Ob das, was der junge Robert Wilson vor gut drei Jahrzehnten anbot, Traumtheater sei oder ein Albtraum, war zunächst nicht ausgemacht. Der Kritiker Benjamin Henrichs berichtete, ein Kollege habe bei einer der ersten Wilson-Produktionen hierzulande "Willkommen im Paradies" gerufen (ob dies ironisch gemeint war, ist nicht mehr zu ermitteln). Jedenfalls erschien der Ruf in besonderer Weise irritierend für alle, die noch nicht im Paradies ankommen wollten oder überhaupt nicht.
In "Einstein on the Beach" deuten sich Einblicke an in ein Dasein, das nicht (mehr) von dieser Welt ist. Es hat womöglich einen atomaren Erstschlag hinter sich. Dessen fürs Lehrbuch zusammengefassten Wirkungen werden im letzten Viertel des Werks groß projiziert. Auch zuvor mischt sich in die abstrakte Weite der Licht-Bilder Konkretes: eine alte Lokomotive, die offene Plattform eines Waggons und ein heute gleichfalls doppelt nostalgisch wirkender Bus. Zitate aus der Tradition des Ausdruckstanzes und der roten Peking-Oper wurden fulminant reaktiviert.
Anspielungen auf surrealistische Kunst trafen auf Schaltzentralen futuristischer Filme, Handgesten der Taubstummensprache und Parodie eines angelsächsischen Gerichtsverfahrens zu Frauenrechtsfragen. Eine zielgerichtete Botschaft besitzt dieses Kaleidoskop nicht. Die Worte (mit Vorliebe für Zahlen und Zählen) fungieren weithin bloß als musikalisches Material und Geraune für die nur fragmentarisch narrative Szenenfolge.
Die rekonstruierte Originalfassung von "Einstein on the Beach" hält eine Pioniertat des experimentellen Musiktheaters unter veränderten medialen und Rezeptionsbedingungen fest – gleichsam für den "Bahnhof der Geschichte". In ihr wirken die Hauptkräfte des unterkühlten, gestisch domestizierten Bildertheaters und die quirlig animierende Musik in entgegengesetzte Richtungen – und doch so erkennbar aufs Innigste zusammen. Daran hat sich nichts geändert.
Philip Glass montierte für sein individuell reduziertes Orchester Floskeln und Bauelemente, wie sie sich bei Pachelbel, Corelli oder Dittersdorf finden, in vertrackter Rhythmik. Das eigentümlich aufgeschäumte musikalische Exerzitium kreiselt viereinhalb ununterbrochene Stunden lang. Damit demonstrierte eine Moderne, die sich der Schönberg-Schule samt deren Weiterungen in den 60er-Jahren skrupellos entgegenstellte, ein bewunderungswürdiges und zugleich besorgniserregendes Selbstbewusstsein. Doch mit dem Siegeszug der Postmoderne kam das einst provokative Moment abhanden. Waren die amerikanischen Freunde vor drei Jahrzehnten alles andere als geheuer, erscheinen sie heute als freundliche alte Herren. Man reibt sich längst nicht mehr daran, dass Antoine Silverman auf einem Stuhl vorn an der Rampe im Outfit Albert Einsteins bis zum Exzess Etüden-Fortschreibungen exekutiert, sondern bewundert Präzision und virtuose Ausdauer.
1976 war ein vom ersten Schub des Regie-Theaters erhitztes junges Theaterpublikum, das womöglich angesichts der Bayreuther "Ring"-Inszenierung von Patrice Chéreau auch wieder den Weg ins Opernhaus fand, neugierig auf das Theaterexperiment von Wilson und Glass. Man setzte sich ihm aus, war hin- und hergerissen zwischen dem überwältigenden Eindruck der Bilder und der Irritation durch die impertinent crescendierende Musik. Diese Erfahrung kehrte jetzt in Amsterdam wieder: Die Lärm-App misst in der achten Parkett-Reihe 103 dB und warnt, dass dies "zu dauerhaften Gehörschäden führen" könne.
