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"Hitler entschied, Liechtenstein vorläufig in Ruhe zu lassen"

Warum das Fürstentum Liechtenstein auch nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland verschont blieb, erklärt Donat Büchel, Kurator der Ausstellung "1938 - Anschluss oder weiter souverän?" im Landesmuseum in Vaduz.

Donat Büchel im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 14.09.2013
    Burkhard Müller-Ullrich: Oben am jungen Rhein / lehnet sich Liechtenstein / an Alpenhöhn: Das ist die Landeshymne, zu singen nach der Melodie von God save the Queen. Liechtenstein ist einer der letzten intakten Überreste des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Seit der Gründung des Reichsfürstentums im Jahr 1719 gleitet es mehr oder weniger unbehelligt durch die europäische Geschichte: Die Revolution von 1848 wurde vom damaligen Fürst Alois II. durch Zuwarten erledigt, 1868 wurde die liechtensteinische Armee (zuletzt 80 Mann) aufgelöst, nach dem Ersten Weltkrieg wandte sich das Land von Österreich ab und lehnte sich an die Schweiz an, und deshalb blieb es vor 75 Jahren auch vom Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland verschont. "Anschluss oder weiterhin souverän?" – das ist der Titel einer Ausstellung im Liechtensteinischen Landesmuseum, über die ich jetzt mit dem Kurator Donat Büchel spreche. Herr Büchel, es gab ja doch ein paar Nazis in Liechtenstein, etwa zehn Prozent der Wahlberechtigen waren das, also ungefähr 200 bis 300 Männer, denn damals durften ja nur die Männer wählen. Und diese Liechtensteiner Nazis planten einen Putsch, der – und das ist schon fast lustig, wenn es eben nicht auch sehr ernst gewesen wäre – ein Putsch, der daran scheiterte, dass jemand zu ihnen sprach und sie durch bloßes Zureden vom Putschen abhielt. War das so, Herr Büchel?

    Donat Büchel: Die Idee eigentlich hinter dem Putschversuch – der fand im März 1939 übrigens statt – war, dass man einen Zusammenstoß provozieren würde mit Patrioten und dann nach Hilfe rufen würde über die Grenze und dass dann deutsche Einheiten einmarschieren würden. Weil es gelungen ist – das war der damalige Landtagspräsident, Pfarrer Anton Frommelt, der da die aufmarschierenden Putschteilnehmer davon abhielt, weiterzumarschieren, und so erreicht hat, dass die nicht auf die bereitstehenden Patrioten dann gestoßen sind -, kam es dann eben nicht zum Zusammenstoß und deshalb auch nicht zum Hilferuf danach.

    Müller-Ullrich: Wie hat er das geschafft? Mit welchem Argument hat er die Leute abgehalten? Hat er gesagt, ihr seid doch nur eine Minderheit – das war ja auch so?

    Büchel: Ja. Er hat denen einfach zu verstehen gegeben, dass das einfach nichts bringt, dass sie eine Minderheit sind. Das Argument war, dass andere Anhänger dieser Volksdeutschen Bewegung, hieß die Partei, dass die in Gefahr seien, und er hat sie dann davon überzeugen können, dass dem nicht so ist, dass denen nichts passieren wird, und er konnte sie dann davon überzeugen, dass das nichts bringt.

    Müller-Ullrich: Das Fürstenhaus hatte sich ja klar zur liechtensteinischen Unabhängigkeit bekannt, unter anderem auch dadurch, dass der Fürst Wohnsitz genommen hatte. Das war ja vorher gar nicht so.

    Büchel: Ja, genau. Das Haus Liechtenstein hat das Fürstentum über 200 Jahre lang von Wien aus regiert. Damals noch als Thronfolger ist dann der damalige Fürst Franz Josef II. nach Liechtenstein gekommen und hat Wohnsitz genommen, ist dann im Juli 1938 Fürst geworden und ist dann geblieben, einfach um gegen außen zu zeigen, das Fürstentum Liechtenstein ist für uns sehr wichtig, wir sind der Souverän dieses Fürstentums und deshalb wollen wir im Fürstentum wohnen.

