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Hochkarätige Wissenschaftskarriere

Eigentlich steht ja der Brain Drain auf dem Programm, also die Abwanderung der klügsten Köpfe aus Deutschland. Doch bald schon stellt sich heraus, dass keiner der vier Diskutanten im Senatssaal der Berliner Humboldt-Universität genauere Kenntnisse über Umfang und Entwicklung der angeblichen Elite-Flucht besitzt. Einig sind sie sich aber darin, dass es ehrgeizige Nachwuchswissenschaftler in Deutschland nicht leicht haben. Henrik Enderlein, Juniorprofessor für VWL an der Freien Universität Berlin beschreibt die deutsche Ochsentour:

Markus Rimmele |
    Stellen Sie sich vor, Sie wollen promovieren, und dann gehen sie als erstes zu Ihrem Professor und fragen: Haben Sie eine Stelle? Und da sagt der: Nein, eine Stelle habe ich nicht. Erkundige dich mal bei den Graduiertenkollegs. Es gibt in der Volkswirtschaftslehre vielleicht zwanzig Graduiertenkollegs. Dann müssen Sie sehen, ob Ihr Thema, das Sie persönlich interessiert – denn das will man ja als junger Doktorand – in irgendeins dieser Projekte passt. Ob das dann exzellent ist oder nicht, ist schon wieder nebensächlich, es muss nur passen. Ansonsten bleibt nur der Weg durch die politischen Stiftungen^. Und das ist der Anachronismus in Deutschland, dass öffentliche Gelder über politische Stiftungen für wissenschaftliche Exzellenz ausgegeben werden, obwohl wir alle wissen, dass die Kriterien in einem ganz anderen Bereich liegen, in der politischen oder in der konfessionellen Ausrichtung.

    Und deshalb empfiehlt Enderlein, er selbst Absolvent der Columbia University in New York, seinen besten Studierenden die Promotion in den Vereinigten Staaten. Er schwärmt von der dortigen Graduiertenförderung, von der engen Betreuung der Doktoranden, der Einbettung in die Fachbereiche. Bestätigung erhält er aus dem Publikum von deutschen Doktoranden, die schildern, wie sie nach jahrelangem Einzelkämpfertum genug haben von der wissenschaftlichen Laufbahn.
    Und schon befindet sich die Diskussionsrunde mitten in der aktuellen Hochschuldebatte.

    Hoffnungslos unterfinanziert seien die deutschen Hochschulen, sagt Michael Burda, Amerikaner und Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Humboldt-Universität. Personal, Personal, Personal – das sei es, was er brauche, um seinen Fachbereich voranzubringen. Und die Pläne der Bundesregierung, wenige Spitzenuniversitäten mit jährlich 50 Millionen Euro zusätzlich zu unterstützen: Burda macht nur eine wegwerfende Handbewegung:

    Also ich muss ehrlich sagen, 50 Millionen ist angesichts des Ausmaßes dieses Problems recht wenig, es ist peinlich wenig. Wenn Sie irgendeine mittelmäßige Universität in den Staaten besuchen, finden Sie wirklich viel bessere Studienbedingungen vor. Wenn man mehr Professoren und vor allem Assistenzprofessoren hat, hat man mehr Chance als Student, Kontakt zu Lehrkörpern zu bekommen. Hier lese ich im Grundstudium vor 300-400 Studenten. Da haben die Studenten überhaupt keine Chance. Beim besten Willen kann ich diese Menschen nicht sehen. Ich kann sie nicht betreuen.

    Auch Henrik Enderlein kritisiert die Elite-Uni-Pläne. Das zusätzliche Geld werde wohl vor allem symbolische Bedeutung für die ausgewählten Hochschulen besitzen, sei gut für’s Renommee. Mehr aber nicht. Und außerdem sei es Unsinn, dass sich die Universitäten mit extra Konzepten für die Förderung bewerben müssten – Enderlein spricht von einem Beauty-Contest. Verschiedene Rankings und Untersuchungen hätten ja längst gezeigt, welche Fachbereiche an welcher Hochschule Spitzenleistungen erbrächten. Beipflichtendes Nicken auf dem Podium und im Saal. So gerät Christoph Matschie, Staatsekretär im Bildungsministerium in die eigenartige Position, sich für die zusätzliche Förderung verteidigen zu müssen.

    Es gehe natürlich nicht darum, ein deutsches Stanford oder Harvard aus dem Boden zu stampfen, so Matschie. Deren Milliarden-Jahresbudgets seien ohnehin unerreichbar. Die Bundesregierung wolle vor allem den Wettbewerb zwischen den Universitäten ankurbeln. Wettbewerb um Geld und Prestige, aber nicht nur:

    Für mich gehört zum Wettbewerb der Hochschulen dazu, dass sie sich ihre Studierenden selbst auswählen können und dass umgekehrt sich die Studierenden für eine Hochschule entscheiden können. So haben sich auch Universitäten beispielsweise in den USA weiterentwickelt. Die Studierenden brauchen mehr Freiheit an dieser Stelle. Aber die Hochschulen müssen auch mehr Mühe darauf verwenden, die Besten zu kriegen. Dazu müssen sie sich anstrengen, und diese Anstrengung hilft für die Hochschulentwicklung weiter.

    Mehr Wettbewerb, mehr Freiheit und mehr Geld – das wollen alle vier Herren auf dem Podium. Mehr Geld, wenn es sein muss auch durch Studiengebühren – allerdings nur, wenn diese zu 100% den Universitäten zu Gute kämen. Und dann könnten eines Tages vielleicht auch die Besten wieder im Lande gehalten werden.

    Etwas Trost gibt es schließlich noch vom Vertreter der Siemens AG. Das Niveau der deutschen Ingenieure sei sehr gut. Und dann doch wieder die Ernüchterung. Siemens wird in den nächsten Jahren viele Arbeitsplätze im Bereich Forschung und Entwicklung ins Ausland verlagern – wegen des Kostendrucks, aber auch um als globales Unternehmen überall präsenter zu sein. Eine neue Form des Brain Drains.