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Hitzekollaps in der City

Brütende Hitze selbst zu nachtschlafender Zeit: 30 Grad Celsius in Rom, 28 in Athen, um die 25 Grad selbst in München und Dresden. In diesem Jahr trug schon der Juni die große Sommerhitze in Europas Metropolen, die Bevölkerung stöhnt unter den Plusgraden. Stadtklimatologen verwundern die Temperaturspitzen nicht. Sie erkennen darin einen Trend: Unsere Ballungszentren werden immer dichter bebaut und dadurch auch immer heißer. Gebäude und Asphaltdecken wirken wie thermische Akkus: Sie laden sich tagtäglich mit der Energie der Sonne auf und geben sie nachts als Wärme in die Straßenschluchten ab. Experten sprechen vom "urbanen Hitzeinsel-Effekt". Mit dem Temperatur-Stress wächst auch die Zahl von Todesfällen, der ohnehin große Energiehunger der klimatisierten Städte wird noch größer. "Forschung aktuell" über ein vernachlässigtes Problem der Stadtplanung.

Volker Mrasek |
    Kuttler: Also, wir sind jetzt gerade im Messbus vorne, im Fahrerstand. Und haben hier die Möglichkeit, über ein Display die atmosphärischen Spurenstoff-Konzentrationen und auch die meteorologischen Werte abzulesen.

    Schmidt: Das ist ein Mercedes 814. Ein ehemaliger Kipplaster, allradgetrieben. Die Kipplaster-Vorrichtung ist abgebaut worden. Und hinten ist ’n Kühlcontainer draufgesetzt worden, der also die Messgeräte, die Aufbereitung, die Gase usw. enthält.

    Kuttler: Aber wir können ja jetzt erstmal losfahren. Dann kriegen wir noch ein paar Werte.

    Schmidt: Können wir los?

    Kuttler: Die Schranke geht hoch. Und jetzt verlassen wir das Uni-Gelände.

    Kuttler: Also beispielsweise misst der jetzt im Augenblick eine relative Luftfeuchtigkeit von 79,4 Prozent. Das Problem ist: Wenn die Luftfeuchtigkeit sehr hoch ist und die Temperatur auch sehr hoch ist, dann ist das eine relativ starke Wärmebelastung. Und das führt dann immer zu diesem sehr unangenehmen Schwüle-Empfinden, so dass man also das Gefühl hat: Man überhitzt und hat keine Möglichkeit dann, sich abzukühlen.

    Schmidt: In der letzten Woche oder vorletzten Woche haben wir also auch ’ne nächtliche oder ’ne abendliche Temperatur-Messfahrt durch Essen gemacht, also so ’ne Nord-Süd-Befahrung. Und da hatten wir Temperatur-Unterschiede zwischen der Innenstadt und außerhalb von Grad Celsius, wo’s dann also in der Stadt wirklich unangenehm wird.

    Essen, die größte Stadt im Ruhrgebiet. Einst geprägt durch Kohle-Bergbau und Stahlerzeugung. Heute ein Zentrum der deutschen Stromwirtschaft. Es ist Hochsommer, und Wilhelm Kuttler: und Andreas Schmidt steuern ihr Mess-Fahrzeug ’mal wieder durch die 600.000-Einwohner-Stadt …

    Kuttler ist Professor für Angewandte Klimatologie an der Universität Duisburg-Essen, Schmidt der Mann für die Technik im Institut. Er lenkt auch das Messmobil - nicht nur durch Essen, sondern auch durch andere deutsche Städte. Das rollende Labor erfasst dabei jedes Mal Ozon, Stickoxide und andere Luftschadstoffe; doch: Kuttlers Arbeitsgruppe ist auch einer anderen Sache auf der Spur. Einem meteorologischen Phänomen, das Städtern immer mehr zu schaffen macht. Die Klimatologen sprechen vom "urbanen Wärmeinsel-Effekt". Mit Sorge sehen Kuttler und andere Hochschulforscher, dass unsere Städte im Sommer zunehmend heißer werden, verglichen mit dem Umland …

    Kuttler: Die so genannte Wärmeinsel-Intensität, also der Temperaturgradient zwischen Innenstadt und Umland, nimmt also in den letzten 50, 60 Jahren außerordentlich stark zu. Hier in Essen hatten wir zum Beispiel Differenzen von acht Grad Celsius. Oder zum Beispiel in Krefeld, mit mehr Gartenstadt-Charakter als Essen, hatten wir fünf Grad Celsius. Oder in Dortmund sieben Grad. Das schwankt so zwischen fünf und zehn Grad Celsius. Und das ist schon relativ viel.

