Dienstag, 07. Mai 2024

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Hitlers Holding, Die Reichswerke "Hermann Göring"

Deutsche Banken, allen voran Deutsche und Dresdner Bank, waren "Dienstleister" des Dritten Reiches. Sie errichteten Sperrkonten, Zwangsdepots. Ihre Hypothekenabteilungen bemächtigten sich jüdischer Grundstücke, sie "versteigerten" ganze Unternehmen. All das taten sie "im Auftrag". Bevor sie aber jüdische Betriebe "im Auftrag" an Deutsche verkauften, korrigierten Wirtschaftsprüfer jede jüdische Bilanz "im Auftrag" nach unten, setzten Schätzer der Industrie- und Handelskammern "im Auftrag" jedes jüdische Warenlager herab, hielten Banken "im Auftrag" jüdische Wertpapiere unter Kurs, Preisstellen entdeckten "im Auftrag" fiktive Steuernachforderungen und "überführten" Juden "im Auftrag" der "Steuerhinterziehung", meldeten dieses Delikt "im Auftrag" der Geheimen Staatspolizei. Gierig stürzte sich das Dritte Reich auf das zu vermarktende jüdische Hab und Gut. Und als, nach der Reichskristallnacht, die Gestapo die Juden ganz aus dem öffentlichen Leben drängte, beraubten sie in Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden ihre Opfer nach ökonomischen Gesichtspunkten: Um 23.55 Uhr des 9. November 1938 telexte die Prinz-Albrecht-Straße ihren Leitstellen, es seien 20.000 bis 30.000 Festzunehmende so auszuwählen, daß "vor allem vermögende Juden" in die KZ gelangten.

Hans G. Helms | 21.08.2000
    Deutsche Banken, allen voran Deutsche und Dresdner Bank, waren "Dienstleister" des Dritten Reiches. Sie errichteten Sperrkonten, Zwangsdepots. Ihre Hypothekenabteilungen bemächtigten sich jüdischer Grundstücke, sie "versteigerten" ganze Unternehmen. All das taten sie "im Auftrag". Bevor sie aber jüdische Betriebe "im Auftrag" an Deutsche verkauften, korrigierten Wirtschaftsprüfer jede jüdische Bilanz "im Auftrag" nach unten, setzten Schätzer der Industrie- und Handelskammern "im Auftrag" jedes jüdische Warenlager herab, hielten Banken "im Auftrag" jüdische Wertpapiere unter Kurs, Preisstellen entdeckten "im Auftrag" fiktive Steuernachforderungen und "überführten" Juden "im Auftrag" der "Steuerhinterziehung", meldeten dieses Delikt "im Auftrag" der Geheimen Staatspolizei. Gierig stürzte sich das Dritte Reich auf das zu vermarktende jüdische Hab und Gut. Und als, nach der Reichskristallnacht, die Gestapo die Juden ganz aus dem öffentlichen Leben drängte, beraubten sie in Zusammenarbeit mit den Finanzbehörden ihre Opfer nach ökonomischen Gesichtspunkten: Um 23.55 Uhr des 9. November 1938 telexte die Prinz-Albrecht-Straße ihren Leitstellen, es seien 20.000 bis 30.000 Festzunehmende so auszuwählen, daß "vor allem vermögende Juden" in die KZ gelangten.

    Nachzulesen ist das in dem Band "Die Geldgeschäfte der SS - Wie deutsche Banken den schwarzen Terror finanzierten", den Peter-Ferdinand Koch im Verlag Hoffmann und Campe herausgebracht hat. Seit den Debatten um den Verbleib des Nazi-Raubgoldes, seit dem peinlichen Streit um marginale Entschädigungen für die wenigen noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter, ist die Tatsache wieder ein wenig stärker ins öffentliche Bewußtsein gedrungen, dass der deutsche Nationalsozialismus auch auf ökonomisch lukrative Unternehmen angelegt war. Darauf scheint auch der Europa Verlag zu setzen, der August Meyers 1986 weitgehend übersehene Studie über die Reichswerke "Hermann Göring" neu aufgelegt hat. Hören Sie kritische Anmerkungen von Hans G. Helms.

    Wenn Amateure Geschichte schreiben, neigen sie nicht selten zur Dämonisierung ihrer Protagonisten. Unter Überschätzung des Nazi-Wirtschaftsfunktionärs Paul Pleiger, des Mitbegründers, Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden des für kurze Zeit "weltgrößte(n) Konzern(s) mit einer einmaligen Machtfülle", leidet August Meyers in "überarbeiteter und aktualisierter Neuauflage" erschienene Darstellung der Entwicklung der Reichswerke "Hermann Göring". Der anscheinend freie Zugang zum wohl konservierten Firmenarchiv der Salzgitter-Werke hat's ihm ermöglicht, den Nazi-Beelzebub Paul Pleiger und dessen wahren Behemoth zu entlarven:

    "die Reichswerke 'Hermann Göring' (...), die nicht nur ein Wirtschaftsgigant waren, sondern als Parteiinstrument ein Herrschaftssystem neben dem Staats- und Regierungsapparat darstellten."

