Wer den Berg erklimmen möchte, sollte schon einige Erfahrung mitbringen. Doch die Bergtour über Gletschergeröll, spiegelglatte Eisflächen und durch tiefen Schnee lohnt sich: Der Monte Rosa liegt in einer einmaligen Naturkulisse vieler weiterer Viertausender wie dem Matterhorn.
Japan, Australien, den USA oder von der arabischen Halbinsel - der kleine schweizerische Bergort im Kanton Wallis ist ein Muss für Europareisende aus aller Herren Länder. Alle wollen den, wie viele meinen, schönsten Berg der Welt sehen: Das Matterhorn. Und sie entdecken: Der Berg liegt in einer einmaligen Naturkulisse vieler weiterer Viertausender. Und dieser Rahmen hat schon früher seine eigene Anziehungskraft ausgeübt. Sogar auf jenen Engländer, der bis heute für seinen Ausspruch "No sports!" - Nur keinen Sport! - bekannt ist, erzählt Peter Graf vom "Matterhorn Museum":
"Also, Winston Churchill kam vom Berner Oberland, überquerte den Gemmipass, kam nach Zermatt und sagte: Wo ist der höchste Berg? Natürlich ist es die Dufourspitze aus dem Monte Rosa Gebiet."
Es heißt, entscheidend für die Bergwahl des späteren britischen Premiers sei in Wahrheit ein entsetzter Blick auf die Preise der Bergführer gewesen:
"Monte Rosa 50 Franken, Matterhorn 100 Franken. Böse Zungen haben dann behauptet, er sei zu geizig gewesen, um das Matterhorn zu besteigen. Dem ist aber nicht so. Er hat effektiv gesagt: Wo ist der höchste Berg? Das ist die Dufourspitze."
1894 war das. Heute, mehr als ein Jahrhundert später, müsste Churchill deutlich tiefer in die Reisekasse greifen. 608 Franken, etwa 380 Euro, begleichen wir für die Buchung der Dufour-Hochtour im "Alpin Center Zermatt". Kosten für die Übernachtung in der Hütte und was sonst so anfällt nicht eingeschlossen.
Relaxt beginnen wir unsere Hochtour mit der Gornergratbahn. Die Fahrt erspart uns rund 1200 Höhenmeter zu Fuß - und Kraft, die wir noch gut brauchen werden. Der junge Churchill hat diese Annehmlichkeit nicht nutzen können, der berühmte Zug nahm seinen Betrieb erst vier Jahre später, 1898, auf.
Eine Haltestelle vor der Gipfelstation, auf etwa 2.800 Metern, steigen wir aus. Wir schultern den Rucksack, kehren dem Matterhorn im Westen den Rücken zu und machen uns auf den Weg hinab zum Gletscher.
Nach dessen Querung und insgesamt zweieinhalb Stunden später steht vor uns im milden Licht der späten Nachmittagssonne die Monte Rosa Hütte mit ihren roten Fensterläden. Auf der Terrasse treffen wir unseren Bergführer.
"Hallo, ich suche Christian Buchmann. Wo finde ich den?"
"Den haben Sie schon gefunden."
"Andreas Burman."
"Freut mich."
"So, geschafft."
"Geschafft."
Christian ist noch am Morgen mit einer Gruppe auf dem Pollux gewesen. Eine leichte Schneetour. Gleich danach ist er hierher gekommen. Wie er das kräftemäßig packt? Man sieht: Der 37-jährige ist durchtrainiert. Er sei praktisch rund ums Jahr im Einsatz, erklärt er, im Winter als Skilehrer und Skitouren-Guide. Hinzu kommen seine solide Ausbildung, Erfahrung, ein gutes Auge und Einsicht-Vermögen, wenn es einmal besser ist, den Aufstieg abzubrechen. Was er von seinen Gästen erwartet?
"Eine gute physische und psychische Kondition. Dass man auch einmal gewillt ist, etwas am Schmerz nahe zu sein, wenn man kalte Finger bekommt oder kalte Nasenspitze. So etwas muss man akzeptieren. Wir sind draußen in der Natur und die Natur kannst du nicht bezwingen, du kannst nur mit ihr gehen."
René Huber sitzt daneben und nickt. Der 43-jährige Schweizer ist für die Klettertour auf die Dufourspitze aus Hongkong angereist. Dort lebt und arbeitet er seit 14 Jahren für eine große Fluggesellschaft im Cockpit eines A 340 als Pilot. Ja, hoch hinaus und schnell müsse es gehen. Schon als Kind sei er mit seinen Eltern in den Bergen gewandert, sagt René:
"Na ja, ist eine Leidenschaft, aber ist eine Leidenschaft, die ich nur alle paar Jahre durchführen kann, leider. Also, ich wohne auf Meereshöhe, und ich bin auch nicht mehr der Jüngste, und dann muss ich mich darauf vorbereiten und das braucht relativ viel Zeit."
Die sich zu nehmen aber doch jedes Mal lohne. Das sieht auch unser Bergführer nicht anders. Um die Hochtour auf die Dufourspitze zu beschreiben, erinnert sich Christian nach kurzem Überlegen an seine frühere Ausbildung zum Koch:
"Du kannst es mit einem guten Essen vergleichen. Es fängt langsam an, man ist gespannt. Und ein Höhepunkt nach dem anderen kommt. Und das Dessert ist oben der Spitz: Wenn du droben stehst und 360 Grad schauen kannst und nichts mehr im Wege steht. Wie eine schöne Dessert-Sinfonie."
