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HIV-Therapie sollte nicht unterbrochen werden

Inzwischen gibt es gut zwei Dutzend Wirkstoffe zur Behandlung einer HIV-Infektion. Dank dieser Medikamente leben Menschen, die sich mit dem AIDS-Virus angesteckt haben, heute länger und besser. Aber ein Problem bleibt: die Therapie ist nach wie vor kompliziert. Und Therapie-Unterbrechungen bergen Risiken. Das ist das Ergebnis einer großen internationalen Studie, die auf der amerikanischen AIDS-Konferenz CROI in Denver vorgestellt wurde.

Von Martin Winkelheide |
    Eine HIV-Therapie verlangt Patienten vor allem eines ab: eiserne Disziplin. Sie müssen täglich einen Cocktail aus mindestens drei Wirkstoffen einnehmen - die Tabletten müssen pünktlich und regelmäßig geschluckt werden. Nur so lässt sich die Vermehrung des AIDS-Virus blockieren. Nur das garantiert ein einigermaßen normales Leben.

    Nicht jeder HIV-Patient schafft dies über lange Zeit. Schlomo Stazewski von der Universitätsklinik Frankfurt:

    " Bei der täglichen Einnahme von vielen Tabletten kann es schon mal vorkommen, dass man sagt: "So, jetzt ist genug, jetzt möchte ich mal nicht". "

    Ein weiterer Grund: AIDS-Medikamente haben - je nach Wirkstoffkombination - mitunter schwere Nebenwirkungen. Oft wird der Fettstoffwechsel durcheinander gewirbelt. Der Blutfettspiegel steigt. Erhöhte Cholesterin- und Triglycerid-Werte gelten als Risikofaktoren für Herzinfarkt und Schlaganfall.

    " Dann kann es auch noch sein, dass Patienten ihre Therapie nicht nehmen wollen, weil sich ihr Aussehen verändert. Unter bestimmten Medikamenten-Kombinationen kann das Fett im Körper sich umverteilen, das bedeutet, dass die Patienten einen sehr dicken Bauch kriegen und sehr dünne Arme, und auch das Gesicht wird ziemlich entstellt durch die so genannte Lipodystrophie. "

    Die AIDS-Medikamente ohne Rücksprache mit dem Arzt abzusetzen, birgt das Risiko, dass die Viren schnell unempfindlich werden gegen die Wirkstoffe - also resistent.

    Vielleicht aber, so überlegten Mediziner vor drei Jahren, ist es dennoch möglich, eine Behandlungsstrategie zu entwickeln, die regelmäßige Therapie-Pausen vorsieht. Testen wollten die Mediziner dies in der so genannten SMART-Studie.

    " Die AIDS-Medikamente sind phantastisch, weil die Patienten länger leben und länger gesund bleiben. Aber die Medikamente sind nicht einfach einzunehmen, und sie haben mitunter schwere Nebenwirkungen. Deshalb wollten wir ausprobieren, ob es nicht gerade für Menschen die schon sehr lange HIV-infiziert sind, einfachere und komfortablere Behandlungsformen gibt. Deshalb vor allem haben wir die SMART-Studie begonnen. "

    Wafaa El-Sadr von der Columbia University in New York leitet die SMART-Studie, die bislang größte Studie zur Behandlung von HIV. Die über 5.500 Teilnehmer kommen aus 33 Ländern, von allen Kontinenten der Erde - auch aus Deutschland.

    Therapiepausen konnten Patienten immer dann einlegen, wenn sich ihr Immunsystem stabilisiert hatte, so Schlomo Stazewski. Sank die Zahl der Immunzellen im Blut unter einen kritischen Wert ab, nahmen die Patienten die Medikamenten-Therapie wieder auf.

    " Bei 250 CD4 Zellen hat man mit der Therapie wieder begonnen, weil man im Rahmen der Studie ja nicht zulassen wollte, dass die Patienten ein Risiko eingehen, AIDS-Manifestationen zu entwickeln. "

    Die SMART-Studie war auf sieben Jahre angelegt. Die Zwischenauswertung der Studie aber wartete mit einigen unangenehmen Überraschungen auf.
    Die Gleichung: Weniger Medikamente bedeuten weniger Nebenwirkungen bei höherem Therapiekomfort und niedrigeren Therapiekosten - diese Gleichung ging wider Erwarten nicht auf.

    " Die größte Überraschung der SMART-Studie war, dass es den Patienten, die Therapiepausen eingelegt hatten, schlechter ging als den Patienten, die täglich ihre Medikament eingenommen haben.
    Sie hatten häufiger Probleme, die in direktem Zusammenhang stehen mit der HIV-Infektion, und sie hatten auch häufiger andere Probleme, mit denen wir gar nicht gerechnet hatten. "

    Patienten, die ihre Therapie regelmäßig unterbrachen, hatten ein höheres Risiko, an Immunschwäche zu erkranken - also an AIDS. Sie hatten häufiger typische Nebenwirkungen der Medikamenten-Einnahme. Und sie hatten ein deutlich höheres Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko.

    Wafaa El-Sadr von der Columbia University zieht eine eindeutige Bilanz der SMART-Studie.

    " Wir wissen jetzt: Therapiepausen sind nicht sinnvoll. Für Patienten ist es besser, täglich ihre Medikamente einzunehmen. "

    Es werden zur Zeit keine neuen Patienten in die Studie aufgenommen, bis völlig klar ist, wie man jetzt weiter verfahren soll.

    Die Patienten, die an der SMART-Studie teilgenommen haben, so Schlomo Stazewski von der Universität Frankfurt, werden weiter beobachtet. Die Mediziner wollen herausfinden, ob Therapiepausen sich auch langfristig negativ auswirken.

    " Das kann auch rauskommen, wir wissen das ja alles noch gar nicht. "

    Bis dahin gilt: Wer einmal mit einer HIV-Therapie beginnt, der sollte sie möglichst nicht unterbrechen.