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"Historische Lügen"

In Deutschland wurde der Film "Unsere Mütter, unsere Väter" begeistert aufgenommen. In Polen gibt es viele negative Reaktionen. Der TV-Film verbreite "historische Lügen" über die polnische Heimatarmee, diffamiere sie als antisemitisch. Andere Zuschauer begrüßen, dass der Film unverblümt den Schrecken des Krieges zeige.

Von Margarete Wohlan | 20.06.2013
    Normalerweise gucken Agnieszka und Marek Janicki mit ihrer Tochter Agata nicht zusammen fernsehen. Zu unterschiedlich sind die Interessen. Doch bei dem ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" ist das anders. Sie sind neugierig geworden, zu laut war das Echo im Vorfeld in den Medien. Der Trailer am Anfang der ersten Folge greift das noch mal auf:

    "Eine deutsche Serie, die hier eine große Kontroverse ausgelöst hat, weil sie historische Lügen verbreitet. "Unsere Mütter, unsere Väter" – Premiere im Ersten."

    Genauso wurde die ZDF-Serie in den letzten zwei Wochen in allen großen polnischen Tageszeitungen immer wieder besprochen. Der größte Vorwurf: Die polnische Heimatarmee werde als antisemitische Organisation diffamiert. Agnieszka Janicka, 45, Besitzerin eines Restaurants in Warschau, hat dazu ihre eigene Meinung.

    "Überall wurde uns bezogen auf Hitler und den Zweiten Weltkrieg beigebracht, dass ihr schlecht seid, dass ihr Deutschen so viele Juden umgebracht habt – und deshalb ist das tief drin in uns. Und wenn wir einen solchen Film sehen, dann kommt das alles wieder hoch. Die Toten, die Opfer! Aber ich meine, dass es unter den Deutschen genauso wie unter den Polen solche und solche gab. Niemand weiß wirklich, ob wir Polen damals alle so heilig waren und keinem geschadet haben!"
    Ihre Tochter Agata ist 20 und studiert Englisch, Deutsch und Italienisch. Sie interessiert sich für Geschichte und schaut leidenschaftlich gern historische Filme. Deshalb hätte sie sich den Film auch ohne die laute Medien-Kampagne angeschaut. Denn sie hat in den Internet-Blogs schon viel über den Film gelesen.

    "In dem Film gibt es kein Schwarz und Weiß, die Deutschen sind nicht schlecht und auch nicht gut. Zum Beispiel die Sängerin, die trotz des Schrecklichen, das um sie herum passiert, nur an ihre Karriere denkt. Oder die Soldaten, sich so extrem verändern. Man schaut sich das an, aber verurteilt nicht. Ich denke, für uns Polen ist das wichtig zu sehen – die historischen Filme bei uns arbeiten oft mit Stereotypen. Und hier sieht man auch die grauen Schattierungen. Sie führen ihre Befehle aus, die sie auch in Ordnung finden, aber so wie der eine gesagt hat: "Entweder sie bringen uns um oder wir sie." Das ist auch eine Frage des Durchhaltens."
    Ihr Vater Marek ist 50 Jahre alt und diente Anfang der 80er Jahre während des Kriegsrechts in Polen in der polnischen Armee. Er hat Situationen erlebt, in denen er seinen Landsleuten gegenüberstand und Befehle ausführen musste. Nicht zu vergleichen mit damals, sagt er. Und schon ist man mitten in einer Diskussion, die sich von dem konkreten Film entfernt hat.

    "Die Menschen werden gleichgültig, wenn um sie herum Menschen sterben. Man wird hart, alles wird einem egal. Unabhängig von der Nationalität. Das gilt für jeden. Denn am Ende zählt nur das eigene Überleben."

    Als die entscheidende Szene kommt, in der die polnische Heimatarmee einen Zug überfällt und die eingesperrten Juden nicht herauslässt, ist es still im Zimmer.

    "Die Mehrheit von ihnen sind Juden – und Juden sind genauso schlecht wie Kommunisten und Russen. Besser tot als lebendig."

    Marek Janicki schaut nachdenklich vor sich hin. Die Heimatarmee ist in Polen ein nationales Heiligtum – sie hat gegen die Faschisten gekämpft – durch die sogenannte Sabotagekriegsführung – und Häftlinge aus vielen Gefängnissen und Lagern befreit. Das Resümee des 50jährigen Polen ist dennoch gelassen:

    "Die Polen wurden normal gezeigt – so war es im Krieg. Normal! Es ging um Waffen im Widerstand gegen die Faschisten, das war entscheidend. Und dass sie die Juden nicht befreiten? Ich sehe das nicht als judenfeindlich. Wer in der Armee gedient hat, weiß, wie das ist. Denn alle können Feinde sein, im Krieg."