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HIV-Prävention
"Die Ansteckung verhindert man nur in einem angstfreien Raum"

Auf der Welt-Aids-Konferenz im südafrikanischen Durban hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon dazu aufgerufen, das HI-Virus bis zum Jahr 2030 stark einzudämmen. Wissenschaftsjournalist Martin Winkelheide erläuterte im Deutschlandfunk, warum dafür nicht nur medizinische, sondern auch zahlreiche politische Hürden genommen werden müssen.

Martin Winkelheide im Gespräch mit Arndt Reuning | 18.07.2016
    Indische Aktivisten halten am Welt-Aids-Tag am 01.12.2009 in Bangalore im Süden von Indien die Rote Schleife in den Händen.
    Mehr als die Hälfte der weltweit rund 37 Millionen HIV-Infizierten hat keinen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten. (dpa / picture alliance / Jagadeesh)
    Arndt Reuning: Die Aids-Epidemie stoppen: Was heißt das konkret?
    Martin Winkelheide: Das HI-Virus wird es auch 2030 noch geben. Das Ziel ist, die Zahl der kranken Menschen dramatisch zu senken - im Idealfall auf etwa 200.000 im Jahr. Heute sind es zwei Millionen im Jahr. Und außerdem die Zahl der Menschen, die an Aids sterben auch auf etwa 200.000 senken. HIV wäre dann eine Infektionskrankheit von vielen, aber hätte viel von ihrem Schrecken verloren.
    Reuning: Warum rufen die Vereinten Nationen gerade jetzt dazu auf, die Aids-Epidemie zu stoppen?
    Winkelheide: Sie sagen: Die Zeit ist günstig, man weiß, was zu tun ist. Wenn sich die Nationen jetzt besonders anstrengen, noch einmal mehr Geld und Anstrengung investieren, wird sich das langfristig auszahlen. Wenn die Epidemie gestoppt ist, können sich heute besonders schlimm betroffene Länder wieder erholen und auch andere Ziele wieder in den Blick nehmen: Armutsbekämpfung, Bildung, Entwicklung.
    Reuning: Wie realistisch ist die Zielmarke 2030? – das sind keine 15 Jahre.
    Winkelheide: Ehrgeizig, Ja. Auf der anderen Seite: Vor 15 Jahren hatten Menschen mit HIV in ärmeren Ländern keine Chance, medizinisch behandelt zu werden. Das hat sich seitdem dramatisch geändert. Weil sich in der Medizin viel verändert hat. Etwa jeder zweite bekommt heute Medikamente.
    Eine Lektion, die man seitdem gelernt hat: Patienten behandeln – heißt auch: deren Partner vor HIV schützen. Wer HIV-Medikamente bekommt, ist fast nicht mehr ansteckend. Seit die Behandlungsprogramme ausgebaut worden sind, ist die Zahl der Neuansteckung dramatisch gesunken. Hier kann noch mehr gemacht werden. Und wenn Menschen mit einem hohen Risiko, sich anzustecken, vorbeugend Medikamente nehmen, können sie sich so auch schützen. Eine Option, die zurzeit noch kaum genutzt wird. Medikamente können viel ausrichten, aber: Einfacher wäre es natürlich, wenn es eine Schutz-Impfung gäbe. Die wird es in den nächsten Jahren aber noch nicht geben.
    Reuning: Um das Ziel zu erreichen, die Epidemie zu stoppen, wird viel Geld gebraucht – wo soll das herkommen?
    Winkelheide: Der Kampf gegen HIV bindet heute schon sehr viele Ressourcen – etwa 22 Milliarden Dollar im Jahr. Etwa die Hälfte davon bringen die betroffenen Länder auf. Den Rest spenden reiche Länder – etwa auch über große Stiftungen. Die UN sagen: Es werden in den kommenden fünf Jahren zusätzliche acht bis zwölf Milliarden jährlich gebraucht. Das klingt nach viel. Ist es aber nicht, denn was man heute ausgibt, kann man morgen sparen, weil weniger Kranke versorgt werden müssen. Trotzdem: Geld ist eine hohe Hürde – angesichts von geringerer Wirtschaftsleistung in vielen Ländern, niedrigen Zinsen, politischen Instabilitäten et cetera. Unklar ist, ob die Rechnung der UN aufgeht.
    Reuning: Die Aids-Epidemie stoppen – das heißt auch: Menschen besser davor schützen, sich anzustecken. Wird das funktionieren?
    Winkelheide: Das ist in der Tat schwierig. Es gibt Bevölkerungsgruppen, die besonders gefährdet sind. Und die oft noch nicht selbstbestimmt sich schützen können. Zum Beispiel junge Frauen: "Chemische Kondome" für Frauen sind in der Entwicklung aber noch nicht so weit ausgereift, dass sie einsatzfähig sind.
    Die Ansteckung verhindert man auch nur in einem angstfreien Raum, wenn es Beratung auf freiwilliger Basis gibt. Das ist schwierig in Ländern, wo Homosexuelle diskriminiert oder verfolgt werden. Oder in Ländern, wo Sex-Arbeit in die Illegalität abgedrängt wird oder ein Krieg gegen Drogen geführt wird. Ausstiegsprogramme, Beratung, HIV-Tests, medizinische Betreuung – das funktioniert nur in Ländern gut, in denen auch die Menschenrechte gewahrt sind. Es gibt also auch hohe politische Hürden zur Erreichung des Ziels, die Aids-Epidemie zu stoppen.
    Reuning: Macht es denn dann – angesichts der hohen Hürden - Sinn, so ein ehrgeiziges Ziel auszugeben?
    Winkelheide: Ja, denn so rückt die Dringlichkeit von Aids ins Bewusstsein. Ein Ziel, das sich lohnt. In 15 Jahren lässt sich viel erreichen und die Hoffnung ist, dass auch die Wissenschaft bis dahin noch etwas beitragen kann, das Ziel schneller oder günstiger zu erreichen. Dass es auf dem Weg dahin viele Probleme geben wird, ist klar. Das zeigen andere Versuche, Krankheiten zu eliminieren wie zum Beispiel Polio. Auch da hat man den Zeitplan nicht eingehalten – aber trotzdem das Ziel fest im Blick.