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Hitlers Briefmarken

Die ganze Riege der deutschen Mythologie, makellose Heldengestalten und ein klinisch sauberer Krieg: Das sind die überwiegenden Motive der Briefmarken, die das Naziregime drucken ließ. Wie auch Briefmarken einen Teil zur Geschichtsschreibung beitragen können, zeigt eine Ausstellung im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main, die sämtliche Marken der NS-Post und deren Entwürfe umfasst.

Von Jürgen Werth |
    Da schrieb er ihr gleich einen Brief: Hab genug schon von dem Krieg. Niemand glaubt mehr an den Sieg.

    Der Schreiber riskierte seinen Kopf. So ein Brief war nicht harmlos. Die Marke schon.

    " Es beginnt ganz harmlos. "

    Ganz harmlos. Mit Lohengrin. Zum Beispiel.

    " Die Marken, die '33 herausgekommen sind, sind letztlich noch zu Weimarer Zeiten geplant gewesen. Und erst so Ende '33 greift der Nationalsozialismus voll. "

    Andreas Hahn vom Archiv für Philatelie hat die Postwertzeichen, die er "harmlos" nennt, vor den Besuchern im Frankfurter Museum für Kommunikation ausgebreitet. Die ersten Nothilfe-Marken präsentieren motivisch die gravitätische Richard Wagner-Menagerie: Lohengrin, Tannhäuser und fast die gesamte Chef-Etage der deutschen Mythologie stellen sich vor. Der Führer begnügte sich 1933 - was Briefmarken angeht - mit der Rolle des Opernführers.

    " Im nächsten Jahr ist das dann aber schon ganz anders. Da ist das Motiv: Die Berufsstände. Da werden also verschiedenste Berufe vorgestellt, jeweils Männerberufe, Frauen spielen da keine Rolle, und da zeigt sich - für mein Empfinden zum ersten Mal - so ein bestimmter Menschentyp, der propagiert wird. "

    Männer mit vorgestrecktem Kinn nehmen Aufstellung, hoch gewachsene, breitschultrige, hünenhafte Typen: Bauarbeiter, Landmann, Richter. Sogar ein Künstler kommt vor. Auch ihm traut man zu, dass er seine Granitblöcke auf der Schulter ins Atelier stemmt. Ein Entwurf zeigt einen Forscher mit Brille. Der Entwurf wurde abgelehnt. Und was hat der Mann in der genehmigten Variante auf der Nase?

    " Keine Brille. Ein Arier, deutscher Mann, hat wahrscheinlich in der Idealvorstellung keine Brille zu tragen. Auch wenn die Brille seit Hunderten von Jahren in der Ikonografie ein Zeichen von Intelligenz und Vergeistigung ist. Das war nicht gewünscht. "

    Kein Wunder. Die Brille stand für Intellektualismus, also für Judentum. Außerdem sollte man nicht so genau hinsehen im Dritten Reich.

    Genau hinsehen sollten die Besucher der Frankfurter Ausstellung bei der Luftschutz-Serie. Ein Schild wie aus dem Ritterspiel schützt Mutter mit Kind vor dem bedrohlichen Himmel. Diese Marke wurde ausgeliefert. Ausgemustert wurde ein Entwurf mit feindlichen Flugzeugen. Erstaunlich: Hier gibt eine Briefmarke Einblick in verdeckte Kriegsvorbereitungen; denn sie stammt aus dem Jahr 1937.

    Das ist in der Galerie der kleinen Bilder oft zu beobachten: diese Gratwanderung zwischen Mythos und Realität. Vier Marken bilden Mütter mit Kindern ab, eine fünfte zeigt uns eine Maschinenarbeiterin.

    " Und dies ist das einzige Beispiel, was wir gefunden haben, wo einmal die reale Arbeitswelt wirklich war. Und genau diese Marke, wo die Frau wirklich arbeitend gezeigt wird, die wurde nicht realisiert, wurde abgelehnt. "

    Der Krieg wurde nicht ausgespart. Einige Marken sind sogar von einem verblüffenden Realismus. Und wieder hat der Zensor ein Machtwort gesprochen - und es blieb bei Entwürfen.

    " Wenn also dieser Panzer hier durch eine völlig zerstörte, zerbombte Stadt rollt oder wenn diese Soldaten, die Infanterie, hier vorwärts marschiert und im Hintergrund brennende Dörfer. So wie es in Russland wahrscheinlich wirklich ausgesehen hat, dann war das offensichtlich nicht mehr gewünscht, sondern der Krieg wurde auch da - wenn er dargestellt wurde - klinisch und sauber dargestellt. "

    Eines ist in der Ausstellung des Frankfurter Museums für Kommunikation mit ihren fünfhundert Exponaten zu lernen: Zu einer Chronik des Nationalsozialismus gehören nicht nur Hitler-Reden und Statistiken, Zeitungen und Gesetze, Fotos und Dokumente, Filme und Gebäude, auch Briefmarken können Geschichten erzählen, die zur Geschichtsschreibung beitragen. Im April 1945 werden Kinder und Greise zum letzten "Volkssturm" mobilisiert. Auch ein Postwertzeichen sollte dabei helfen. Und im Mai klebten auf den Briefen in Ostpreußen andere Marken als im Rheinland. Dann brach die Kommunikation zusammen. So schnell ging das.

    " Ja, so schnell ging das. In Aachen wurden die Briefmarken von den Alliierten, von den Amerikanern mitgebracht. Die hatten gleich neue gedruckte Marken dabei, während im östlichen Teil Deutschlands, also in dem von Russland besetzten Teil, man nicht so weit war. Und dort hat dann jedes Postamt im Prinzip versucht sich zu behelfen, indem es vor allen Dingen diese Dauermarken mit den Hitlerköpfen drauf einfach irgendwie überdruckt hat. Auf den Hitlerkopf kam ein schwarzer Stempel, damit das Gesicht weg war. Und dann wurden sie eine Zeitlang weitergenutzt. "

    Es geht alles vorüber. Es ist alles vorbei. Auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai. Dann ist es mit Hitler und den Bonzen vorbei. Von all dem Gesindel wird Deutschland dann frei.