Doch selbst im Hinblick auf diesen Parameter hat sich das Hören in den letzten drei Jahrzehnten entschieden liberalisiert. Das "Hiesige" und das vormals "Fremde" haben den Konfrontationscharakter verloren. Das genuin europäische, das in der Weiterverarbeitung so befremdlich war, wurde vom internationalisierten Musikleben längst eingemeindet. Das Pionierwerk "Einstein on the Beach" aber hat, weil seine Radikalität und Tragweite heute klarer zu erkennen ist, an Faszination hinzugewonnen.
In "Einstein on the Beach" deuten sich Einblicke an in ein Dasein, das nicht (mehr) von dieser Welt ist. Es hat womöglich einen atomaren Erstschlag hinter sich. Dessen fürs Lehrbuch zusammengefassten Wirkungen werden im letzten Viertel des Werks groß projiziert. Auch zuvor mischt sich in die abstrakte Weite der Licht-Bilder Konkretes: eine alte Lokomotive, die offene Plattform eines Waggons und ein heute gleichfalls doppelt nostalgisch wirkender Bus. Zitate aus der Tradition des Ausdruckstanzes und der roten Peking-Oper wurden fulminant reaktiviert.
Anspielungen auf surrealistische Kunst trafen auf Schaltzentralen futuristischer Filme, Handgesten der Taubstummensprache und Parodie eines angelsächsischen Gerichtsverfahrens zu Frauenrechtsfragen. Eine zielgerichtete Botschaft besitzt dieses Kaleidoskop nicht. Die Worte (mit Vorliebe für Zahlen und Zählen) fungieren weithin bloß als musikalisches Material und Geraune für die nur fragmentarisch narrative Szenenfolge.
Die rekonstruierte Originalfassung von "Einstein on the Beach" hält eine Pioniertat des experimentellen Musiktheaters unter veränderten medialen und Rezeptionsbedingungen fest – gleichsam für den "Bahnhof der Geschichte". In ihr wirken die Hauptkräfte des unterkühlten, gestisch domestizierten Bildertheaters und die quirlig animierende Musik in entgegengesetzte Richtungen – und doch so erkennbar aufs Innigste zusammen. Daran hat sich nichts geändert.
Philip Glass montierte für sein individuell reduziertes Orchester Floskeln und Bauelemente, wie sie sich bei Pachelbel, Corelli oder Dittersdorf finden, in vertrackter Rhythmik. Das eigentümlich aufgeschäumte musikalische Exerzitium kreiselt viereinhalb ununterbrochene Stunden lang. Damit demonstrierte eine Moderne, die sich der Schönberg-Schule samt deren Weiterungen in den 60er-Jahren skrupellos entgegenstellte, ein bewunderungswürdiges und zugleich besorgniserregendes Selbstbewusstsein. Doch mit dem Siegeszug der Postmoderne kam das einst provokative Moment abhanden. Waren die amerikanischen Freunde vor drei Jahrzehnten alles andere als geheuer, erscheinen sie heute als freundliche alte Herren. Man reibt sich längst nicht mehr daran, dass Antoine Silverman auf einem Stuhl vorn an der Rampe im Outfit Albert Einsteins bis zum Exzess Etüden-Fortschreibungen exekutiert, sondern bewundert Präzision und virtuose Ausdauer.
1976 war ein vom ersten Schub des Regie-Theaters erhitztes junges Theaterpublikum, das womöglich angesichts der Bayreuther "Ring"-Inszenierung von Patrice Chéreau auch wieder den Weg ins Opernhaus fand, neugierig auf das Theaterexperiment von Wilson und Glass. Man setzte sich ihm aus, war hin- und hergerissen zwischen dem überwältigenden Eindruck der Bilder und der Irritation durch die impertinent crescendierende Musik. Diese Erfahrung kehrte jetzt in Amsterdam wieder: Die Lärm-App misst in der achten Parkett-Reihe 103 dB und warnt, dass dies "zu dauerhaften Gehörschäden führen" könne.
Doch selbst im Hinblick auf diesen Parameter hat sich das Hören in den letzten drei Jahrzehnten entschieden liberalisiert. Das "Hiesige" und das vormals "Fremde" haben den Konfrontationscharakter verloren. Das genuin europäische, das in der Weiterverarbeitung so befremdlich war, wurde vom internationalisierten Musikleben längst eingemeindet. Das Pionierwerk "Einstein on the Beach" aber hat, weil seine Radikalität und Tragweite heute klarer zu erkennen ist, an Faszination hinzugewonnen.