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Historischer Abriss

Ihr historischer Abriss galt als Klassiker: Bereits 1966 hatte die Bochumer Forscherin Helga Grebing ihre "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" zum ersten Mal veröffentlicht. Seitdem wurde das Werk gerne genutzt von Historikern, Politologen und Soziologen. Und auch in mancher Wohngemeinschaft zu Zeiten der 68er gehörte der historische Überblick zur Standardausstattung. Am Dienstag nun stellte die ehemalige Professorin der Bochumer Ruhr-Universität eine komplett überarbeitete Ausgabe vor, ergänzt um aktuelle Kapitel über die SPD, die SED-Diktatur in der DDR und die PDS.

Von Barbara Weber | 31.05.2007
    " Menschen, die gelitten haben, die gehungert haben, die ungerecht behandelt sich gefühlt haben und mit Recht sich so fühlen konnten, dass die sich selbst auf den Weg gemacht haben, sich von dieser Last zu befreien, "

    so die Historikerin Professor Helga Grebing.

    " und das ist das Phänomen der Arbeiterbewegung im 19.Jahrhundert gewesen im Kontext der Industrialisierung, die zeitgleich stattgefunden hat. "

    Die emeritierte Wissenschaftlerin der Ruhr-Universität Bochum hat jetzt eine komplett überarbeitete Neuauflage der "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" vorgelegt - rund vierzig Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung. Das sei jetzt notwendig gewesen, meint sie:

    " Die vorherigen Auflagen waren noch sehr viel stärker auf Detailinformationen ausgerichtet. Sie war überhaupt viel stärker chronologisch angelegt. Das ist es jetzt auch, aber gleichzeitig, also eigentlich bringe ich in dem Haupttext überwiegend - oder diskutiere überwiegend kontroverse Fragen oder versuche, gewisse lange Linien zu erklären. Der methodisch, didaktische Ansatz ist ein anderer. "

    Helga Grebing macht dies an drei Beispielen deutlich:

    " Es steht ja als Untertitel: der Beginn gewissermaßen 1848. Es war lange üblich 1863 mit Ferdinand Lassalle die deutsche Arbeiterbewegung beginnen zu lassen. Andere haben gesagt, auch 1848 reicht nicht, wir müssen in die 30er Jahre zurückgehen, und da versuche ich ... klar zu machen, dass 1848 schon eine gravierende Zäsur ist, von der aus man bis ins 20ste Jahrhundert hinein die Entwicklung der Arbeiterbewegung nachvollziehen kann. "

    "Wir Arbeiter waren einem großen Teile der deutschen Bürgerklasse fremde, unbekannte Wesen....; konnten wir erwarten, dass man uns als eine Klasse in der Gesellschaft betrachtete, die ihre eigene selbständige Entwicklung durchmacht? ..., wir nehmen unsere Angelegenheiten selbst in die Hände und niemand soll sie uns wieder entreißen."

    So zitiert Grebing die Einleitung zu den Statuten des Berliner Zentralkomitees für Arbeiter von Stephan Born im April 1848. Zu der Zeit entstanden in fast allen Staaten des Deutschen Bundes Arbeitervereine. Die Revolution von 1848 ermöglichte den Arbeitern den Übergang zur legalen Agitation für ihr Anliegen.

    " Das Zweite, was anders jetzt diskutiert wird, ist die Bedeutung der Revolution 1918/19, die ja von den meisten Autoren als gescheitert, zumindest als stecken gebliebene interpretiert wird, und da ging es mir also darum, noch mal deutlicher zu machen, wie denn der zeitliche Kontext war, der nicht sehr viel Spielräume zur Veränderung der sozialen Bedingungen bot, aber der eben doch, und das war das Werk der Revolution, die erste deutsche Republik geschaffen hat. "

    Und sie fährt fort:

    " Ein drittes Beispiel ist also doch auch die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der KPD und der SPD und dem Versuch, deutlich zu machen, dass, vielleicht wird dann mancher dann aufschreien, wenn ich sage, die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in der DDR hört auf mit der Zwangsvereinigung und spätestens mit der Niederschlagung des Arbeiteraufstands 1953. "

    " Das kann man ausführen: Man kann fragen, welche Rolle spielte der FDGB, der war ein reiner Transmissionsriemen vom Staat in die Bevölkerung hinein und umgekehrt, gewisse Anliegen, die auch in den Betrieben vornehmlich artikuliert wurden, weiterzugeben. Es war also sozusagen nach der einen wie nach der anderen Richtung ein Legitimierungsorgan, aber nicht mehr das, was Gewerkschaften sind, nämlich freie Gebilde, die kämpfen um die konkreten Anliegen der Arbeiter. Und insofern bin ich zu dem Schluss gekommen, dass eigentlich die Arbeiterbewegung in der DDR aufgehört hat spätestens 1953. "

    Das sind neue Überlegungen in der Aufarbeitung der Geschichte der Arbeiterbewegung. Der zeitliche Abstand und eine Sichtweise, resultierend aus neueren Forschungsergebnissen, lassen nur diesen Schluss zu, meint Helga Grebing. Zudem wurde über Jahrzehnte historische Forschung der Arbeiterbewegung im Westen, durch Zwischenrufe von DDR-Wissenschaftlern kommentiert.

    " Das gehörte gewissermaßen zur Legitimationsideologie der DDR, dass man der Meinung war, die DDR hat die eigentliche Zielvorstellung der Arbeiterbewegung aus dem 19.Jahrhundert verwirklicht. "

    150 Jahre deutsche Arbeiterbewegung - das bedeutet auch, so die Autorin im Vorwort - Geschichte der Gewerkschaften und der SPD. Mit der Beschränkung auf das Jahr 2000 bleiben Diskussionen um den neueren Kurs der ehemaligen Arbeiterpartei weitgehend außen vor. Die große Arbeiterkulturbewegung ist verloren gegangen, die ja eigentlich eine Gegenkulturbewegung gewesen ist gegen die herrschende bürgerliche. Der Kampf der Arbeiterbewegung hat die ursprünglich gezogene Klassenlinie längst hinter sich gelassen. Aus ihm resultiert auch der moderne Sozialstaat.

    Ist die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland also gleichsam die Geschichte einer fremden versunkenen Welt? - fragt Helga Grebing. Nein, sagt sie, zwar sei die relative Übersichtlichkeit der sozialen Kräfte, die die Gesellschaft bilden, verloren gegangen und mit ihr der Impuls zu solidarischen Orientierungen und Handlungen, aber:

    " Das ist ein bisschen auch die Zielprojektion in meinem Buch zu sagen, die Probleme sind nicht alle abgelegt historisch sondern einige, von denen wir geglaubt haben, sie würde es nicht mehr geben, kommen wieder im Zusammenhang mit der Globalisierung, werden sie erheblich sich bemerkbar machen, und von daher gesehen ist die emanzipatorische Kraft der Arbeiterbewegung eigentlich nicht versunken. Versunken sind Organisationsformen, die man nicht mehr in dem Maße braucht oder verwenden kann, aber die Zielvorstellung und die Aufgabenstellung, die ist eigentlich längst nicht versunken. "