Freitag, 29. März 2024

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Hochkomplexes Küchenparlando

Peter Handkes Stück ist weniger ein Drama als eine wortreiche Studie über die alte Wahrheit, dass sich Männer und Frauen nicht verstehen. Daniela Löffner hat es in einer Inszenierung von allergrößter Feinheit und Ernsthaftigkeit auf die Bühne gebracht.

Von Rosemarie Bölts | 15.07.2013
    Sie trägt zu ihren offenen, blonden Haaren einen dunkelbraunen, ärmellosen Overall von lässiger Eleganz. Sie ist ja auch in dem Stück "eine Frau". Er, Strubbelhaare, trägt auch eine dunkelbraune Hose, darüber ein hellblaues Hemd. Weniger lässig denn etwas nachlässig. Er ist ja auch "ein Mann". Beide sind nicht mehr jung, aber auch nicht alt. Beide sind typisch für dieses moderne Bildungsbürgermilieu, das so aufgeklärt-abgeklärt tun kann, als wären die Probleme mit dem eigenen und dem anderen Geschlecht längst aufgearbeitet und beider Leben total ab- und eingeschliffen. Synchron schon die Bewegungen, wenn die beiden Protagonisten zu Beginn der Aufführung - stumm - durch jeweils ihre Tür gehen, ihre Einkäufe ablegen, ihre Erdbeeren waschen, bis sich beide an einen runden Tisch setzen, der sie aber, und das allein ist ein schon genialer Regieeinfall, durch eine imaginäre Spiegelwand trennt. Die Bühne des Marstalls ist nämlich ein Guckkasten, darin sind in der linken und rechten Hälfte spiegelbildlich zwei bis auf die Pfeffermühle und die Lampe über dem Spültisch identische Küchen eingerichtet. Zwei Hälften also, ein - eingespieltes - Paar?

    "Ein Sommerdialog, hier kein Aufruhr. - Ja! Schon recht. Im Übrigen bin ich jenem Umriss sogar dankbar. Eine Zeit des Leichtsinns, des Stehenlassens, nein, des Geschehenlassens. Das hat mich ja damals sogar gerettet. - Gerettet, wovor? - Vor dem Sterben. Vor dem Vertrocknen, dem Austrocknen meiner Seele. Wie hat mir damals doch an der Liebe gemangelt. - Lass uns hier schweigen von Liebe! Schau mal, da ist gerade ein Rotkehlchen gelandet, im Park, ganz lautlos, ohne einen Ton. - Dass ich selbst nicht liebenswert war, ich als Frau, ich, die Frau, ja?, das war der Mangel."

    "Die schönen Tage von Aranjuez" sind längst vorbei, das wird in diesem hochkomplexen Küchenparlando klar. Sie rechnet mit ihren sexuellen Erlebnissen ab, er langweilt sie mit Naturschilderungen. Bloß keine Nähe. Es gibt keine Handlung, dafür zeigen Michaela Steiger und Markus Hering fulminant, wie intensiv sie ihre verkopften Figuren schauspielerisch ausschöpfen, indem sie sich im Quasi-Rollentausch in Küchenaktivitäten ergehen. Das ist der zweite Trick der Regisseurin Daniela Löffner, dieses surreale Doppel, das auch noch immer körperlich voneinander abgewandt die Verweigerung des Dialogs im verhaltenspsychologischen Subtext manifestiert, in der sommerlichen Atmosphäre einer cremefarbenen Landhaus-Küche stattfinden zu lassen. Er schnibbelt, brät, wischt und deckt den Tisch. Sie schält die phallischen Gurken, entkorkt eine Weinflasche, raucht eine Zigarette. Er reagiert seinen unterdrückten Frust ab, indem er das Messer, mit dem er gerade noch den Apfel, wer denkt da nicht ans verlorene Paradies?!, zerschnitten hat, immer wieder in den Tisch rammt. Sie knallt die saure Sahne in den Topf, dass es nur so spritzt, und hobelt die Gurken ins Crescendo ihrer sublimierten Wut. Wie symbolisch:

    "Begehren, Ekel, Ekel vor dem Begehren, zärtliche Gewalt, gewalttätige Gewalt, ja, und dann kam immer alles ganz plötzlich, plötzlich die Lust, plötzlich das Begehren, plötzlich die Gewalt, eine Epoche der Plötzlichkeit - aua! - unterbrich mich! - Bereust du es mal?"

    Frauen und Männer verstehen sich eben nicht, bei Handke reden sie sowieso unentwegt aneinander vorbei. Daniela Löffner aber hat Peter Handke total verstanden und aus seinem manchmal anstrengenden, weil angestrengten, immer melancholischen Volltext eine Inszenierung von allergrößter Feinheit und Ernsthaftigkeit, mit einem Schuss französischen Kinoflairs, auf die Werkstattbühne des Münchner Residenztheaters gebracht. Chapeau!