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HIV-Zwangstests für Häftlinge

Bei Verdacht auf gefährliche Krankheiten wie AIDS oder Hepatitis will Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) Bluttests von Häftlingen oder Unfallopfern auch gegen deren Willen ermöglichen. Kritik kommt von Medizinern, Vertretern der AIDS-Hilfe und anderen Politikern.

Von Günter Rohleder | 20.12.2012
    "Eine wahre Begebenheit ist gewesen, dass eine Frau, die durch Sanitäter verlegt werden sollte, sich gegen die Verlegung gewehrt hat und hat dann einen Polizeibeamten angespuckt, der hat den Speichel selbst in den Mund gekriegt und die hat dann ausgeführt, nun habe er Hepatitis."

    Innenminister Holger Stahlknecht von der CDU will Polizisten, Sanitäter oder Feuerwehrleute künftig besser gegen solche Vorfälle schützen.

    In Sachsen-Anhalt sollen künftig Zwangstests auf Hepatitis-und HIV-Infektionen bei sogenannten Risikogruppen möglich sein. Dazu werden gemeinhin Homosexuelle, Drogenabhängige, Obdachlose und Ausländer gezählt.

    So schrieb kürzlich die Mitteldeutsche Zeitung. Es folgte eine Welle der Entrüstung. In den Medien, im Internet.

    "Dann hat sich das Verfahren derart dynamisiert, damit haben wir selbst nicht gerechnet. Man nennt so was, glaub ich, neudeutsch Shitstorm."

    Sagt Innenminister Stahlknecht. Von Risikogruppen sei in der Gesetzesvorlage überhaupt nicht die Rede. Und er verwahrt sich gegen den Vorwurf, mit dem Gesetzesvorhaben bestimmte Menschen zu diskriminieren. Es gehe darum, Polizeibeamte oder Sanitäter vor gefährlichen Krankheiten wie AIDS oder Hepatitis zu schützen. Im konkreten Verdachtsfall und im Umgang etwa mit Häftlingen oder Unfallopfern müsse deshalb auch ein Bluttest gegen den Willen des mutmaßlich Infizierten möglich sein. Der Minister gibt ein Beispiel:

    "Ein Polizist wird in die Hand gebissen, mit der Behauptung von dem, der beißt, dass er an einer übertragbaren Krankheit erkrankt sei. Dann hatten wir keine Möglichkeit, das überprüfen zu können, weil der, der diese Verletzung zugefügt hat, nicht gegen seinen Willen ärztlich untersucht werden konnte."

    Der Entwurf des Ministers sieht also tatsächlich einen Zwangsbluttest vor. Und so wollte es auch die SPD. Denn sie einigte sich mit der CDU auf dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag. Aber auch die SPD wurde von der heftigen Kritik in den Medien und im Magdeburger Landtag überrascht. Und nun distanziert sie sich von dem Vorhaben. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Katrin Budde:

    "Wir sind der Auffassung, dass wir diese Regelung nicht brauchen. Es ist richtig, dass wir das vor zwei Jahren noch anders gesehen haben, dass das auch in manchen sozialdemokratischen Ländern so geregelt ist, wie's im Gesetz steht. Aber man muss sich mit Themen, denk' ich, kontinuierlich beschäftigen."

    Und die Beschäftigung mit den Zwangstests hat in der SPD offenbar Zweifel aufkommen lassen: Zwangstests seien nicht wirklich notwendig. Außerdem widersprächen sie dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, sagt Fraktionschefin Katrin Budde. Das war eine kalte Dusche für Innenminister Stahlknecht.

    Vergangene Woche kamen bei der Expertenanhörung im Magdeburger Landtag Mediziner und Verbandsvertreter zu Wort. Oppositionspolitiker von Linken und Bündnisgrünen sahen sich in ihrer kategorischen Ablehnung des Gesetzes bestätigt. Zwangstests seien weder notwendig noch verhältnismäßig, und in der Praxis nicht einmal praktikabel. Ähnlich sieht es auch Sven Warminsky, Geschäftsführer der Magdeburger AIDShilfe:

    "Beißen, spucken, kratzen, erbrechen, mit Messern hantieren führen weder zu einer Hepatitis-Infektion, geschweige zu einer HIV-Infektion."

    Selbst wenn sich ein Sanitäter an einer HIV-infizierten Nadel verletze, sei eine Krankheitsübertragung extrem selten. Es müsste schon eine regelrechte Injektion erfolgen. Sobald es sich aber nicht um ein Versehen, sondern um eine Straftat handelt, gebe es ja schon jetzt die Möglichkeit, den Täter auch gegen seinen Willen auf eine Krankheit zu untersuchen.

    Außerdem muss bei Infektionsverdacht umgehend mit der Prophylaxe begonnen werden, grundsätzlich gibt es da keine Zeit, auf das Ergebnis eines Zwangstests zu warten.

    Es gebe da so viel Unwissen, kritisiert Sven Warminsky, bessere Aufklärung in Bezug auf Ansteckungsrisiken sei dringend geboten. Er nennt ein Beispiel: In der Dienstanweisung zur Eigensicherung für Polizeifahrzeuge in Sachsen-Anhalt steht geschrieben: Nach dem Transport einer HIV-positiven Person ist das Fahrzeug zu desinfizieren. Das spreche für sich.

    "Die haben zum Teil einen Wissensstand aus den 80er-Jahren. Und das macht natürlich Angst. Wenn ich nichts weiß, macht das Angst. Da kann ich die Polizisten verstehen. Aber das Gesetz hilft nicht, ihnen diese Angst zu nehmen. Dieses Gesetz hilft eher, ihnen etwas vorzugaukeln, nämlich einen Schutz vorzugaukeln, der so gar nicht existiert."

    Von einem Placebo-Gesetz sprechen die Kritiker. Über die grundsätzliche Kritik hinaus verurteilen AIDS- und Schwulenverbände, dass HIV und Hepatitis in dem Gesetzesentwurf explizit erwähnt werden. Das führe zu einer Stigmatisierung sogenannter Risikogruppen.

    Innenminister Stahlknecht hält dies für eine bösartige Auslegung. Er verteidigt den Zwangsbluttest und verweist auf eine Reihe von Bundesländern, die ähnliche Polizeigesetze eingeführt haben. Sogar die grün-rote Regierung in Stuttgart sei mit dabei. Mit Verbesserungsvorschlägen in der Formulierung des Gesetzes könne er leben, dies gehöre zum demokratischen Geschäft.

    Und die SPD? Sie bleibt in die Koalitionsvereinbarung verstrickt. Rüdiger Erben, innenpolitischer Sprecher, sagt:

    "Wir müssen eine Formulierung finden, die sicherstellt, dass sogenannte Risikogruppen nicht diskriminiert werden."

    Er will sich dabei an dem baden-württembergischen Polizeigesetz orientieren. Innenminister Stahlknecht will den Zwangstest bis Februar gesetzlich verankern. Die Opposition prüft eine Verfassungsklage gegen das neue Polizeigesetz.