    Die "einmalige Machtfülle" der Reichswerke unterscheide sie grundsätzlich von der Großindustrie,

    "die in den mageren Jahren der Weltwirtschaftskrise "glücklich (war) über eine starke Führung. Man ersehnte eine starke Führerpersönlichkeit, insbesondere aber (...) das starke, straffe, deutsch-faschistische Führungssystem."

    In Realität gab es kaum fügsame Unterordnung unter einen Führerwillen. Finanz- und Industriekapital hatten handverlesene Repräsentanten in die wirtschaftlichen Führungsstäbe des Regimes delegiert. Sie vertraten die Interessen ihrer Branchen und Konzerne mit viel Geschick. Planungs- und Produktionsentscheidungen wurden im Regelfall in Übereinstimmung zwischen Führungsstäben und Unternehmen getroffen. Nicht nur die Reichswerke arisierten und raubten mit Hilfe staatlicher und Parteiorgane, der Dresdner und Deutschen Bank im Altreich, in den angeschlossenen und okkupierten Ländern; das gesamte deutsche Großkapital betrachtete den Krieg als Beutezug zur Aneignung fremder Vermögenswerte. An der Rüstung profitierten sie allesamt in ungeahntem Maßstab. Zum Ersatz für die Lothringer Eisenerzfelder, die nach dem Ersten Weltkrieg an Frankreich zurückgefallen waren, suchten Staat und Montanindustrie auf deutschem Boden nach abbauwürdigen Erzfeldern. Ein Gutachten für die Reichsregierung stellte 1927 fest:

    "Das einzige große (...) Eisenerzgebiet (...) ist das Salzgitter-Lager. Es wird, großzügig ausgebaut, die niedrigsten Gewinnungskosten aufweisen."

    Die Montanherren von der Ruhr waren an einer Erschließung der Salzgitter-Eisenerzlager nicht interessiert,

    weil der "überwiegende Teil des Erzes (...) sehr kieselsäurehaltig war (und) alle Erze einen relativ bescheidenen Eisengehalt (hatten, die) sich schlecht zu vertretbaren Kosten verhütten" ließen.

    Als das Nazi-Regime mit der Aufrüstung begann, die von chronischem Devisenmangel gehemmt wurde, fahndete der Hüttenfachmann Paul Pleiger im Auftrag von Görings Vierjahresplanbehörde nach heimischem Eisenerz

    "und fand "bei Salzgitter (...) den lange gesuchten Schatz."

    Im Juni 1937 berichtete er Göring und schlug ihm den US-amerikanischen Verhüttungsspezialisten Hermann Brassert als Gutachter und Erbauer eines "rentabel arbeitenden Hüttenwerks" vor.

    "Da die Ruhrhütten nach wie vor nicht bereit sind, den Bergbau und den Hüttenbetrieb (in Salzgitter) auf eigene Rechnung durchzuführen, kommt es dann am 15. Juli 1937 zur Gründung der Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten 'Hermann Göring'. Bereits (...) am folgenden Tag erhält die Firma H.A. Brassert (...) den Vertrag über den Bau (...) eines Hüttenwerks bei Braunschweig" und nach dem Anschluß Österreichs 1939 eines zweiten "Hüttenwerks in Linz."

    Die Gründung der Reichswerke erwies sich als Fehlspekulation:

    "Der Aufbau der neuen Werke verschlang mehr Stahl, als dort überhaupt bis Kriegsende erzeugt wurde."

    Während Meyer die Behauptung aufstellt, Pleiger habe Göring für seine auf den Reichswerken basierenden Trustbildungspläne bloß benutzt:

    "Die Hinzufügung von Hermann Görings Namen war nötig, um ihn sozusagen als 'Schutzpatron' für widrige Zeiten zur Verfügung zu haben,"

    argumentiert der österreichische Historiker Helmut Fiereder, der eine ordentliche Darstellung der Reichswerke "Hermann Göring" in Österreich verfasst hat:

    "Anfang Juli 1937 bestimmt Göring Pleiger zum alleinigen Vorstandsmitglied der noch zu gründenden Gesellschaft (...). Die Einbeziehung von Görings Namen in den Firmennamen zeigte deutlich, dass Göring bei dieser Gründung des 'Vierjahresplans' auch nach außen hin als Konzernherr auftreten wollte."

    Nach Görings Kalkül sollten die Reichswerke den unbequemen Einfluss der Montanbarone auf das Rüstungsprogramm eindämmen. Das gelang Paul Pleiger, der bis Kriegsende den Trust als Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender leitete, - gedeckt durch Göring - bis zu einem gewissen Grad, indem er den Reichswerken in den angeschlossenen und überfallenen Ländern Hüttenwerke und Gruben im Kohle-, Eisen- und Nichteisenmetallsektor, Rüstungsbetriebe und Transportunternehmen einverleibte. Der planlos wild zusammengewürfelte Supertrust, dessen Tentakel von der Ostsee bis zum Mittelmeer, von Frankreich bis in die Ukraine reichten, wurde trotz mehrfacher Reorganisation zusehends unbeherrschbar.