    Noch größer ist das Temperatur-Gefälle in den Metropolen des Mittelmeer-Raumes. Das berichtet zum Beispiel Agis Papadopoulos aus Griechenland. Der Ingenieur hat in Aachen studiert und ist heute Professor für Energiesysteme an der Universität Thessaloniki:

    Also, wir messen kontinuierlich. Die letzten, die ich Ihnen nennen könnte, wären die Resultate vom letzten Sommer, also Sommer 2002. Und zwar haben wir da die Daten aus Athen, Tel Aviv in Israel und Thessaloniki verglichen. Und da gibt’s teilweise Unterschiede von acht bis zwölf Grad vom Stadtvorort ins Stadtzentrum. Also, wenn der Flughafen in Tel Aviv 30 Grad misst, dann ist das in Tel Aviv Downtown so circa 42, 43.

    Die City kocht, und für ihre Bewohner gibt es kein Entrinnen:

    Das ist eher die Regel an warmen Tagen. So mindestens 20-30mal im Sommer, also jeden dritten Tag oder jeden zweiten Tag, ist das ziemlich gewöhnlich. Und das gilt für die meisten südeuropäischen Städte mittlerweile.

    Es ist absehbar, dass sich der städtische Hitzetrend auch in Deutschland noch weiter zuspitzt. Das lasse sich aus Vorhersagen der allgemeinen Klimaerwärmung ableiten, sagt Helmut Mayer, Professor für Meteorologie an der Universität Freiburg:

    Es gibt weltweit sehr viele Untersuchungen. Die beschäftigen sich mit Trends in urbanen Wärmeinseln. Und alle diese Untersuchungen zeigen einen zunehmenden Trend. Aus diesen regionalen Klimamodellen, die jetzt für Deutschland existieren, folgt, dass mit einer Erwärmung zu rechnen ist. Und diese Erwärmung ist unzweifelhaft. Also, die kann man nicht mehr wegdiskutieren. Die thermischen Stressbedingungen - und insbesondere geht das in Richtung Hitze - die werden zunehmen zukünftig.

    Ein Kollege Mayers sieht diese Zeit im Prinzip schon gekommen: Eberhard Parlow, Professor für Meteorologie an der Universität Basel in der Schweiz - auch er ein erfahrener Stadtklimatologe:

    Man kann auch sagen: In den Städten ist ein nicht unerheblicher Teil des globalen Klimawandels schon vorweggenommen. Also, wir leben eigentlich bereits in den Städten unter thermischen Bedingungen, wie wir sie nach den globalen Klimamodellen vielleicht in 20, 30 Jahren zu erwarten haben. Die Städte sind dem einen Schritt voraus.

    Städte sind dicht - und oft auch hoch - bebaut. In der City klebt ein Kaufhaus- oder Büroturm neben dem anderen. Die Straßenschluchten sind tief, Grünflächen in der Regel nur spärlich vorhanden. Verkehr, Industrie und Haushalte produzieren permanent Abwärme. Das alles macht Städte zu idealen Hitzefallen, wie Helmut Mayer erläutert:

    Also es ist so, dass beim Stadtklima die thermischen Eigenschaften der Städte eine ganz große Rolle spielen. Und da meint man insbesondere den Wärmeeffekt der Baukörpermassen. Die Baukörper haben ja ganz andere physikalische Konstanten als etwa das Umland, das ländliche Umland, in dem Grünflächen dominieren. Und dadurch sind Baukörper in der Lage, tagsüber Energie zu speichern, sogar sehr viel Energie. Und diese Energie geben sie dann in der Nacht ab an die Atmosphäre in der Stadt, weil kein anderer energetischer Input erfolgt.

