Archiv


Hochschulgau in Berlin

Berlin ist bankrott! Gespart werden muss an allen Enden und so sollen jetzt auch mal wieder die Berliner Universitäten daran glauben. Denn nach Ansicht des Finanzsenators Sarrazin sind diese noch überfinanziert. Die Reaktion von Universitätsleitung kam prompt: die Humboldt-Universität droht mit einem Aufnahmestopp für Studierende.

    Das heißt für die Humboldt-Universität Einstellungsstopp und Aufnahmestopp für Studierende im Wintersemester.

    Ein lapidarer Halbsatz nur – aber einer, der seit vergangener Woche vieles verändert hat an der Berliner Humboldt-Universität. Der Präsident der Hochschule Jürgen Mlynek scheint nicht mehr bereit zu sein, immer unhaltbarere Studienbedingungen einfach so hinzunehmen. Sollten die Pläne von Berlins Finanzsenator Sarrazin, der den drei Universitäten der Stadt mehr als 200 Millionen Euro jährlich aus dem Budget streichen will, Wirklichkeit werden, dann dürfte die altehrwürdige Humboldt-Universität mit ihrem generellen Aufnahmestopp im Wintersemester bundesdeutsche Geschichte schreiben. Mehrere Tausend Erstsemestler wären betroffen. Die Studenten schwanken zwischen Fassungslosigkeit und Amüsement:

    Das finde ich einen totalen Skandal. Ich glaube, so etwas hat es noch nie gegeben, dass eine Uni einfach keine Studenten mehr aufnimmt. Also das wird garantiert auch die Pläne Tausender junger Leute durcheinander werfen, die jetzt vorhatten zu studieren und jetzt einfach auf der Straße sitzen.

    Yvonne Schwarzik studiert im 2. Semester interkulturelle Fachkommunikation. Ratlos steht sie vor einem Vorlesungssaal, der wenige Minuten vor Veranstaltungsbeginn aus allen Nähten platzt. Für viele Studenten ist nur ein Stehplatz hinten an der Wand übrig geblieben. Yvonne ist die Lust vergangen, sie verzichtet auf die Vorlesung:

    Ich find’s eher katastrophal im Moment. Man sitzt mit 60 Leuten in 30-Quadratmeter-Räumen. Also die Bedingungen sind wirklich nicht gut zum Üben. Also, in meinem Studienfach sind viele Übungen. Und wenn eben 60, 70 Leute in einem Raum sind, kommt man pro Semester vielleicht einmal dran.

    Trotz solcher Augenzeugenberichte ist der Finanzsenator davon überzeugt, dass die Berliner Hochschulen vergleichsweise überfinanziert seien. Das bankrotte Berlin könne sich das nicht leisten. Noch aber ist nichts entschieden. Und so muss die Reaktion der Humboldt-Universität auf die Sparpläne wohl vor allem als Warnschuss und Drohgebärde gegenüber dem Senat verstanden werden. Rechtlich ist ein Aufnahmestopp ohnehin nicht ohne weiteres möglich.An der Technischen Universität sind die Zustände vielfach ebenso katastrophal. Marc Wilke, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der naturwissenschaftlichen Fakultät, mit einem Beispiel.

    Wir haben jetzt gerade in diesem Semester viereinhalbtausend Tutorienplätze vergeben müssen. Das läuft auf 130 Tutoren raus, so dass du pro Tutorium so etwa 35 Studenten hast, was bei einer Veranstaltung, wo es speziell ja um Fragen, Rückfragen, Problemlösungen und Ähnliches geht, eine unsäglich hohe Anzahl ist.

    Die TU will im Falle der geplanten Kürzungen einen Numerus Clausus von möglicherweise 2,2 auf alle Fächer einführen. In den Instituten der Hochschule stößt die geplante Maßnahme auf ein geteiltes Echo. Marc Wilke

    Auf der einen Seite stehe ich nicht dahinter, weil solche Maßnahmen natürlich dazu tendieren, permanente Wirkung zu haben. NCs sind nur aus genau solchem Grunde eingeführt worden ursprünglich mal und waren nur eine temporäre Maßnahme. Und sie sind jetzt einfach Fakt in sehr vielen Studiengängen ohnehin schon. Andererseits stellt es sich natürlich so dar, dass, wenn es nicht getan wird und die Kürzungen so stattfinden, dann selbst die Studenten, die im Moment studieren, kaum noch Betreuung haben können.

    Und auch die Studenten sehen einem Flächen deckenden Numerus Clausus mit Skepsis entgegen. Jan Paulbach, Student des kleinen Faches Werkstoffwissenschaften.

    Es ist zum Beispiel bei unserem Studiengang so, dass sich viel zu wenig Leute überhaupt dafür bewerben. Unser Studiengang ist sowieso NC-frei. Wenn der jetzt noch mit einem NC beauflagt würde, dann, denke ich mal, würden so gut wie gar keine Studenten mehr kommen.

    Auch die Freie Universität droht mit harten Maßnahmen. FU-Präsident Gaethgens denkt laut über Studiengebühren nach. Zahlen fürs Studium: das stößt – bei allem Verständnis für Sparzwänge - bei den meisten Studenten auf einhellige Ablehnung.

    Mit den Kürzungen im Hochschulbereich könnte Berlin einem seiner wichtigsten Standortvorteile großen Schaden zufügen. Die Hochschulen ziehen nämlich auch die Wirtschaft an. So kündigte die Europa-Zentrale der Hitachi-Software-Abteilung in diesen Tagen an, sich in Berlin anzusiedeln – wegen der guten Universitäten, so die Unternehmensleitung.