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Hochhackige Männerstiefel für Drag Queens

Zwölfmal wurde "Kinky Boots", das neue Musical von Harvey Fierstein und Cyndi Lauper, für den Tony nominiert. Es erzählt vom Erben einer Schuhfabrik, der stabile Damenschuhe für Männerfüße fertigt. Und vom Kampf um Toleranz, Anerkennung und Liebe.

Von Andreas Robertz |
    Die Schuhfabrik "Price & Son" im englischen Northampton hat schwere Zeiten vor sich. Der Inhaber ist verstorben und sein Sohn Charlie, der von einer Zukunft mit seiner ehrgeizigen Freundin Nicola in London träumt, ist so gar nicht der Geschäftsmann, den die Firma dringend bräuchte. Der Absatz ist eingebrochen und eine neue Geschäftsidee muss her. Die findet Charlie in der rauen Drag Queen Lola, deren Problem es ist, geeignete hochhackige und vor allem stabile Schuhe für Männerfüße zu finden. Denn in Lolas Welt sind Schuhe nicht einfach Schuhe.

    Charlie sucht die Rettung in der Flucht nach vorne und macht Lola kurzerhand zum neuen Designer der Firma. "Price & Son" wird eine eigene Kollektion hochhackiger Männerstiefel, "Kinky Boots", in Mailand präsentieren. Doch bis es so weit ist, muss Lola, die eigentlich Simon heißt, sich gegen die Abneigung und teilweise offene Homophobie der männlichen Arbeiter durchsetzen. Natürlich hatte Simon als Sohn eines Boxers, der nichts von einem femininen Sohn wissen wollte, eine harte Jugend. Und Charlie lernt, dass wahre Freundschaft darin besteht, den anderen so akzeptieren zu können, wie er ist, und dass ihn außer Hautfarbe und sexueller Orientierung nichts Wesentliches von Simon unterscheidet. In Gestalt der Fabrikarbeiterin Lauren begegnet ihm dann sogar ganz unerwartet die echte Liebe.

    Was Harvey Fierstein, der berühmte Autor von "La Cage aux Folles" und des Kultstücks "Torch Song Trilogy" und Superstar Cyndi Lauper, die mit Songs wie "Time after Time" und "True Color" seit Jahrzehnten zur absoluten Rockmusikelite der Welt gehört, gemeinsam haben, ist nicht nur ihre Schrulligkeit und ihr unverwechselbarer Humor, sondern auch die Vorreiterrolle, die sie im Kampf um die Rechte von homosexuellen, transgender und transsexuellen Männern und Frauen spielen. Und man spürt, dass sie ihr Können und Herz in "Kinky Boots" investiert haben. Cyndi Lauper hat Musik geschrieben, die so gar nicht nach Broadway klingt, sondern in der typischen Mischung aus Rock und exzentrischem Pop so frisch und modern daherkommt, als kommt sie direkt aus den aktuellen Charts. Harvey Fierstein hat Texte für sie geschrieben, die ebenso hysterisch wie intelligent sind. Dazu kommt die einfühlsame Regie von Altmeister Jerry Mitchell. Er hat eine für den Broadway ungewöhnliche Chorus Line aus Schauspielern, die glaubwürdige Fabrikarbeiter darstellen, und echten Drag Queens zusammengestellt; in seiner hochenergetischen Choreografie stiefeln sie halsbrecherisch in Hackenschuhen über laufende Fließbänder. "Kinky Boots" hat etwas von "Billy Eliot", "La Cage aux Folles" und "Priscilla, Königin der Wüste" und ist gleichzeitig auch mehr. Das Thema, der Kampf um Toleranz, ist hier universeller formuliert, vorgefertigte Meinungen darüber, was Männlichkeit ist, werden komplexer in Frage gestellt, als das bisher in einem Broadway-Musical möglich war. Die Botschaft, dass die menschliche Erfahrung von Liebe, Zurückweisung, Widerstand und Mut letztlich der kleinste gemeinsame Nenner menschlicher Verständigung ist, kommt in einer politisch eher kalten Zeit voll nationaler Tragödien gut an. Sie spiegelt genau die moralische Debatte, mit der die Befürworter der Homo-Ehe in den USA zunehmend Boden machen.

    "Kinky Boots" ist schon jetzt zu einem Kultmusical geworden. Die Darsteller, allen voran Stark Sands als Charlie und ein gesanglich wie spielerisch sagenhafter Billy Porter als Lola, müssen oft minutenlang unterbrechen, weil sich das Publikum einfach nicht beruhigen will. Den Machern des Abends ist es gelungen, gute Musik, anspruchsvolle Figuren und große Ensemblemomente mit einer Botschaft zu verbinden, die die Hoffnung vieler Amerikaner ausdrückt.