    Gerade deshalb legen Wilhelm Kuttler und seine Mitarbeiter ihre "thermischen" Messfahrten in die Nachtstunden …

    Kuttler: Man könnte bei der Stadt eigentlich von einem Tagspeicherofen sprechen. Die Stadt heizt sich tagsüber auf und entlädt sich nachts. Oder man hätte so ’n Akku, ’n Akkumulator, der dann vollgeladen wird tagsüber. Und nachts gibt er dann seine Energie entsprechend ab.

    Das geschieht in Form von unsichtbarer infraroter Wärmestrahlung. Aus dem dichten Stadtkern kann sie allerdings kaum entweichen. Der Biometeorologe Peter Höppe, Professor für Umweltmedizin an der Universität München:

    Nachts sind vor allem Straßenschluchten die überwärmten Gebiete. Also vollständig versiegelte Gebiete ohne Grün und mit hohen Randbebauungen. Denn diese Randbebauungen sorgen dafür, dass die Wärmestrahlung nicht nach oben in den Weltraum abgestrahlt werden kann, sondern dass die Flächen der Häuser sich gegenseitig bestrahlen. Und die Abkühlung da verhindert wird. Und wenn man dann das noch in einer Wohnstraße hat, in der die Menschen dann gerne vorm Schlafengehen das Fenster noch ’mal aufmachen, um frische Luft hereinzulassen, und dann diese heiße Luft dort steht, dann ist das natürlich sehr negativ.

    Bis zu 40 Prozent der einfallenden kurzwelligen Sonnenstrahlung - so viel Energie bunkern Städte an wolkenlosen Sommertagen in ihrer Bausubstanz. Und so viel geben sie nachts dann auch als Wärme wieder ab. Das ermittelte Eberhard Parlows Arbeitsgruppe in Basel:

    Wir befinden uns auf dem oberen Stockwerk des Gebäudes des Departements Geographie. So diese normale Dachlandschaft, wie sie so für mitteleuropäische Städte am Rande der Innenstadt typisch ist. Eng verbaut. Ein bisschen grün. Innenhöfe. Häuser, drei, vier Stockwerke.

    Über den Dächern von Basel. Eine kurze Exkursion zum Gipfelpunkt mitten in der City. Es ist Mittag, und Eberhard Parlow erklimmt sein eigenes Institut. Auf dem Hausdach thront sein wichtigster Datensammler: ein 18 Meter hoher Stahlgitter-Mast, bestückt mit einem Dutzend Messinstrumente - für Windgeschwindigkeit und Luftfeuchte, für Niederschlag, Temperatur und alle möglichen Strahlungsgrößen …

    Also, ich glaube, es gibt weltweit keinen Messmast, der in der städtischen Grenzschicht, wie das heißt, also in der Stadtatmosphäre, steht seit so langer Zeit. Der also eine über viele, viele Jahre hinweglaufende Messreihe hat. Wir marschieren jetzt einmal um die Ecke. Wir haben in diesem Container hier oben mit der Hausklima- und Heizungstechnik unseren Standort, wo die ganzen Kabelleitungen von den Messgeräten hineinkommen. Und wir bewegen uns auf einen Schrank zu, in dem die ganzen Datalogger und Messgeräte angeschlossen sind. Und mein Mitarbeiter Andreas Christen kann zu den einzelnen Geräten und den Anschlüssen und den Zeittakten, in denen gemessen wird, sehr viel mehr sagen als ich …

    Christen: Hier kommen etwa 200 verschiedene Leitungen vom Meteo-Mast ’runter. Und dieser Logger, wie wir diesen kleinen Computer nennen, der sammelt alle Daten. Also, der geht von einem Messgerät zum nächsten, schaltet da durch. Das ist, was wir in diesem Relais hören. Also, da wird immer ein Kanal nach dem anderen gemessen. Das ist das Geräusch. Das ist in diesem Fall die Temperatur.

