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Islamische Theologie wird erstmals evaluiert

Wenn in diesen Tagen jemand vom Islam spricht, fällt im gleichen Satz oft der Begriff Terror. Besonders zu spüren bekommen das Studierende und Professoren der Islamischen Theologie - eines der jüngsten Fächer in der deutschen Hochschullandschaft. Jetzt kommt es zum ersten Mal auf den Prüfstand.

Von Burkhard Schäfers | 01.12.2015
    "Ein Meilenstein für die Integration", jubelte die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan, als sie vor vier Jahren den Startschuss gab für die Islamische Theologie an deutschen Universitäten. Und: "Religion braucht Aufklärung." Inzwischen ist der Jubel verebbt, heute klingt das leiser und differenzierter. Harry Harun Behr, Professor für Religionspädagogik an der Universität Frankfurt, berichtet von etlichen Herausforderungen.
    "Sie bringen die Islamische Theologie, wie sie gerade entsteht, ein klein wenig ins Schleudern, weil jetzt so ein riesen Haufen an Fragen und vor allem krisenhaften Wahrnehmungen an die Islamische Theologie herangetragen werden. Aber man wird in die großen Schuhe, in die man sich hineingestellt fühlt, dann schon hineinwachsen."
    Die Islamische Theologie soll Wissen vermitteln, neue Ideen entwickeln, Vorurteile abbauen, Konflikte lösen - am liebsten alles gleichzeitig. So haben es sich nicht wenige vorgestellt. Allerdings fehlten am Anfang Studienordnungen, Literatur in deutscher Sprache - und vor allem richtig gutes Personal, sagt Harry Behr:
    "Nun ist aber das Problem: Wenn Sie die Stellen ausschreiben, kriegen Sie die Fachleute nicht. Denn Sie brauchen Professoren, die das Sujet beherrschen. Zum zweiten sollten sie im Deutschen so gut sein, dass sie lehren können. Deswegen sind wir in einer Situation, dass die Substanz etwas zu dünn ist, um all die Dinge zu tun, die getan werden müssen."
    Immer wieder Streit über Personal und Inhalte
    Das Fach muss sich in zwei Richtungen behaupten: Einmal gegenüber Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit. Dann aber auch unter Muslimen. Denn im Gegensatz zur neutralen Islamwissenschaft ist die Islamische Theologie bekenntnisorientiert. Das heißt: Genauso wie die katholische Kirche bei neuen Professoren zustimmen muss, wollen auch die muslimischen Verbände bei Personal und Inhalten mitreden. Deswegen gibt es immer wieder Streit darüber, wie unabhängig die Theologie als Wissenschaft ist - und wie groß der Einfluss der Verbände DITIB, Islamrat und Co, erklärt Islamwissenschaftler Reinhard Schulze von der Universität Bern.
    "Ein Punkt ist, dass manche doch noch die Vorstellung haben, dass die Islamische Theologie eine Wissenschaft ist, die die Tradition bewahrt. Also dass so eine, ja fast so eine Art musealer Zugriff auf die islamische Tradition stattfindet."
    Das aber sei nicht der Sinn von Wissenschaft, betont Professor Schulze. Sondern der Diskurs: Wie wörtlich ist der Koran zu verstehen? Welches Gewaltpotential steckt im Islam? Wie ist das Verhältnis von Religion und Politik? Diesen zentralen Fragen müssten sich Studierende stellen.
    "Sie sollten natürlich Kompetenzen entwickeln, die eigene Tradition mit den Mitteln kritisch zu sehen, die die Wissenschaft anbietet. Und zwar die Wissenschaft in einer säkularen Universität selbst. Es geht also nicht um die Traditionsbewahrung, sondern um eine kritische Fortschreibung der islamischen Tradition für die Situation auch in Deutschland."
    Gesucht werden Lehrer, Sozialarbeiter und Experten
    Damit sich die Islamische Theologie an deutschen Universitäten etablieren kann, gab der Bund einen Zuschuss von rund 19 Millionen Euro für fünf Jahre. Die Förderung endet demnächst. Deshalb beginnt nun eine Evaluation. In den nächsten Wochen und Monaten werden Studierende befragt, Professoren - und es wird überprüft, wo das Fach im internationalen Vergleich steht. Der Frankfurter Religionspädagoge Harry Behr:
    "Das Wertvollste ist in die Gesellschaft hinein das Signal, dass Islam auf wissenschaftlicher Augenhöhe mit anderen Disziplinen sich denselben kritischen Diskursen unterwirft, wie andere Theologien auch. Und da blicken islamische Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern schon recht neidvoll auf unsere Situation. Weil sie sagen: Das können wir aufgrund der politischen Überprägung unserer wissenschaftlichen Arbeit in Kairo oder in Islamabad oder in Kuala Lumpur gar nicht so locker formulieren, wie ihr das macht."
    Der Bedarf an islamischen Theologen wächst, gerade angesichts der großen Zahl muslimischer Flüchtlinge und des islamistischen Terrors. Gesucht werden Lehrer, Sozialarbeiter und Experten, die Politiker beraten. Deshalb zeigt sich das Bundeswissenschaftsministerium offen, die Islamische Theologie weiter zu fördern, falls die Evaluation halbwegs erfreulich ausfällt.