Der Historiker Martin Sabrow kann sich einen Einfluss der Coronakrise auf zeitgeschichtliche Debatten vorstellen. Ähnlich wie etwa die Terroranschläge vom 11. September 2001 könne die "Seuche unserer Zeit" zu einem neuen Narrativ führen, das einen neuen Fluchtpunkt setze, "auf den sich das zeitgeschichtliche Schreiben zuordnet", sagte Sabrow im Deutschlandfunk. Für verschiedene Spannungsverhältnisse könne die Pandemie in Zukunft wie ein Katalysator, wie ein Symbol dastehen. Als Beispiel nannte er Themen wie Globalisierung, Grenzen zwischen Staaten sowie soziale Ungleichheit.
Der Mantel der Geschichte
Hinter der Selbst-Historisierung in Form von Corona-Tagebüchern, wie sie derzeit geschrieben werden, stehe die Idee, dass man den "Mantel der Geschichte, der weht, zu fassen bekommt", sagte Sabrow. Das Gefühl, dass man in historischen Zeiten lebt, sei ein bekanntes Motiv zum Beispiel in Kriegszeiten.
Tschernobyl oder die Schleyer-Entführung seien vergleichbare "empfundene Ausnahmezustände". Manche Zäsur verflache aber dann im Nachhinein, sagte der Historiker und nannte als Beispiel das Milleniumsjahr 2000, über das man mittlerweile hinweggehe.