    Zwei Stockwerke tiefer laufen die Daten auf. Glasfaserkabel transportieren sie ins elektronische Messlabor. Dort werden sie gespeichert. Und dort kann sie Eberhard Parlow bequem am Computerbildschirm ablesen:

    Also, wir sehen die gemessenen Lufttemperatur-Daten des letzten Monats, der letzten 30 Tage, auf dem Display. Der Juni war der wärmste Monat, den es jemals gab in Basel seit 1755, wo die Messungen hier in Basel begonnen sind. Normalerweise hätten wir 16,6 Grad Monatsmitteltemperatur haben sollen. Und wir haben 23,3 gehabt. Also fast sieben Grad mehr. Und das ist schon extrem! Weite Teile von Basel, im Westen von Basel, [da ist dann] in der Nacht Temperaturen deutlich über 20 Grad [gewesen]. Das sind tropische Bedingungen. Man spricht von tropischen Nächten offiziell, wenn die Temperatur in der Nacht nicht unter 20 Grad sinkt. Und das ist für den Organismus, der ja in der Nacht sich regenerieren soll, auch die ganze Nacht durch eine Belastung.

    Die städtische Hitze spürt auch Peter Höppe im Institut für Arbeits- und Umweltmedizin der Universität München. Bei ihm im Büro brummt nicht nur der PC, sondern auch ein Tisch-Ventilator:

    Also ich denke, dass wir ungefähr 27 Grad Celsius haben. Und ’ne Luftfeuchtigkeit von ungefähr 55 Prozent. Einen heißen und schwülen Tag.

    Höppe ist Biometeorologe. Und die richtige Anlaufstelle, um nach den gesundheitlichen Folgen der urbanen Aufheizung zu fragen. In der Hitze der Stadt-Nacht, so schildert es Höppe, gerät der Körper in thermischen Stress und kann sich nicht richtig erholen:

    Es gibt einen israelischen Thermophysiologen, Gyvony, der einmal postuliert hat, und der hat es auch ganz gut belegt, dass die Erholung während der Nacht entscheidend ist für das, was man tagsüber an thermischen Belastungen ohne Schaden überstehen kann. Wenn man dagegen schon schlecht geschlafen hat, dann ist man sehr anfällig und es besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass man dann einen thermischen Schaden, das heißt Herz-Kreislauf-Probleme, während eines heißen Tages bekommt. Es ist schon sehr wichtig, wie in Schlafräumen das Klima ist, denn das hängt sehr eng mit der Schlafqualität zusammen. Da gibt’s auch wiederum Studien, die das bewiesen haben. Die gezeigt haben, dass ab Temperaturen über 22 Grad Celsius im Schlafraum die Schlafqualität mit steigender Temperatur schlechter wird. Wir hatten schon einige Nächte, in denen zumindest zur entscheidenden Zeit, wenn man schlafen geht, so um zehn bis zwölf Uhr, noch Temperaturen von 27, 28 Grad vorgeherrscht haben. Noch viel schlimmer war’s in Freiburg. Das ist ja wirklich die wärmste Stadt der Bundesrepublik. Dort gab’s Abende mit weit über 30 Grad.

    Mayer: Also, jetzt befinden wir uns in Freiburg, beim Hauptbahnhof. Und zwar genau auf einer Brücke über die Bahngleise. Gleisanlagen, Bahnsteige und so weiter. Ich denke ’mal, bezogen auf Großstädte, wenn man so ’ne Hitparaden-Skala über Hitzestress aufstellt, dann dominiert da schon Freiburg.

    Helmut Mayer wandelt über Deutschlands heißestes Pflaster. Die Universitätsstadt Freiburg liegt im Breisgau. Auf der Wetterkarte sticht der Oberrheingraben regelmäßig heraus, mit den höchsten Luft-Temperaturen. Freiburg erging es in diesem Jahr nicht anders als Basel: Die Hitze war tageweise schon im Mai unerträglich. Da begann bereits der Thermostress für die Stadtbewohner …

    Mayer: Das sind insbesondere Risikogruppen: Ältere, Herzkranke, Kreislaufschwache, Kleinkinder, Leute mit Operationen...

    … von denen der Stadtklimatologe weiß, …

    … dass die verstärkt unter diesen Hitzebedingungen zu leiden hatten. Und häufige Arztbesuche aufgetreten sind. Und letztlich dann auch bis zu einer erhöhten Mortalitätsrate.