    Müller-Ullrich: In der Außenwahrnehmung, also in Europa vielfach auch noch bis heute, hat man ja den Eindruck, Liechtenstein ist nur so ein kleiner Appendix an der Schweiz. Das heißt, damals, glaubte man zumindest, hat die Schweiz auch eine Art Beistandspakt, eine Bestandsgarantie für Liechtenstein abgegeben. In Ihrer Ausstellung zeigen Sie, dass das nicht so war.

    Büchel: Ja, genau. Der Schweizer Bundesrat und auch die Militärführung haben immer wieder betont, dass im Fall eines deutschen Einmarsches keine Verteidigung durch Schweizer Truppen stattfinden würde. Die Grenzen zum Reich sind von Schweizer Grenzwächtern bewacht worden und die hätten sich sofort zurückziehen müssen, wenn deutsche Truppen einmarschiert wären. Wenn jetzt die deutschen Truppen über Liechtenstein die Schweiz angegriffen hätten, dann hätten die Schweizer, wenn sie jetzt die Deutschen zurückgeschlagen hätten, dann nicht an der Grenze Stopp gemacht. Dann wären die wahrscheinlich bis nach Liechtenstein vorgedrungen. Insofern hätten sie dann Liechtenstein ein bisschen mit verteidigt. Aber grundsätzlich war klar: bei einem Angriff Deutschlands gibt es keine Verteidigung durch die Schweiz.

    Aber was Sie schon erwähnt haben, diese Situation, dass Liechtenstein als Appendix der Schweiz angesehen wurde seitens Deutschlands, das hat Liechtenstein dann ein Stück weit schon beschützt. Die Devise war in Deutschland, dass Liechtenstein erst einkassiert wird, wenn man dann die Schweiz angreift. Von daher: ein indirekter Schutz durch die Schweiz hat bestanden.

    Müller-Ullrich: Wie real war denn die Gefahr? Wie stark waren die Ängste und wie real war die Gefahr?

    Büchel: Die Ängste waren sehr groß, nicht nur 1938, eigentlich während der ganzen Zeit bis zur deutschen Kapitulation im Mai 1945, weil man eben nie wusste, kommt vielleicht doch noch ein Einmarsch. Diese Unsicherheit bestand die ganze Zeit über. Und wirklich real war die Gefahr ganz am Anfang sehr groß. Es hat bis zum 18. März eine Woche lang in Berlin verschiedene Ansichten gegeben, ob man jetzt einen Anschluss auch noch machen sollte und Liechtenstein auch noch anschließen sollte oder nicht. Hitler hat dann am 18. März entschieden, dass man Liechtenstein vorläufig in Ruhe lassen werde. Dieser Beschluss ist aber nicht offiziell publik gemacht worden und deshalb wusste man davon nichts. Das hieß, die Unsicherheit bestand weiterhin.

    Müller-Ullrich: Was war jetzt der Hintergrund Ihrer Ausstellung speziell, außer dem kalendarischen Anlass? Gibt es da neue Akten zum Beispiel?

    Büchel: Nein. Eigentlich wirklich Neues zeigen wir in der Ausstellung auch nicht. Die Zeit ist von liechtensteinischen Historikern schon vor einer Weile aufgearbeitet worden. Das wichtigste Buch zu der Zeit ist 1997 schon erschienen. Es war eigentlich wirklich das Jubiläum, wenn man so will, und einfach darauf aufmerksam machen, wie knapp es damals eigentlich war, dass es eben nicht selbstverständlich ist, dass Liechtenstein die Zeit 1938 und danach, auch den ganzen Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden hat.

    Müller-Ullrich: Donat Büchel vom Liechtensteinischen Landesmuseum gab Auskunft über die Ausstellung "Anschluss oder weiterhin souverän? Liechtenstein 1938".


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