    "Die nützlichen Darstellungen des "Konzernaufbaus" von 1937 bis 1944, die Hunderte von Unternehmen verzeichnen, legen Zeugnis ab von der unersättlichen Gier Paul Pleigers und Hermann Görings. Sie dokumentieren auch die enge Zusammenarbeit mit der SS und die Konkurrenz mit dem anderen staatsmonopolistischen Giganten, den IG Farben."

    Mit der Konzentrationsmanie der Reichswerke ging die Ämterhäufung ihres Chefs einher. Paul Pleigers Machtzuwachs, den er zu Gunsten der Reichswerke nutzte, war in der Tat beachtlich.

    "Ab 1941 war er Mitglied des Reichsrüstungsrats und (...) Vorsitzender der Reichsvereinigung Kohle (...). Er bestimmte über Fördermengen und Arbeitseinsatz des gesamten deutschen Kohlebergbaus. (Im selben Jahr wurde er zum) Reichsbeauftragte(n) für Kohle und Leiter der (...) Monopolgesellschaft Berg- und Hüttenwerksgesellschaft Ost (ernannt). Ab 1942 war er Reichsbeauftragter für Kohle in den besetzten Gebieten, (...) Aufsichtsratsvorsitzender der Kohlewertstoffverbände (und) Mitglied der Zentralen Planung" in Albert Speers Rüstungsministerium."

    Trotz dieser unvollständigen Ämter- und Machtakkumulation überschätzt Meyer Pleigers Bedeutung, wenn er zu suggerieren trachtet, Paul Pleiger, den Speer als "Kohlepapst" zu apostrophieren pflegte, sei kraft guter Beziehungen zu Göring und Hitler der eigentliche Chef im Rüstungsministerium gewesen.

    Speer selbst, der sich selbstverständlich als Führungsspitze der Kriegswirtschaft sah, stufte Pleiger zumindest als seinen Vertreter ein:

    Von Pleigers Macht kündet auch die Gesamtbelegschaft der Reichswerke mit den ihnen angegliederten Betrieben, die Meyer für 1943/44 auf rund 3 400 000 Frauen und Männer beziffert.

    "Innerhalb der Reichswerke 'Hermann Göring' wurden um 1943/44 (ca. 1 580 000) Zwangsarbeiter - ausschließlich Kriegsgefangene, KZ- und Wehrmachts-Häftlinge - (...) beschäftigt. (Das waren) circa 30 Prozent aller eingesetzten Zwangsarbeiter (...). Ab August/September 1942 begann auf Drängen von Speer der verstärkte Einsatz (von KZ-Häftlingen) in der Industrie. (...) Die Auswahl der Häftlinge im Hauptlager erfolgte bei den Reichswerken unter Mitwirkung von Werksärzten, Ausbildern usw. Die Wahl, wie und wo wer zu sterben hatte, erfolgte also nicht ausschließlich durch die SS!"

    Meyer gibt eine lückenhafte Aufstellung von rund 70 KZ, Außen- und Arbeitslagern mit einer jeweiligen Belegung von weit mehr als 70 000 Arbeitssklaven.

    "Die Reichswerke als größter Verbraucher (von Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen) hatten die höchste Todesrate (...). Selbst bei den KZ-Häftlingen der IG-Buna-Werke (in) Auschwitz-Monowitz lag nach Höß die Todesrate erheblich niedriger als bei den benachbarten Reichswerken." "Im Laufe der Kriegsjahre (mußten) bei den Reichswerken durch Vernichtung durch Arbeit (ca. 178 000) KZ-Häftlinge (...) sterben."

    Darüber hinaus fielen bei den Reichswerken rund 60 000 sowjetische und 10 000 - 12 000 Kriegsgefangene aus anderen Ländern der "Vernichtung durch Arbeit" zum Opfer. Unerforscht ist die Zahl der zu Tode Geschundenen und Ermordeten in den Ost-Monopol-Betrieben, den Arbeitslagern auf dem Balkan, der bei Nordhausen zum Dora-Bau gezwungenen KZ-Häftlinge und der an die KZ zur Vergasung zurückgegebenen Kranken und Arbeitsunfähigen.

    August Meyers Arbeit, bei der's sprachlich, thematisch und theoretisch ziemlich verworren und oft überspitzt zugeht, ist dennoch wegen der Daten zur Entwicklung der Reichswerke "Hermann Göring" und der dort besonders rüden Ausbeutung der Sklavenarbeiter von Interesse. Sie verdeutlicht, wie dringend dieser staatsmonopolistische Supertrust und sein Chef Paul Pleiger, der wie seine Kumpane im Rüstungsministerium Albert Speer, Hans Kehrl, Karl Maria Hettlage und Edmund Geilenberg mit Hilfe von Lügen und Erinnerungsschwäche dem Nürnberger Galgen entkommen sind, einer sorgfältigen historisch-analytischen Darstellung bedürfen.

    Hans G. Helms über August Meyer "Hitlers Holding - Die Reichswerke Hermann Göring." Der Band ist im Europa Verlag Hamburg erschienen und kostet 49,80 DM.