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Hitlers "Mein Kampf" auf der Bühne
Kampfansage an die Neue Rechte

Mit der Inszenierung von Hitlers "Mein Kampf" will der polnische Regisseur Jakub Skrzywanek vor politischen Hassrednern von heute warnen. In einem Warschauer Theater bringt er das Buch auf die Bühne. Die erwarteten Proteste bleiben bislang aus.

Von Martin Sander | 26.03.2019
Auf einer Theaterbühne gibt ein schwarz gekleideter Mann anderen Schauspielern in Turnanzügen Anweisungen, dahinter eine Video-Leinwand mit Turnern in ebenfalls schwarz-weißen Turnanzügen.
Turnen nach historischem Vorbild - Das Warschauer Teatr Powszechny bringt "Mein Kampf" auf die Bühne. (Foto: Magda Hueckel )
Proteste gegen unliebsame Theaterinszenierungen durch rechtsnationale Gruppen sind in Polen in den letzten Jahren Tradition geworden. Auch diesmal wurden sie erwartet, da sich ein Warschauer Stadttheater anschickte, auf der Bühne Fackelzüge und Prügelattacken polnischer Rechtsextremisten zum heimischen Nationalfeiertag mit den Aufmärschen der NSDAP in Deutschland in Beziehung zu setzen. Doch der große Protest blieb erstmal aus. Die nationalkonservative Presse beließ es bei einem lapidaren Aufstöhnen: Was für falsche Bilder Polens mal wieder in die Welt gesandt würden - und das auf Kosten der Steuerzahler?!
Hitlers Buch auf Polnisch verfügbar
Die Hassreden der extremen Rechten auf der Bühne des "Teatr Powszechny" auseinandernehmen – diese Aufgabe hatte sich der junge, 1992 geborene Regisseur Jakub Skrzywanek gestellt und dabei auf einen berüchtigten deutschen Klassiker zurückgegriffen: Hitlers Buch "Mein Kampf". Den Vorwurf, das Pamphlet durch eine Inszenierung erst bekannt zu machen, wies der Regisseur energisch zurück. Seit langem kursierten in Polen zahlreiche, im Sinne des Urheberrechts meist nicht legale Übersetzungen und, so Skrzywanek:
"Mich hat überrascht, wie leicht man an Hitlers Text kommt. Es genügte, das Schlagwort "Mein Kampf auf Polnisch" bei Google einzugeben. Und ich hatte das Ergebnis in 0,35 Sekunden. Insgesamt war ich geschockt, auf wie vielen Internetseiten man, verborgen hinter der Fassade von historischer Aufklärung und Pädagogik, auf faschistische Texte stößt: Nazigedankengut in polnischer Übersetzung, allgemein zugänglich und massenhaft. Deshalb haben wir uns überlegt, dass das Theater den geeigneten Raum bietet, diesen Text vor Publikum zu spielen. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit wir uns heute dieser Sprache der Zwanziger, Dreißiger Jahre bedienen, die uns lange Zeit als so gefährlich erschien."
Keine Hauptfigur, sondern viele Stimmen
Auf der Theaterbühne gibt es keine Hauptfigur. Stattdessen zerteilen insgesamt drei Schauspielerinnen und drei Schauspieler "Mein Kampf" in Fragmente, Szenen und Dialoge. In der Auswahl für das Theater geht es um Hitlers Herkunft, seine Hinwendung zum Antisemitismus, die Unzulänglichkeiten der parlamentarischen Demokratie, das rassistisch-biologistische Menschenbild und die Beschwörung der Naturkräfte. Dramaturg Grzegorz Niziołek:
"Wir gingen davon aus, dass man unterschiedliche Stimmen aus dem Text heraushören kann. Hitler hat die Macht errungen, auch indem er sich in die Gesellschaft hineingefühlt hat. Er kannte alle diese Traumata, Komplexe, Unrechtsempfindungen. Dafür brauchten wir im Theater unterschiedliche Stimmen, verschiedene Figuren, um die Dynamik des Textes zu erfassen. Es geht ja nicht nur darum, welche Ansichten Hitler äußert, sondern, wie er sie den Lesern schmackhaft macht. Dann überlegten wir, wie man die Figuren miteinander in Konflikt bringen kann. Der Sozialist sagt nicht unbedingt dasselbe wie der Nationalist."
Beklemmend wirkender Klamauk
Regisseur Jakub Skrzywanek verteilt die Rollen so, dass vieles, beginnend mit dem Sozialdarwinismus, abstoßend, manches aber auch, wie die Kritik des demokratischen Establishments harmlos und sogar nachvollziehbar wirkt – das Ganze auf einer weißen, meist karg ausgestatteten Bühne des Warschauer "Teatr Powszechny". Bei Gelegenheit werden Filmsequenzen eingespielt, zum Beispiel ein Rattenheer aus dem antisemitischen Propaganda-Kino. Hitlers Schachtelsätze beginnen oft unscheinbar alltäglich. Dann steigern sie sich mal schleichend, mal abrupt zur überlauten Groteske. Einige Tiraden werden singend vorgetragen. Die Hitler-Darsteller lassen Pappkameraden tanzen. Die stammen aus der Gegenwart: zum Beispiel Papst Franziskus oder Angela Merkel samt Boot mit einer Extra-Einladung für Flüchtlinge. Das alles ist traurig, manchmal auch komisch. Ein beklemmender Klamauk als Kampfansage des Warschauer Theaters an die neue Rechte. Direktor Paweł Łysak:
"Die Sprache Hitlers klingt überraschend zurückhaltend im Vergleich mit manchen Hasstiraden, die man heute in Polen und auf der ganzen Welt hören kann – zum Beispiel, wie man über Flüchtlinge spricht."
So darf man sich die Frage stellen, wann dieses gelungene Bühnenexperiment auch dort zu betrachten sein wird, wo es ebenso hingehört – nach Deutschland.