    Mayer übertreibt nicht: Während einer starken Hitzewelle steigt die Mortalitätsrate! Es sterben mehr Menschen als gewöhnlich. Dafür gibt es Beispiele aus der Vergangenheit. Gerd Jendritzky verweist auf ein besonders eklatantes Beispiel. Auch er ist Meteorologe in Freiburg, allerdings beim Deutschen Wetterdienst. Dort leitet er das Geschäftsfeld "Medizin-Meteorologie":

    Bei der Hitzewelle in Griechenland, 1987, hatten die ganz große Mühe mit den Krankenhäusern. Die hatten gar nicht genug Betten. Damals sind 2.000 Leute mehr allein in Athen gestorben innerhalb einer Woche, als man erwartet hatte.

    Thermostress mit Todesfolge - das gab es vor acht Jahren auch in Chicago. Über 500 Hitzeopfer zählten Mediziner damals in der US-Großstadt. Doch besteht ein solches Risiko genauso in Freiburg, Stuttgart und Berlin, also im gemäßigten Klima Deutschlands?

    Jendritzky: Auch bei uns ist das ein Thema, ....

    … betont Jendritzky. Der Wetterdienst-Experte stützt sich dabei auf eigene Untersuchungen. Dafür hatte er Zugriff auf das Sterberegister Baden-Württembergs. Seine Arbeitsgruppe wertete sämtliche Todesfälle der letzten 30 Jahre in dem Bundesland aus und setzte sie in Beziehung zum Regionalklima - mit dem Augenmerk auf sommerliche Hitzeperioden. Wetterdienst-Forscherin Christina Koppe zu den Ergebnissen:

    Die Aussage, die man auf jeden Fall treffen kann, ist, dass es zu einer statistisch signifikanten Erhöhung der Todesfälle während warmer Perioden oder Hitzewellen kommt. Und es bleibt auch nach Beendigung dieser Hitzewelle bei ’ner Erhöhung der Todesfälle.

    Auch das ist ein Indiz für den unmittelbaren Zusammenhang zwischen thermischer Belastung und Tod:

    Es wird ja oft argumentiert, die Leute sterben einfach nur zwei Tage früher durch diese Hitzewelle. Die wären jetzt eh gestorben. Daher ist der Schaden für die Gesellschaft nicht so hoch. Aber das trifft halt nur für - ich nenn’ jetzt ’ne Hausnummer - 30 Prozent der Menschen zu, die während einer Hitzewelle sterben. Der Rest ist wirklich ’ne Erhöhung...

    … eine Erhöhung, die Jendritzky vorsichtig auf 170 Todesfälle taxiert. So viele Menschen seien im Schnitt zusätzlich gestorben während der stärksten Hitzewellen, die Baden-Württemberg in den letzten drei Jahrzehnten erlebte. Zwar ist auch das nur eine Hausnummer. Denn das Sterberegister nennt keine genauen Todesursachen. Auch deckt es ganz Baden-Württemberg ab und nicht nur die Städte Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart und Konstanz, in denen die Hitze registriert wurde.

    Doch qualitativ wird aus der Studie auf jeden Fall klar: Thermischer Stress fordert auch in Deutschland seine Opfer. Die Situation werde sich sogar zuspitzen, warnt Biometeorologe Peter Höppe. Denn der Klimawandel heizt den Globus weiter auf …

    Und dann kommt noch dazu, dass vor allem die Extreme zunehmen werden, das heißt eben die Hitzewellen, die Tage mit extremen Hitzebelastungen. Und die natürlich dann in den Städten durch die daraufgesetzte Wärmeinsel sehr viel mehr Schaden anrichten können als im Umland, in dem es dann abends schön abkühlt und man sich wieder erholen kann.

    Im stickigen Stadtzentrum verschafft man sich die Abkühlung auf andere Art: Neubauten in der City werden immer stärker klimatisiert. Doch das treibt den Energiebedarf der Städte weiter in die Höhe. In manchen Metropolen des Südens ist die Stromversorgung schon heute nah am Kollaps:

    Papadopoulos: Ein Gebäude in Marseille, in Saloniki, oder in Athen oder in Barcelona braucht bis zu viermal mehr Energie, um gekühlt zu werden im Sommer - verglichen zu dem, was vielleicht vor 20 oder 30 Jahren der Fall war.

