Parteien Nordirlands auf ein Friedensabkommen geeinigt. – Die Ausgrenzung Sinn Féins hatte nicht funktioniert, wohl aber die Verlockungen demokratischer Politik. Denn Verhandeln heißt ja auch, Verantwortung übernehmen, was Sinn Féin vorher nie hatte tun müssen. Tony Blair, eine der Hebammen dieses Prozesses, und gegenwärtig passenderweise Nahost-Beauftragter, ist überzeugt, dass Nordirland auch Lektionen für andere Friedensprozesse birgt:

    "I think there are lessons here for reconciliation between people that are lessons that apply everywhere."

    Es war Blair selbst gewesen, der im Herbst 2002, als die nordirische Koalitionsregierung zerbrochen war, in einer denkwürdigen Rede in Belfast ein Ultimatum stellte:

    "The crunch is the crunch: The fork in the road has finally come."

    Jetzt wird's ernst: Wir sind an der Weggabelung. – Denn die Doppelstrategie Sinn Féins und der IRA, Politik und Gewalt zugleich, blockierte den Aufbau einer normaleren Gesellschaft. Sinn Féin hatte auf dem roten Teppich schon eine allzu große Wegstrecke zurückgelegt, um die Zugewinne wieder abzuschreiben; die Einbindung der einstigen Gewalttäter hatte eine eigene Dynamik entfaltet. Martin McGuinness, ehemaliger IRA-Kommandant und hoher Sinn-Féin-Politiker, antwortete auf Blairs Rede:

    "My war is over. My job as a political leader is to prevent war."

    Mein Krieg ist vorbei. Als Politiker muss ich Krieg verhindern. – Das war ein Signal. Aber es braucht bekanntlich immer zwei. Auf der protestantischen Seite gewannen nun auch die radikalen Kräfte die Oberhand. Pfarrer Ian Paisley's anfängliche Strategie war wenig erfolgversprechend.

    "The IRA needs to be humiliated."

    Die IRA müsse gedemütigt werden. – Endlich, im Sommer 2005, bestätigte die IRA ihre Verwandlung:

    "The leadership of Oglaig na hEireann has formally ordered an end to the armed campaign..."

    Die bewaffnete Kampagne sei zu Ende, von jetzt an gebe es nur noch politische Mittel. Die Politiker hatten sich endgültig gegen die Militaristen durchgesetzt, was Sinn Féin-Präsident Gerry Adams dann ausdrücklich bestätigte:

    "There is no going back, only going forward, to a new beginning and a just society."

    Es gibt keinen Weg zurück, nur eine bessere Zukunft. – Die Einbindung der einstigen Gewaltapostel in den demokratischen Prozess hatte – endlich – Früchte getragen. Es ist eigenartig, dass führende Politiker im Nahen Osten diese Lektion im Umgang mit Hamas nicht zu beherzigen scheinen. George Mitchell und Tony Blair wüssten Bescheid; sie haben die Formel geradezu erfunden.