Peter Witte: Nun, das ist in keiner Weise ein Sensationsfund. Ein Sensationsfund wäre es vielleicht, vielleicht, wenn er neu wäre. Aber er ist nicht neu, sondern lange, lange bekannt und befindet sich seit Anfang der 60er Jahre im Besitz des Bundesarchivs.
Holger Noltze: Wie kann es zu einem Missverständnis über die Bekanntheit oder Nicht-Bekanntheit so eines Dokumentes kommen, das ja doch von einiger Bedeutsamkeit ist?
Peter Witte: Nun, auch das ist relativ einfach zu beantworten. Ich denke, dass es sich hier um einen historischen Laien oder einen Anfänger handelt, der seinen ersten Fund, den er gemacht hat, entsprechend platzieren will, ohne Kenntnis der Fachliteratur, ohne sich weiter mit dem Gebiet befasst zu haben.
Holger Noltze: Wo hätte man das denn einsehen können?
Peter Witte: Im Bundesarchiv.
Holger Noltze: Das ist nun eigentlich keine besonders esoterische Adresse.
Peter Witte: Überhaupt nicht. Es war auch lange vorher, bevor die gesamten Bestände der Amerikaner - der Aktenfund "Persönlicher Stab, Reichsführer SS", daraus stammt es - der ging an die Amerikaner zuerst und wurde zunächst im BDC aufbewahrt, im Berlin Document Center, und ist dort der deutschen Forschung also seit Anfang der 80er Jahre praktisch ohne Einschränkung zugänglich gewesen. Die Amerikaner haben lediglich einen Mikrofilm. Das ist die Mikrofilm-Serie T 175.
Holger Noltze: Das heißt, Sie haben dieses Dokument auch einmal in der Hand gehabt?
Peter Witte: Ja, sicher.
Holger Noltze: Die eine Sache ist, ob man es wissen kann, wissen muss, die andere Frage ist, wie liest man diesen Befehl nun richtig?
Peter Witte: Also, ich denke, wenn man sich darüber äußert, sollte man sich zumindest in den grundlegenden Sachen über die Endlösung der Judenfrage, über die Entscheidungsfindung auskennen. Das ist die Bedingung. Zum zweiten, wie ist das Dokument zu lesen? Es ist nicht die Rede von einer Ermordung, sondern erst einmal von einem Abtransport, und zwar von sechs- bis siebenhunderttausend Mann. Ich möchte nur daran erinnern, dass dieselbe, weit überhöhte Zahl bereits in der Wannsee-Konferenz unter Frankreich aufgeführt worden ist.
Holger Noltze: Wie kommt es denn zu diesem Fehler?
Peter Witte: Das ist ganz einfach, weil Frankreich ja in verschiedene Gebiete getrennt war, die verschiedene Verwaltungen hatten. Es gab das deutsch-besetzte Frankreich, also das militär-besetzte Frankreich, es gab das Vichy-Frankreich unter Marshall Pétain und es gab die französischen Kolonien, die nordafrikanischen, hauptsächlich Tunesien, Algerien, Marokko, in denen diese gewaltige Anzahl angesiedelt sein soll. Es handelt sich lediglich um ganz, ganz grobe Schätzungen.
Holger Noltze: Es geht in dem Text um französische Juden. Ist von da eine Verbindung zum Mordprojekt an den deutschen, österreichischen, tschechischen Juden zu ziehen?
Peter Witte: Das ist schwer zu sagen. Zuerst müssen wir uns klar werden, was sind französische Juden? Handelt es sich um Juden französischer Staatsangehörigkeit, dann kann man sagen, dass die Verbindung noch gar nicht hergestellt worden ist, denn bis in den Herbst 1942 sind, ich sage jetzt lediglich, die staatenlosen Juden, da handelt es sich zu einem Großteil um Emigranten aus dem Reichsgebiet, und rumänische Juden und polnische Juden, die in Frankreich Zuflucht gefunden haben, deportiert worden. Nicht die französischen Staatsangehörigen. Aber ich habe keinen Zweifel, dass in diesem sechs- bis siebenhunderttausend Juden-Dokument vom zehnten Dezember natürlich die französischen Staatsangehörigen inbegriffen sind. Aber die waren, wie ich schon sagte, bereits im Protokoll der Wannsee-Konferenz ist dieselbe Zahl genannt für Frankreich, für gesamt Frankreich, einschließlich Kolonien.
Holger Noltze: Nun wird dieses Blatt auch heran gezogen zum Beleg, wie Ende 1942 der so genannte Vernichtungswille des Führers eine neue Qualität sozusagen der Ausdrücklichkeit bekommt. Verstehen Sie das so?
Peter Witte: Nein, verstehe ich nicht. Ich kann wiederum nur auf das Protokoll der Wannsee-Konferenz rekurrieren, wo wir eine Zielplanung, die sich auch auf die neutralen Staaten und auch sogar Feindstaaten wie England bezieht, ins Auge gefasst haben. Der Vernichtungswille ist längst, längst klar.
Holger Noltze: Herr Witte, wie ordnen Sie die Veröffentlichung jetzt in der FAZ dieses Textes in den größeren Zusammenhang der Holocaust-Aufarbeitungsdiskussion ein. Ist es hilfreich?
Peter Witte: Überhaupt nicht. Ich würde sogar sagen, so eine Veröffentlichung ist letzten Endes schädlich, weil es falsche Erwartungen weckt, weil es falsche Hinweise gibt. Das können wir gerade nicht gebrauchen. Das ist meiner Ansicht nach ein gefundenes Fressen für die so genannten Negationists, also die Holocaustleugner und -lügner.
