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Hochkomik gepaart mit Selbstironie

In seiner Autobiografie hat P.G. Wodehouse sein Leben mit viel Selbstironie beschrieben. Ob dabei immer die Wahrheit geschrieben steht, sei dahin gestellt. Darum ist es dem britischen Schriftsteller auch nie gegangen: Wodehouse war vielmehr ein Meister des bunten Panoramas voller verschrobener Grafen, diabolischer Erbtanten und daseinsfreudiger Gärtner. Nicht mehr und nicht weniger.

Von Sacha Verna | 30.10.2007
    Reiner Wein? Dass einem der von P.G. Wodehouse ganz bestimmt nicht eingeschenkt wird, versteht sich von selbst. Was der Meister der britischen Aristokraten-Komödie, der Schöpfer von so zentralen Figuren der Weltliteratur wie dem wohlbetuchten, aber geistig leicht minderbemittelten Bertie Wooster und seinem ebenso untadeligen wie ingeniösen Butler Jeeves, von Lord Emsworth und der Kaiserin von Blandings Castle, seiner über alles geliebten preisgekrönten Berkshire-Sau, was also P.G. Wodehouse dem Leser unter dem Titel "Reiner Wein” als Bericht über die vergangenen siebzig Jahre seines Lebens serviert, ist ein zuckersüßer Punsch, eine berauschende Bowle, in die der Autor alles gemischt hat, was die Stimmung hebt und den Denkapparat, wo vorhanden, entspannt. Bloß keinen Tiefsinn. Bloß keine kritische Selbstbefragung oder schimmernden Perlen der Weisheit. Und vor allem: Keine Fußnoten! Um zu verdeutlichen, wie sehr ihm diese verhasst sind, widmet Wodehouse den "unsittlichen Fliegendrecke(n)”, wie er sie nennt, das gesamte Vorwort, inklusiv zwanzig ... Fußnoten. Wenn dass kein meta-musengeküsster Auftakt ist.

    Das hervorstechende Merkmal der folgenden zweihundert Seiten ist, natürlich, die Selbstironie. Und viel mehr Selbst gibt es nicht in dieser Biografie. Es ist nämlich keineswegs immer klar, ob Wodehouse von einem seiner Protagonisten erzählt oder von sich, wenn er die bescheidenen Anfänge seiner Karriere schildert, die er unter anderem bei der Hongkong and Shanghai Bank verbrachte, und zwar als, Zitat, "taube Nuss”, als "untüchtigste(r) Angestellte(r), dessen Hosenboden je die Sitzfläche eine Bürohockers poliert hatte". Genau so gut könnte es sich bei dem Dösel mit Dusel, den wir hier kennen lernen, um einen Typen wie Bingo Little handeln oder Pongo Twistelton oder Gussie Fink-Nottle. Naja, minus den Dusel vielleicht und minus ein gewisses Talent, über das P.G. Wodehouse im Gegensatz zu den meisten Mitgliedern seines erlauchten und weniger erlauchten Personals zweifellos verfügte.

    P.G. Wodehouse mag nicht der bedeutendste britische Literat des 20. Jahrhunderts gewesen sein, aber ganz bestimmt war er einer der produktivsten. Sein Werk umfasst über siebzig Romane und an die vierhundert Kurzgeschichten. Dazu stammen fünf Dutzend Musicals und Theaterstücke entweder ganz oder teilweise aus seiner Feder, unzählige Artikel, und spätestens dann wird einem schwindlig. Der Mann hatte freilich genügend Zeit, um derartige Rekorde aufzustellen. Als Wodehouse, der von 1909 an hauptsächlich in Amerika lebte, 1975 in Long Island starb, war er 93 Jahre alt. "Reiner Wein” erschien 1957 im Original, und in den beinahe zwanzig Jahren, die den Autor damals noch erwarteten, nutzte er seine gewaltige Schaffenskraft zur Gänze aus.

    Über das literarische Niveau seiner Erzeugnisse war sich Wodehouse stets im Klaren. "Mein Spezialgebiet ist die 'leichte Literatur'”, schreibt er und fährt fort: "(W)er sich auf diese verlegt - man nennt solche Menschen auch Humoristen -, wird von echten Intellektuellen mit Verachtung gestraft und dem Gelächter preisgegeben." Der Hohn gehe nicht spurlos an einem vorbei, räumt Wodehouse ein. Man gerate ins Harnisch und weigere sich, die Frühstücksflocken aufzuessen. Aber nach gründlicher Auseinandersetzung mit seinen Kritikern kommt Wodehouse zum Schluss, dass der Welt mit mehr Analytikern gesellschaftlicher Missstände auch nicht gedient sei. Und seien wir ehrlich: Was wäre uns heute lieber - ein Wodehouse, der uns in den dunkelsten Farben die verheerenden Ungerechtigkeiten des englischen Klassensystems ausgemalt hat oder einer, der vor unseren Augen ein buntes Panorama voller verschrobener Grafen, diabolischer Erbtanten und daseinsfreudiger Gärtner entstehen ließ? Eben.

    Es wird deshalb auch kaum überraschen, dass "Reiner Wein” kein Wort über jene Episode in seinem Leben enthält, angesichts derer selbst die unerschütterlichsten Wodehouse-Apologeten verständnislos den Kopf schütteln: Die Jahre, die P.G. Wodehouse vor und während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich verbrachte, offenbar blind und taub für alles, was politisch um ihn herum vorging. Selbst dass die Deutschen ihn für ein Jahr in ein Internierungslager steckten, scheint ihm die gute Laune nicht verdorben zu haben. Zumal er die witzigen Dialoge, die er dort seinen Mitgefangenen zur Aufheiterung vortrug, nach seiner Entlassung auf Drängen der Nazis in Rundfunkbeiträge umwandelte, die von Berlin aus nach Amerika gesendet wurden. Dieses Verhalten wurde Wodehouse von vielen nie ganz verziehen und von ihm nie wirklich erklärt. Wer ausgerechnet in "Reiner Wein” nach Bekenntnissen sucht, wird sie nicht finden.

    Stattdessen bietet P.G. Wodehouse das im Überfluss, wofür wahre Genießer schöner Literatur ihn lieben: Anekdoten und phantastische Kaspereien, sprachliche Hochkomik gepaart mit stilistischer Brillanz, Details über Knebelbärte in Kalifornien und Türspione in New York, sowie schlagende Argumente gegen körperliche Ertüchtigung und für lebenslanges Rauchen. Wer von dieser erlesenen Ernte keinen seligen Schwips davon trägt, hat etwas falsch gemacht.

    P.G. Wodehouse: Reiner Wein. Edition Epoca, Zürich 2007. 215 Seiten. 36 Franken/19.95 Euro.