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Hitzeopfer Mauersegel

Weit sperren die etwa handgroßen Mauersegler ihre Schnäbel auf. Aus den Eimern im Esszimmer von Beryl Roth tönt ungeduldiges Piepen. Jeder will beim Füttern der erste sein – wie im natürlichen Nest auch, sagt die gebbürtige Britin, die in ihrem Garten in Pfettisheim bei Straßburg ein Pflegezentrum für Vögel betreibt.

Von Ruth Reichstein | 25.07.2003
    Vorsichtig hebt Beryl Roth den Jungvogel auf ihre Knie. Sehen Sie, sagt sie, die sperren ihre Schnäbel schon ganz weit auf. Die wollen fressen. Ich schiebe ihnen den Wurm dann weit in den Mund. Bis ganz nach hinten, damit sie schlucken.

    Sehr appetitlich sehen die etwa zwei Zentimeter langen Würmer nicht aus, die Beryl Roth in einer Plastikschale hin- und herschüttelt. Aber den jungen Mauerseglern scheint es zu schmecken. Sie piepsen laut nach mehr.

    Etwa zehn Vögel sitzen jetzt noch in sauber mit Küchenrolle ausgelegten Eimern – als Nestersatz. Vor ein paar Tagen noch waren es über 30. Alle haben sie sich aus ihren Nestern gestürzt, um vor der unerträglichen Hitze knapp unter den Hausdächern zu fliehen.

    Jedes Jahr haben wir eine große Hitze, aber normalerweise beginnt die im Juli. Die Vögel sind dann schon erwachsen und können fliegen. Aber wenn es so früh heiß wird wie in diesem Jahr, sterben die Jungvögel entweder unter den Dächern, oder sie stürzen sich aus ihren Nestern, um nicht zu ersticken. Weil sie aber noch keine, oder kaum, Federn haben, fallen sie auf den Boden.

    Diese frühe Hitze sei in diesem Jahr besonders schlimm gewesen, sagt Beryl Roth – bis zu 50 Grad heiß kann es unter den Dächern werden. Sie kann nicht genau sagen, wie viele Vögel wohl an der Hitze sterben oder aus ihren Nestern springen.

    Marc Brignon vom elsässischen Vogelschutzbund in Straßburg schätzt aber, dass es durchaus mehrere hundert sein können. Nur wenige schaffen es bis ins Auffangzentrum von Beryl Roth. Und für manchen kommt auch hier jede Hilfe zu spät. Réné Bertrant, ebenfalls Mitglied im Vogelschutzbund:

    Ein Anrufer hatte einen Mauersegler aufgelesen. Also bin ich zu ihm gefahren, um ihn abzuholen. Der Vogel war in einem ziemlich schlechten Zustand. Er war seit einiger Zeit unterernährt und schon ganz mager. Ich wollte keine Zeit verlieren, um möglichst schnell hier anzukommen und den Segler zu retten. Aber leider hat der Vogel nicht überlebt.

    Beryl Roth rechnet damit, noch bis Ende August Mauersegler aufzunehmen, obwohl die Vögel eigentlich schon Ende Juli Richtung Afrika aufbrechen.

    Diese Vögel kommen von Leuten, die versucht haben, sie selbst aufzuziehen. Wenn das nicht funktioniert und der Vogel immer dünner wird, kommen sie doch zu uns. Oder es sind Segler, die auf dem Dachboden gefunden werden, weil sie nicht nach draußen gehüpft sind, sondern vom Nest direkt in die Rumpelkammer. Und da werden sie dann irgendwann von den Besitzern entdeckt.

    Im benachbarten Südbaden hat der Naturschutzbund NABU das Phänomen bisher noch nicht beobachtet. Mauersegler-Experte Matthias Schmidt aus Freiburg geht zwar von einigen Einzelfällen aus, hält die Hitze für Mauersegler aber nicht für bedrohlich. Beryl Roth sieht das anders:

    Ich kann nicht sicher sagen, ob die Mauersegler deshalb aussterben werden. Aber es könnte sein. Bisher gehen wir davon aus, dass die Anzahl hier bei Straßburg ungefähr konstant bleibt, aber man müsste die brütenden Pärchen zählen, um sicher zu sein. Wenn es tatsächlich einmal keine Mauersegler mehr gibt, wäre unser Frühlingshimmel aber ziemlich traurig.

    Und, fügt sie hinzu, wenn auf der deutschen Rheinseite kaum abgestürzte Mauersegler gefunden würden, könnte das auch einfach daran liegen, dass es keine Auffangstation gibt und die Menschen nicht für das Problem sensibilisiert sind.