Holger Noltze: Wie kann es zu einem Missverständnis über die Bekanntheit oder Nicht-Bekanntheit so eines Dokumentes kommen, das ja doch von einiger Bedeutsamkeit ist?
Peter Witte: Nun, auch das ist relativ einfach zu beantworten. Ich denke, dass es sich hier um einen historischen Laien oder einen Anfänger handelt, der seinen ersten Fund, den er gemacht hat, entsprechend platzieren will, ohne Kenntnis der Fachliteratur, ohne sich weiter mit dem Gebiet befasst zu haben.
Holger Noltze: Wo hätte man das denn einsehen können?
Peter Witte: Im Bundesarchiv.
Holger Noltze: Das ist nun eigentlich keine besonders esoterische Adresse.
Peter Witte: Überhaupt nicht. Es war auch lange vorher, bevor die gesamten Bestände der Amerikaner - der Aktenfund "Persönlicher Stab, Reichsführer SS", daraus stammt es - der ging an die Amerikaner zuerst und wurde zunächst im BDC aufbewahrt, im Berlin Document Center, und ist dort der deutschen Forschung also seit Anfang der 80er Jahre praktisch ohne Einschränkung zugänglich gewesen. Die Amerikaner haben lediglich einen Mikrofilm. Das ist die Mikrofilm-Serie T 175.
Holger Noltze: Das heißt, Sie haben dieses Dokument auch einmal in der Hand gehabt?
Peter Witte: Ja, sicher.
Holger Noltze: Die eine Sache ist, ob man es wissen kann, wissen muss, die andere Frage ist, wie liest man diesen Befehl nun richtig?
Peter Witte: Also, ich denke, wenn man sich darüber äußert, sollte man sich zumindest in den grundlegenden Sachen über die Endlösung der Judenfrage, über die Entscheidungsfindung auskennen. Das ist die Bedingung. Zum zweiten, wie ist das Dokument zu lesen? Es ist nicht die Rede von einer Ermordung, sondern erst einmal von einem Abtransport, und zwar von sechs- bis siebenhunderttausend Mann. Ich möchte nur daran erinnern, dass dieselbe, weit überhöhte Zahl bereits in der Wannsee-Konferenz unter Frankreich aufgeführt worden ist.
Holger Noltze: Wie kommt es denn zu diesem Fehler?
Peter Witte: Das ist ganz einfach, weil Frankreich ja in verschiedene Gebiete getrennt war, die verschiedene Verwaltungen hatten. Es gab das deutsch-besetzte Frankreich, also das militär-besetzte Frankreich, es gab das Vichy-Frankreich unter Marshall Pétain und es gab die französischen Kolonien, die nordafrikanischen, hauptsächlich Tunesien, Algerien, Marokko, in denen diese gewaltige Anzahl angesiedelt sein soll. Es handelt sich lediglich um ganz, ganz grobe Schätzungen.
Holger Noltze: Es geht in dem Text um französische Juden. Ist von da eine Verbindung zum Mordprojekt an den deutschen, österreichischen, tschechischen Juden zu ziehen?
Peter Witte: Das ist schwer zu sagen. Zuerst müssen wir uns klar werden, was sind französische Juden? Handelt es sich um Juden französischer Staatsangehörigkeit, dann kann man sagen, dass die Verbindung noch gar nicht hergestellt worden ist, denn bis in den Herbst 1942 sind, ich sage jetzt lediglich, die staatenlosen Juden, da handelt es sich zu einem Großteil um Emigranten aus dem Reichsgebiet, und rumänische Juden und polnische Juden, die in Frankreich Zuflucht gefunden haben, deportiert worden. Nicht die französischen Staatsangehörigen. Aber ich habe keinen Zweifel, dass in diesem sechs- bis siebenhunderttausend Juden-Dokument vom zehnten Dezember natürlich die französischen Staatsangehörigen inbegriffen sind. Aber die waren, wie ich schon sagte, bereits im Protokoll der Wannsee-Konferenz ist dieselbe Zahl genannt für Frankreich, für gesamt Frankreich, einschließlich Kolonien.
Holger Noltze: Nun wird dieses Blatt auch heran gezogen zum Beleg, wie Ende 1942 der so genannte Vernichtungswille des Führers eine neue Qualität sozusagen der Ausdrücklichkeit bekommt. Verstehen Sie das so?
Peter Witte: Nein, verstehe ich nicht. Ich kann wiederum nur auf das Protokoll der Wannsee-Konferenz rekurrieren, wo wir eine Zielplanung, die sich auch auf die neutralen Staaten und auch sogar Feindstaaten wie England bezieht, ins Auge gefasst haben. Der Vernichtungswille ist längst, längst klar.
Holger Noltze: Herr Witte, wie ordnen Sie die Veröffentlichung jetzt in der FAZ dieses Textes in den größeren Zusammenhang der Holocaust-Aufarbeitungsdiskussion ein. Ist es hilfreich?
Peter Witte: Überhaupt nicht. Ich würde sogar sagen, so eine Veröffentlichung ist letzten Endes schädlich, weil es falsche Erwartungen weckt, weil es falsche Hinweise gibt. Das können wir gerade nicht gebrauchen. Das ist meiner Ansicht nach ein gefundenes Fressen für die so genannten Negationists, also die Holocaustleugner und -lügner.