    Energietechniker Papadopoulos kennt die Folgen aus eigener Erfahrung: In Griechenland gehen sommers schon ’mal wegen Stromknappheit die Lichter aus. Auch andernorts frisst die Gebäudekühlung enorm viel Energie. Der Essener Stadtklimatologe Kuttler verweist auf Untersuchungen in Japan, bei denen sich zeigte, ...

    ...dass also an sehr heißen Sommertagen der Stromverbrauch allein bedingt durch die Klimaanlagen um 30 bis 40 Prozent zunimmt.

    Dabei kommt eine regelrechte Energieverbrauchs-Spirale in Gang:

    Die Klimaanlagen produzieren natürlich bei Nennleistungen von 10, 20 Kilowatt relativ viel Abwärme und verstärken natürlich den Stadtklimaeffekt in den Straßenschluchten. Indem sie nämlich die warme Luft aus den Innenräumen der Häuser nach außen transportieren. Und dadurch wird natürlich der Temperaturunterschied zwischen Stadt und Umland noch stärker …

    ... mit der Folge, dass auch immer stärker klimatisiert wird.

    Diese Entwicklung dürfe nicht so weitergehen. Darin sind sich die Stadtklimatologen einig. Sie sehen Architekten und Stadtplaner in der Verantwortung. Viele von ihnen wollten von thermischen Bau-Anforderungen noch immer nichts wissen, beklagt etwa der Baseler Geograph und Meteorologe Parlow:

    Die Architekten planen und arbeiten vor allem nach ästhetischen Gesichtspunkten. Es gibt so Wellen. Zur Zeit ist Glas angesagt. Viele Bürogebäude in der Stadt werden verglast. Das ist im Winter nicht schlecht, weil dieser Treibhauseffekt in einem solchen Glas natürlich auch den winterlichen Heizbedarf reduziert. Aber im Sommer werden diese Gebäude eben entsprechend heiß. Durch Glas dringt die kurzwellige solare Strahlung durch, aber die langwellige Wärmestrahlung wird in diesem Glas gefangen, das heißt: Ich muss entsprechend klimatisieren. Und das sind Probleme.

    In Basel, wo Parlow forscht, gibt es thermische Bauvorschriften. Auch in anderen Schweizer Städten. Dort wird von Bauherren verlangt, dass sie ihre Klimaanlagen möglichst klein dimensionieren. Wer in Glas baut, muss Spezialmaterial verwenden, das nur wenig Sonnenstrahlung durchlässt, oder eine Außenbeschattung mit Jalousien einplanen. Häuser aus Stein müssen eine Mindestbaumasse besitzen. Ihre dicken Wände wirken dann als thermische Puffer. Auch das reduziert den Aufwand für die Klimatisierung.

    In Deutschland existieren solche Vorschriften bisher nicht. Stadtklimatologie hat zwar einen gewissen Stellenwert. So fertigte Wilhelm Kuttlers Arbeitsgruppe in Essen bis heute Gutachten für immerhin 60 Städte. Doch fast alle liegen in Nordrhein-Westfalen. Anderswo fehle es meist an einem klimatologischen Gesamtkonzept, bedauert der Freiburger Meteorologe Mayer:

    Vor allen Dingen Städte in topographisch problematischer Lage, die haben diese Konzepte. Ich möchte an Stuttgart erinnern. Da gibt es ein sehr ausgefeiltes Konzept. In Freiburg arbeitet man gerade derzeit an einer gesamtstädtischen Klimaanalyse. Für die Städte im Ruhrgebiet gibt es solche gesamtstädtischen Klimaanalysen. Hamburg oder München, da kenn’ ich keine solchen Konzepte. Für Berlin gibt es partiell etwas. Also, da sieht man schon: Eigentlich ist da noch ein Bedarf vorhanden. So die langfristige Bedeutung des (Faktors) Stadtklimas, die ist scheinbar bei den Entscheidungsträgern noch nicht richtig erkannt.

