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Hochschulen
Flüchtlinge und ihr Weg ins Studium

Immer mehr Flüchtlinge finden den Weg an deutsche Hochschulen. Doch bevor sie sich für ein Studium einschreiben können, müssen sie häufig vielfältige Hindernisse überwinden. Zwar gibt es zahlreiche Vorbereitungs- und Integrationsmaßnahmen - doch die sind nicht immer hilfreich.

Von Hilde Weeg | 12.07.2019
Mehrere junge Männer sitzen vor einem vollgeschriebenem Whiteboard bei einem Vorbereitungs-Kurs an der Freien Universität in Berlin.
Fehlende Deutschkenntnisse und Zeugnisse erschweren Flüchtlingen den Einstieg in ein Studium - aber auch mangelnde Koordination zwischen den Behörden (imago / Florian Gärtner)
"Eigentlich alles war schwierig. Nicht nur die Sprache, sondern die Kultur auch - und das Bildungssystem in Deutschland."
Erzählt eine 22jährige Absolventin des niedersächsischen Studienkollegs in Hannover. Sie möchte lieber anonym bleiben. Vor vier Jahren kam sie mit ihrer Familie aus dem Irak, konnte kein Wort Deutsch.
"Ich habe zwar mein Abitur, aber das wird nicht anerkannt, und ich habe auch schon im Irak studiert. Ich habe mich wirklich gefreut, dass ich das Studienkolleg hier besuchen kann."
Der Traum: ein Studium absolvieren
Im Herbst beginnt nun ihr Studium in Hildesheim. Ihre Eltern unterstützen sie.
"Besonders meine Mutter, weil sie wussten, dass ich im Heimatland im Irak einen Traum hatte, dass ich mein Studium absolvieren wollte. Nachdem wir nach Deutschland gekommen sind, haben sie gesagt ‚du kannst das machen und wir werden auf dich stolz sein, und ich habe das gemacht."
Und zwar hat sie die Zugangsberechtigung zu einer deutschen Hochschule erworben, und damit das Ticket für die eigentliche akademische Karriere. Die Kollegleiterin Cornelia Last-Wyka freut sich mit ihr.
"Ich finde das immer wieder grandios, dass diese jungen Menschen diese Hindernisse überwinden."
Fehlende Zeugnisse und Sprachbarrieren
Rund 430 Studierende erwerben in ihrem Kolleg gerade die Voraussetzungen für ein Studium in Deutschland, 160 davon haben Fluchterfahrungen. Die Hindernisse sind vielfältig, auf sehr unterschiedlichen Ebenen, wie auf der Tagung des Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung DZHW in Hannover deutlich wird. Das reicht vom Beschaffen der notwendigen Zeugnisse oder Visa in den Heimatländern über Sprachbarrieren bis zur fehlenden Abstimmung zwischen den Ämtern in Deutschland, von Ausländerbehörden, Jobcentern und Hochschulverwaltungen.
"Das Zusammenspiel ist nicht wirklich institutionalisiert. Es ist kein böser Wille. Aber die Mitarbeiter sind auch oft überfordert, weil sie viele Menschen zu betreuen haben, weil es viele Vorschriften gibt."
Schon ein Platz für einen Vorbereitungskurs zu bekommen gleicht einer Lotterie: Zurzeit kommen etwa sechs Bewerber auf einen Platz. Eine große Herausforderung also, auch für Abdallah. Der 29-jährige hatte in Syrien Jura studiert und fängt nun in Hamburg von vorn an. Nach monatelangem Warten auf Bescheide von Behörden studiert er jetzt im zweiten Semester Sozialarbeit. Und wie wichtig ist das Studium für seine Integration in Deutschland? Für ihn sei es positiv, weil er dadurch ...
"einfach mein Selbstvertrauen, meine Persönlichkeit nach der Flucht wieder haben, oder: wiederfinden" könne.
Flüchtlinge - eine junge Frau und mehrere Männer - nehmen an einem Vorbereitungs-Kurs an der Freien Universität in Berlin teil.
An den Unis gibt es Vorbereitungs-Kurse - aber zwischen Ausländerbehörden und Jobcentern fehlt häufig die Abstimmung (imago / Florian Gärtner)
Für andere sei es frustrierend. Für einen Freund zum Beispiel, der einen Studienplatz in Hamburg hatte, aber nicht hin darf, weil sein Wohnort in Schleswig-Holstein liegt. Die Behörde besteht auf der Residenzpflicht und hat seinen Umzug abgelehnt.
"Er hat ein Ziel und es wird jetzt alles abgebrochen, und du kannst nix machen und ein Jahr warten und dann arbeiten. Dazu brauchst du so viel Kraft, die wir eigentlich nicht soviel haben."
Bildungsprogramme-Programm besser begleiten
Das DZHW wertet solche Erfahrungen im Projekt "Wege" aus. Projektleiter Michael Grüttner erläutert einige der ersten Ergebnisse und Hinweisen daraus.
"Was man versuchen kann, ist die sehr gut geförderte Hochschulvorbereitung über das Integra-Programm zum Beispiel stärker zu flankieren durch sozialpolitische und integrationspolitische Rahmenbedingungen."
So könnte mit der Zulassung zum Studium etwa die Residenzpflicht wegfallen. Oder die Geflüchteten mehr Unterstützung bei der Wohnungssuche bekommen oder von Beginn an mehr spezifische Sprachkurse.
"Wenn Integrationskurse beispielsweise auch noch stärker zielgruppenorientiert aufgebaut sein könnten, für Personen, die sehr hohe Bildungsvoraussetzungen mitbringen."
Psychische Stabilität stärken
Die größten Hürden stehen also vor dem eigentlichen Zugang zur Hochschule. Aber auch an den Hochschulen selbst gibt es Verbesserungspotential, zum Beispiel für eine bessere Vernetzung unter den Studierenden. Wichtig für das Studium, aber auch für die psychische Stabilität. Die 24jährige Maha, Studentin an der TU Berlin, hat dafür Ideen:
"Es wäre sehr gut, wenn wir mit anderen, in höheren Semestern zu sprechen und Tipps und Vorschläge von ihnen zu bekommen."
Maha, Mutter einer kleinen Tochter, nimmt für ihr Studium weite Wege von bis zu vier Stunden täglich in Kauf. Ihr Fazit fällt trotzdem sehr positiv aus:
"Ich kann sagen, dass ich meinen Traum lebe. Das Studium ist für mich nicht nur ein Weg, sondern ein Ziel."