Donnerstag, 16. Mai 2024

Archiv


"Hitler-Film ist ein bisschen wie die Lindenstraße"

Holger Noltze: Die Frage, die sich an Bernd Eichingers und Oliver Hirschbiegels Film 'Der Untergang' anschließt, ist ja unter anderem die, ob man, wenn man alles genau so nachbaut, wie es war, unter Aufbietung von allem, was Requisite, Maske, Schauspielkunst zu bieten haben, so etwas wie Wahrheit herstellen kann. Ab heute ist es soweit, Deutschland schaut den Führerbunker, Christoph Schlingensief, Sie haben schon. Was wird Deutschland sehen?

Moderation: Holger Noltze | 16.09.2004
    Christoph Schlingensief: Es sieht aus ein bisschen wie die Lindenstraße. Ich will den Film jetzt nicht gleich aus oppositionellen Gedanken schlecht machen, der hat schon auch einen hohen Grad an Professionalität und imponiert auch an einigen Stellen sehr, aber er hat trotzdem so den Hauch von Lindenstraße, wobei mich nie interessiert hat, was Frau Beimer in ihrem Kühlschrank hat, so interessierte mich eigentlich auch nie, was Hitler im Kühlschrank hatte. Und dieser Film hat dann manchmal solche Passagen, wo ich denke: na, jetzt kommt der noch in der Uniform rein, da ist der Nachbar in der Nachbarzelle, Frau Goebbels bereitet den Mord der Kinder vor (das ist dann auch so eine Nachbarin). Das ist dann komischerweise - soll das jetzt tatsächlich die Wahrheit sein? Dann fehlt mir aber wieder der obsessive Punkt, der mich auch selber einbezieht. Also gerade die Schweinerei, dieses Unbegreifliche, dieses Ekelhafte und auch Abstoßende, das aber auch gleichzeitig etwas Faszinierendes hat, weil es auch dann, erst dann mit mir zu tun hat.

    Noltze: Haben wir es denn mit einem Tabubruch zu tun, wie mehrfach behauptet wurde, gibt es ein Bilderverbot, das jetzt endlich niedergerissen wurde?

    Schlingensief: Das finde ich ja sehr abstrus, weil ich ja eben auch den Film von G. W. Pabst aus den Fünfzigerjahren schon 1998/1999 gesehen habe und dann damals mit dem Staatsanwalt Kuhlbrodt und auch dem Schauspieler Alfred Edel überlegt habe, man müsste doch eigentlich auch mal die letzte Stunde verfilmen und dann haben wir eben '100 Jahre Adolf Hitler - die letzte Stunde im Führerbunker' an einem Tag in 16 Stunden in Mülheim an der Ruhr gedreht mit Udo Kier als Hitler.

    Noltze: Das waren noch Tabubrüche?

    Schlingensief: Damals war es so, dass Thomas Mitscherlich bei der Premiere dann oben vom Rang fast runterstürzte und mich wild beschimpfte, weil er das also unmöglich fand und ich auch noch gesagt habe, uns interessierten vor allen Dingen diese 16 Stunden. Wirklich die letzten Stunden da unten und keiner durfte raus. Man musste in diesem Bunker bleiben, was natürlich anmaßend ist. Und das ist so oder so anmaßend, weil auch bei Guido Knopp im Fernsehen, wenn ich dann die Zeitfolgen höre und da ist ein neunzigjähriger Mann, der mir erzählt, wie es dann damals in Stalingrad war, es sind alles auch Märchenstunden. Guido Knopp ist dann eben so seriös mit Krawatte, dass man dann denkt, na ja, der muss es wissen, der ist ja Historiker. Es ist aber alles immer in dem Bereich des Unbegreifbaren und Unbegreiflichen und ich glaube auch, dass diese Kriegsforschung oder wie sagt man Historiker, das ist alles schön und gut und es gibt wunderbare Werke, ich finde zum Beispiel Joachim C. Fests Buch wesentlich besser als den Film, der jetzt daraus entstanden ist. Wenn man aber schon auf Zelluloid geht und wenn man ins Kino geht und auch den Zuschauer ansprechen will, darf man nicht vergessen, dass es eigentlich immer in den Zwischenräumen, den Dunkelphasen (es muss Dunkelphasen, damit die Bilder verschwinden und auch verschwimmen und sich doppelbelichten), das heißt, die Tatsache muss sich mit meinen eigenen Bildern vermengen.

    Noltze: Wenn Sie sagen, es fehlt Ihnen das Dunkle, das Obsessive - ist der Film Ausdruck eines Wunsches nach Normalisierung, nach Historisierung? Wenn man Hitler eben auch mal beim Kuchenessen sieht.

    Schlingensief: Ich glaube, dass das ein großes Bedürfnis ist, das hat Eichinger auch mal bei einer Pressevorstellung gesagt, wo ich drin war und eine Pressekonferenz anschließend gegeben wurde, dass man eben den Amis das Feld nicht überlassen wollte. Es ist also für den Deutschen nicht erträglich, dass ein Amerikaner nachher die letzte Stunde so ausführlich verfilmt, das wollen wir Deutschen dann doch selber mal machen. Aber genau da, wo wir Deutschen auch vielleicht mal - und zwar jeder von uns, inklusive die Neonazis, die da immer auch noch rumhausen und so weiter - mal befragt werden müssen, eben warum aus diesem Land dieses Unglaubliche herausgekommen ist und was an unbefriedigten Gefühlen auch übrig geblieben ist, warum vielleicht Deutschland immer wieder hofft, noch mal Weltmeister im Fußball zu werden, weil es eben in der Länderokkupation nicht so ganz geklappt hat. Alles böse ausgedrückt. Aber ich glaube schon, mich hätte, wenn die Amis gemacht hätten, könnte ich mich schon auf Distanz halten, könnte sagen: ja, aber ihr wisst ja nichts über mein wirklich schweinisches Denken. Jetzt haben wir Deutschen es gemacht und dass wir Deutsche jetzt tatsächlich wollen, dass es schön sauber im Regal steht. Also, wer das glaubt - und es wundert mich, dass es so viele jetzt in dieser Form teilweise geschrieben haben -, das sehe ich überhaupt nicht.

    Noltze: Glauben Sie denn, dass der Nazifilm für Deutschland werden könnte, was der Western für das amerikanische Kino geworden ist, vielleicht bei uns ein dann negativ heroisches deutsches Genre?

    Schlingensief: Haha, ich muss schon sagen, dass man eine Lust verspürt, jetzt auch noch mal die letzten 12 Tage zu verfilmen und ich habe tatsächlich, das ist nicht gelogen, heute einen Anruf gekriegt von einem Autor, der mir die letzten 16 Tage als Drehbuch anbieten will. Ich glaube, dieser Film wird noch ganz neue Sachen hervorlocken, gerade weil er eben dieses 'Reinheitsgebot' zu sehr beachtet hat und der Deutsche sich in seinem Wahn ja letzten Endes doch auf anderen Gefilden bewegen will und das müssen wir jetzt alle verfilmen. Also jeder raus mit der Videokamera, den Bart angeklebt und dann nichts wie vor die Kamera und die letzte Stunde im eigenen Wohnzimmer verfilmt. Das wird wahrscheinlich dem Thema eher gerecht und wird auch mehr Abgründe zeigen, die wahren Abgründe von Deutschland.

    Noltze: Deutsche Wohnzimmer zu Führerbunkern. Der Regisseur Christoph Schlingensief über Hitler im Kino.