    Kuttler: So, wir biegen jetzt von der Sommerburgstraße in die Lührmannstraße ein. Die Lührmannstraße quert die Gruga, also diese große innerstädtische Grünfläche in Essen ...

    Zurück im Messmobil von Wilhelm Kuttlers Arbeitsgruppe. Die wissenschaftliche Stadtrundfahrt nähert sich ihrem Wendepunkt …

    Man kann sogar den Gruga-Park mit dem Fahrzeug im Prinzip queren. Und zwar gibt’s ’ne Brücke, die mittendurch führt.

    Da können wir - da können wir dann durchfahren und dann wieder zurück, nicht?

    Mit dem Gruga-Gelände durchqueren die Essener Klimatologen eine örtliche "Kälteinsel", so könnte man sie nennen. Denn ein solcher Stadtpark wirkt wie eine natürliche Klimaanlage inmitten von Häusern und versiegelten Flächen. Laubbäume im Park, aber auch in Straßen können den urbanen Wärmeinsel-Effekt spürbar abmildern. Die grünen Lungen haben eine nicht zu unterschätzende Wirkung im städtischen Energiehaushalt. Eberhard Parlow:

    Das System ist so gepolt, dass ich entweder in die Lufttemperatur die Energie investiere. Oder zum Beispiel in Verdunstung. Wenn ich Grün habe, das Photosynthese betreibt und deswegen auch verdunstet, dann wird automatisch für diesen Verdunstungsprozess ein nicht unerhebliches Maß an Energie notwendig, die dann dem sogenannten fühlbaren Wärmestrom, das heißt der Erhöhung der Lufttemperatur, fehlt. Also, man kann etwas machen.

    Biometeorologe Höppe sieht das nicht anders. Im Idealfall besitzt eine wohltemperierte Stadt für ihn so etwas wie ein Schachbrettmuster:

    150 Meter sind so ’ne charakteristische Länge. In dieser Distanz sollte ein Angebot sein einer Grünanlage oder eines kleines Fleckchens, in dem bessere thermische Bedingungen herrschen, das heißt der Wärmeinsel-Effekt nicht so ausgeprägt ist wie im Rest. Wobei es nicht so ordentlich ist wie auf dem Schachbrett. Aber so ähnlich kann man sich das vorstellen.

    Auch für eine ausreichende Durchlüftung der Stadt sollte gesorgt sein. Klimatologe Kuttler empfiehlt in seinen Gutachten regelmäßig, "Ventilations-Schneisen" offen zu halten, wenn irgendwo Industrie neu angesiedelt wird oder Wohngebiete neu entstehen. So dass nachts kühle Umgebungsluft in die City strömt:

    Das wäre also im einfachsten Sinne ein solches Zirkulationsmodell: Über der Stadt bildet sich lokal ein kleines Tiefdruckgebiet, das heißt Luft steigt auf, sinkt im Umland wieder ab. Und die Umland-Kaltluft wird dann sozusagen in die Stadt gesogen. Die Wege müssen allerdings frei sein. Also, es dürfen keine Reibungseffekte, keine Strömungshindernisse, keine Querbauten in diesen Ventilationsbahnen dann stehen.

    Sechzig Prozent der Bevölkerung leben heute in Städten. Der Urbanisierungstrend wird sich fortsetzen, genauso wie die Klimaerwärmung. Damit kehrt auch ein lufthygienisches Problem zurück, das man nach Einführung des Auto-Katalysators schon fast für überwunden hielt: hohe Ozon-Werte in der Außenluft. Denn je wärmer es wird, desto mehr von dem Atemwegs-reizenden Gas kann entstehen.

    Ozon und andere Luftschadstoffe werden wenigstens überwacht, die thermische Belastung in den Städten dagegen nicht:

    Kuttler: Also Grenzwerte auf nationaler oder internationaler Ebene existieren dafür noch nicht. Leider noch nicht!

    Kuttler und seine Kollegen würden sich so etwas wünschen. Denn bisher sind ihre Gutachten nur Empfehlungen. Stadtplaner müssen sich nicht unbedingt daran halten - obwohl unsere urbanen Wärmeinseln schon heute als Energiefresser und Gesundheitsrisiko entlarvt sind.