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Hochschulen in Frankreich
Kaderschmiede der neurechten Elite

„Rassemblement National“ nennt sich der „Front National“ seit diesem Jahr. Und auch Marion Maréchal, Enkelin des Parteigründers, strich das „Le Pen“ aus ihrem Namen. Nach dem Rückzug aus der Politik ist sie Direktorin einer selbstgegründeten Hochschule – und gibt an, damit „kein politisches Ziel“ zu verfolgen.

Von Jürgen König | 17.10.2018
    Marion Marechal bei der Eröffnung des Institute of Social Sciences, Economics and Politics (ISSEP).
    Nicht weniger als eine "neue Elite" soll Maréchals Hochschule ISSEP hervorbringen. Vom französischen Staat werden deren Abschlüsse nicht anerkannt. (picture alliance / AP Photo / Laurent Cipriani)
    Die Hochschule von Marion Maréchal, die ISSEP, liegt im Lyoner Stadtteil Confluence, ein früheres Arbeiterviertel, in dem sich in den letzten Jahren viele Start-ups angesiedelt haben. Allein die immer noch vorhandenen Brachen zwischen den neuen Stahl- und Glasfassaden trüben den Eindruck von allgemeinem Neuanfang und wachsender Prosperität.
    Das Gefühl von einem Neuanfang lässt sich auch an der ISSEP nicht wirklich einfangen. Das Institut ist klein, liegt in einer ruhigen Seitenstraße, von den 60 eingeschriebenen Studierenden ist auch bei mehreren Besuchen weit und breit nichts zu sehen, von einem "Campus" kann keine Rede sein.
    Dabei hat sich Marion Maréchal große Ziele gesteckt: nicht weniger als "eine neue Elite" soll die ISSEP hervorbringen. Die Absolventen der klassischen Elitehochschulen seien doch mehrheitlich "Technokraten", sagt Marion Maréchal, seien "Funktionäre ohne Visionen, in französischer Kultur und Geschichte kaum noch verwurzelt".
    "Die Idee der ISSEP ist es, diesem intellektuellen Sektierertum, das man in weiten Teilen der Universitäten und an den Elitehochschulen findet, einen wirklichen intellektuellen Pluralismus entgegenzusetzen", erklärt Maréchal. "Das heißt, wir werden, was zum Beispiel die politische Ideengeschichte angeht, natürlich die großen Autoren der politischen Linken diskutieren, das ist unverzichtbar, um unsere Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen, Marx zum Beispiel - aber wir werden auch andere große Denker und Philosophen behandeln, die weniger bekannt sind, in den Studienplänen nur noch selten auftauchen, vor allem deshalb, weil sie zumeist als Autoren der Rechten klassifiziert werden. Und es ist dann Sache der Studenten, mit diesem Wissen zu machen, was sie wollen. Wenn man ein kritisches Urteilsvermögen vermitteln will, was ja für eine gute Führungskraft unverzichtbar ist, dann muss man an diesen intellektuellen Pluralismus wieder anknüpfen."
    Vom Staat nicht anerkannt
    Innerhalb der französischen Hochschullandschaft steht Marion Maréchals "Institut für Sozial-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften" isoliert da. Zehn öffentliche Hochschulen für Politische Wissenschaften gibt es in Frankreich, für die 1000 Studienplätze gab es in diesem Jahr rund 10 000 Bewerbungen. Das als "links" geltende "Institut für politische Studien" von Lyon, kurz "Sciences Po Lyon" genannt, besteht seit 70 Jahren. Deren Direktor Renaud Payre nimmt die neue Konkurrenz relativ gelassen hin, im Regionalsender Télé Lyon Métropole sagte er:
    "Ganz allgemein gesagt: wir sind ganz und gar nicht in derselben Kategorie. An der Sciences Po Lyon haben wir 1800 Studenten, die sehr sorgfältig ausgewählt und über fünf Jahre hinweg ausgebildet werden - was sind dagegen einige Dutzend Studenten, die an der ISSEP einen Magister erwerben - was nicht einmal ein nationales Diplom ist."
    Die Abschlüsse der ISSEP werden vom Staat nicht anerkannt - doch die Hochschule vertraut darauf, dass allein ihr "Ruf" den Absolventen gute Stellen garantieren werde. Das Studienprogramm umfasst drei Bereiche: In einer Sektion "Menschenführung" sollen Führungsqualitäten gefördert, Verhandlungsgeschick, Konfliktmanagement, Öffentliches Reden oder auch Kommunikationsstrategien trainiert werden. In einem umfangreichen Programm zum Projektmanagement werden wirtschaftliche Grundkenntnisse vermittelt, mit Schlagwörtern wie Projektgründung, Wirtschaftsplan, Marketingstrategien, Steuerfragen. Und der geisteswissenschaftliche Bereich umfasst nicht nur Themen der Politik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, sondern auch Seminare zu Philosophie, Literatur, Religion und zur Geschichte Frankreichs. Zum Lehrkörper findet sich auf den Internetseiten der ISSEP nichts. Auch die inhaltliche Unschärfe ist groß, ein Vorlesungs- oder Kursverzeichnis gibt es nicht. Wohl auch deswegen kam eine öffentliche Auseinandersetzung mit den Inhalten der ISSEP bisher nicht zustande.
    "Brücke zwischen der Rechten und der extremen Rechten"
    Viele Kommentatoren interpretieren die Hochschulgründung als eine Strategie Marion Maréchals, langfristig in die Politik zurückzukehren. Als Basis einer eigenen Bewegung sei die Hochschule gedacht, als Basis vielleicht auch einer eigenen Präsidentschaftskandidatur 2022. Der Journalist Matthieu Aron in einer Veranstaltung der Tageszeitung "Le Figaro":
    "Sie versteht es, etwas sehr Besonderes zu verkörpern: die Brücke zwischen der Rechten und der extremen Rechten. Das ist Marion Maréchal. Die keine "Le Pen" mehr ist: und sie ist keine "Le Pen" mehr, um genau diese "Brücke" werden zu können. Dafür hat sie sich mit ihrer Hochschule eine Art "ideologischen Korpus" geschaffen. Hinzu kommt: Sie ist sehr jung, sie hat eine gewisse Ausstrahlung. Und wenn man sich die Umfrage ansieht, die der "Figaro" gemacht hat, zeigt sich: deren Leser würden sich mehrheitlich über den Aufstieg Marion Maréchals freuen."
    So bleibt in den Medien ein abwartendes Misstrauen Marion Maréchal gegenüber vorherrschend. Mag sie auch noch so sehr beteuern, dass sie mit ihrer Hochschule "kein politisches Ziel" verfolgt.