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HIV und Immunsystem

Aids ist nicht heilbar, aber die Ärzte können inzwischen mehr als 20 Wirkstoffe miteinander kombinieren, um eine HIV-Infektion zu behandeln. Neben neuen Wirkstoffen wurden auf dem 14. Internationalen Symposium über AIDS im französischen Toulon auch neue Konzepte der AIDS-Behandlung vorgestellt.

Von Martin Winkelheide |
    Ein Schnupfen ist in der Regel nach einer Woche vergessen. Dafür sorgt unser Immunsystem.

    Die Immunzellen patrouillieren durch den Körper. Sie spüren die Schnupfenviren auf. Schleimhautzellen, in denen sich die Viren verstecken und vermehren, werden abgeräumt.

    Bei einer HIV-Infektion ist das ähnlich. Aber, ist das AIDS-Virus einmal im Körper, kann das Immunsystem es aus eigener Kraft nicht besiegen.

    Das AIDS-Virus befällt vor allem Immunzellen, vermehrt sich in ihnen und zerstört sie. Je mehr Zellen das Immunsystem zur eigenen Verteidigung bildet, um so besser kann sich das AIDS-Virus in ihnen vermehren. Und je mehr HIV-infizierte Zellen erkannt und beseitigt werden – um so stärker wird das Immunsystem auf Dauer geschädigt.

    Das Immunsystem wehrt sich nicht zu wenig gegen das HI-Virus. Im Gegenteil, es wehrt sich zu stark. AIDS-Forscher Franco Lori, der im italienischen Pavia und in Bethesda in den USA arbeitet, sieht darin das größte Problem.

    "Stellen Sie sich vor, Sie fahren Auto. Aber nicht ein großes bequemes mit Fünf-Gang-Getriebe. Sondern Sie sitzen in einem kleinen Auto, und sie fahren immer im ersten Gang. Wenn Sie schnell fahren, wird der Motor überhitzen. Und auf Dauer geht er kaputt. Genau das geschieht mit dem Immunsystem im Verlauf einer HIV-Infektion. "

    Das AIDS-Virus selbst tritt – bildlich gesprochen – aufs Gaspedal. Es aktiviert das Immunsystem ständig und sorgt so für eine schnellere Überhitzung des Motors. Die Folge: eine Immunschwäche – der Körper kann sich selbst gegen harmlose Erreger nicht mehr effektiv wehren.
    Ein Teufelskreis. Aber wie lässt er sich durchbrechen?
    Nach Ansicht von Franco Lori gibt es hier zwei Strategien.

    Strategie Nummer 1: Medikamente bremsen die Vermehrung des AIDS-Virus.

    "Das wird heute ja bereits gemacht. Denken Sie an die Kombinationstherapie. Was ist der Effekt der AIDS-Medikamente? Sie senken die Zahl der Viren im Körper. Und je kleiner die Zahl der Viren im Körper – um so weniger stark wird das Immunsystem aktiviert."

    Mediziner haben heute die Wahl zwischen mehr als 20 verschiedenen Präparaten, die sie miteinander kombinieren können, um die Virusvermehrung im Körper eines Patienten zu blockieren. Aber eine HIV-Infektion heilen können sie mit den Medikamenten nicht. Das AIDS-Virus bleibt im Körper – und es aktiviert weiterhin das Immunsystem. Wenn auch auf niedrigerem Niveau.

    Strategie Nummer 2: Das Immunsystem wird abgebremst.

    "Wir brauchen zusätzliche Medikamente. Solche, die der Überaktivierung des Immunsystems vorbeugen. Nur so können wir das Immunsystem wirklich effektiv schützen und davor bewahren, dass es ermüdet."

    In der Transplantationsmedizin kommen bereits Wirkstoffe zum Einsatz, die das Immunsystem gezielt unterdrücken. Sie verhindern, dass das Immunsystem eine neue Niere oder Leber angreift und auf Dauer zerstört.
    Als Ergänzung zur herkömmlichen HIV-Therapie kommen diese Medikamente nach Ansicht von Franco Lori nicht in Frage. Sie unterdrücken das Immunsystem zu stark.

    "Es geht nicht darum, dass Immunsystem vollständig zu unterdrücken. Nur die Überaktivierung des Immunsystems muss verhindert werden.
    Wir müssen die richtigen Wirkstoffe finden, die das schaffen. Im Labor und dann an Patienten müssen wir ausprobieren, was die richtige Dosis für diese Wirkstoffe ist. Aber ich denke, das ist machbar. "

    Franco Lori und andere AIDS-Forscher testen bereits Erfolg versprechende Substanzen. Das Hormon Interleukin 2 gehört dazu, ebenso der Wirkstoff Hydroxyurea. So viel ist klar: Beide Stoffe wirken auf das Immunsystem.
    Unklar ist, ob sie auf Dauer helfen und ob die Nebenwirkungen kleiner sind als der potentielle Nutzen. Franco Lori.

    "Denken an die ersten AIDS-Medikamente AZT und DDI. Am Anfang wurden sie überdosiert. Erst als die Dosis halbiert wurde, waren es brauchbare Medikamente. Das selbe probieren wir zur Zeit mit den neuen Wirkstoffen aus der Familie der Immunmodulatoren. Ich bin ganz sicher: Wenn wir beweisen, dass es sinnvoll ist, das Immunsystem zu bremsen, dann werden gezielt weitere solcher Wirkstoffe entwickelt werden. "