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Hochrisikoballett

Es ist ein gigantomanisches Projekt: Gleich drei Ballette nach Dimitri Schostakowitsch an einem Abend. Choreograf Alexei Ratmansky und das American Ballet scheuten mit ihrer Uraufführung an der Met das Risiko nicht.

Von Simone Hamm |
    Natalia Osipova und Ivan Vasiliev, die beim American Ballet Theatre tanzen, sind die Sensation dieser Spielzeit. Ihre Sprünge, Drehungen, Schrittkombinationen sind höher, schneller, länger als bei irgendeinem anderen Paar. Ihre Akrobatik ist atemberaubend. Das kommt gut an bei den Zuschauern.

    Der in Sankt Petersburg geborene Choreograf Alexei Ratmansky leitete das Bolschoiballett. Er wollte kreativer arbeiten, mehr choreografieren und folgte dem Ruf nach New York als Artist in Residence für das American ballet theatre. In dieser Spielzeit hat er sich hat sich einer gigantischen Aufgabe gestellt. Drei Ballette nach Schostakowitsch Musik an einem einzigen Abend:

    "Es ist wahrscheinlich das riskanteste Projekt, das ich je geplant habe. Es ist erstaunlich, dass das American Ballet Theatre das unterstützt. Denn: Wie kann man drei Schostakowitsch Symphonien verkaufen - an der Met?"

    Aber niemand anders als Schostakowitsch sollte es sein:

    "Schostakowitsch war der erste Komponist, den ich selbst entdeckt habe. Ich war überwältigt von der Intensität der Musik und ich merkte zum ersten Mal: Sie spricht zu mir."

    Diese Zwiesprache hat er in drei Ballettchoreografien verwandelt und jetzt mit Hunderten von Zuschauern geteilt. Charles Barker und Ormsby Wilkins dirigieren das Orchester der Met, Solist ist der Pianist Alan Moverman. Zum Piano Konzert Nr. 1 tanzt das Starpaar Natalia Osipova / Ivan Vasiliev vor einem roten Mobile: Sterne, ein Hammer, ein Teil einer Sichel, die Mutter einer Schraube. Anspielung auf Schostakowitschs Zeit unter Stalin. Der Komponist hatte Hymnen auf den Diktator geschrieben, war geliebt worden und in Ungnade gefallen und hatte doch immer Abstand gewahrt. So virtuos die jungen Tänzer auch sind, manchmal fehlt es ihnen noch an Finesse, an Leichtigkeit.

    Chamber Sinfonie ist ein Stück von der Einsamkeit, der flüchtigen Liebe, dem Außenseitertum, ganz hingeschrieben auf den großartigen David Hallberg, er umgarnt die Tänzerinnen, berührt zart ihre Schultern, hebt sie, trägt sie küsst sie. Und während er mit der einen tanzt, guckt er schon nach der einer anderen. Schon bald wird er ein inniges Pas de deux mit ihr tanzen. Und sich wieder von ihr trennen. Immer neue Gruppen bilden sich, lösen sich auf, sind vor David Hallberg, hinter ihm, neben ihm.
    Verloren, versunken nur in sich, tanzt er allein. Das ist elegisch, ergreifend, schön.
    Dabei wird Alexei Ratmansky niemals düster oder pathetisch. Er spart nicht mit feiner Ironie. Die Tänzerin, die zusammenbricht und weggetragen wird, tanzt ein wenig später schon wieder kokett und heiter.

    Symphonie Nr. 9 beginnt fröhlich und ausgelassen. Männer heben Männer, Frauen heben Frauen. Paare finden zueinander. Herman Cornejo hüpft aus der Reihe. Und sofort spüren wir: unter der fröhlichen Oberfläche ist noch etwas anderes verborgen. Genau das hat Alexei Ratmansky aus Schostakowitschs Musik herausgehört. Seine Choreografie wird eine andere:

    "Schostakowitsch sieht die Dramen, die verborgen sind unter der Oberfläche der Musik. Und die will ich zeigen."

    Auch in diesem Ballet tanzt der Solotänzer vorwiegend allein. Herman Cornejo ist furios. Kraftvoll. Er geht völlig auf in der Musik. Sein Körper ist Dynamik: wie er springt, wie er die Beine streckt. Seine Rolle hat Alexei Ratmansky rätselhaft gelassen. Herman Cornejo scheint über die Liebespaar zu wachen, sie zu schützen. Ist er der, der den Lauf der Geschichte anhalten kann? Am Ende ist Herman Cornejo ganz allein auf der riesigen Bühne des Metropolitan Opera House und kann sie doch füllen mit seiner Präsenz, seiner Schönheit. Wie ein Wirbelwind dreht er sich schneller und schneller um seine eigene Achse, schneller, als es die Schwerkraft eigentlich erlaubt. Dieser Schluss- und Höhepunkt ist Alexei Ratmanskys Geschenk an einen weiteren Ausnahmetänzer.