Früh am nächsten Morgen, Viertel vor drei. Nach einer kurzen, schlaflosen Nacht auf einem Mattenlager mit rund 30 anderen, schultern wir den Rucksack, schalten die Stirnlampen ein und machen uns bei etwa fünf Grad plus an den Aufstieg.
Holprig geht es über Felsplatten und loses Gestein durch die Nacht. Ohne Christian würden wir gewiss kaum durch das unwegsame Gelände finden. Nach kleineren Schneefeldern erreichen wir anderthalb Stunden von der Hütte den Gletscher. Während einer kurzen Pause legen wir die Klettergurte an, ziehen Gamaschen über die Stiefel, befestigen die Steigeisen und seilen uns an. Die Luft ist spürbar kälter geworden. René ist bisher zufrieden:
"Ja, es ist nicht so schlecht. Gar nicht so übel, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich hoffe, es bleibt dabei."
Bald queren wir erste Spalten. Sie sind weitgehend bedeckt, aber im runden Schein der Stirnlampen wirkt die Auflage trügerisch. Wir straffen das Seil, sicher ist sicher. Plötzlich sinkt René ein, doch nur bis zum Knie - das Eis trägt ihn noch. Schon beim nächsten Schritt greifen die Stahlzacken unter seinen Stiefeln wieder in eine fest gefrorene Schneedecke. Die unangenehme Stelle wird ein Einzelfall bleiben. Stattdessen bietet sich uns ein Anblick von entrückender Schönheit. Still, geheimnisvoll glänzt das Licht des Halbmondes auf den unterschiedlichen Stufen und Eistürmen des riesigen Gletschers. Etwas voraus blinken die kleinen Lichter anderer Seilschaften auf. Die Eisflanken naher Berge taucht der Mond in kühlen Widerschein. Und über allem dehnt sich ein sternenklarer Himmel. René ringt um Worte:
"Ha, es ist - unglaublich schön. Es ist eine mystische Erfahrung. Kann ich nicht genug davon bekommen."
Während wir durch Schneetäler und über Anhöhen aufsteigen, zeigt sich allmählich im Osten das erste Leuchten des heraufziehenden Tages. Wie bizarre Schattenrisse zeichnen sich die Gipfel davor scharf ab. Als die Sonne sie übersteigt, lässt der Feuerball die weite Gebirgsarena in kräftigen Rot-, Orange- und Gelbtönen erglühen. Ein wahres Fest für die Augen, was uns den anstrengenden Aufstieg erleichtert.
In etwa 4000 Metern Höhe gelangen wir in weichen Schnee. Beinahe jeder Schritt gibt bei Belastung nach. Als laufe man eine Sanddüne hinauf; mühsam, kräftezehrend. Auch den Eispickel einzustechen bringt nichts, der Schnee ist zu locker. Soll das jetzt so bis zum Gipfel weitergehen? Doch Christian hält unbeirrt den Rhythmus bei, bis wir, buchstäblich aufatmend, doch wieder auf trittfesten Untergrund gelangen.
Und auf 4200 Metern stehen wir dann auf einem Sattel, an dem nun der anspruchsvollste Teil des Aufstiegs beginnt: Der Dufourgrat. René wirkt unruhig. Er habe irgendwie ein mulmiges Gefühl, sagt er, weil es ab jetzt sehr ausgesetzt weitergehen soll. Christian verkürzt das Sicherungsseil. "So", betont er, "ab jetzt bleibt das Mikrofon eingepackt". Da gibt es für ihn keine Diskussion:
"Am Berg bin ich der Chef und wer das nicht akzeptieren kann, der kann nicht mit einem Bergführer in die Berge gehen. Wir sind Spezialisten auf unserem Gebiet und die Leute vertrauen einem Spezialisten ihr Leben an. Die wollen einen guten Tag in der Natur und sicher zurück."
Die Temperatur liegt inzwischen deutlich unter dem Gefrierpunkt. Unterhalb des Kamms einer langgezogenen Schneeflanke stapfen wir aufwärts. Als wir die Höhe erreichen und vor uns schauen, ist klar: Die letzten 60 Minuten kommt es auf ganze Konzentration und unbedingte Trittsicherheit an. Fest umfasst die Hand den Eispickel. Direkt auf dem fußbreiten Kamm des beiderseits steil abfallenden Grates geht es weiter. Der Blick in die Tiefe ist atemberaubend.
Christian geht voraus, prüft die Schneeauflage, sichert das Seil, wann immer möglich, um einen Fels. Im ständigen Wechsel geht es hinauf und hinab, immer wieder klettern wir über oder um Felsblöcke, suchen mit den Zacken der Steigeisen Halt am Gestein.
Und plötzlich sind wir am Ziel. Auf einer Stelle, die gerade Platz für drei, vier Leute bietet, dreht sich Christian um, reicht uns die Hand: "Herzlichen Glückwunsch, ihr seid auf der Dufourspitze." Welches Erlebnis, welches Gefühl. Nach sechseinviertel Stunden und vollen 1800 Höhenmetern krönt ein traumhafter Rundblick vom zweithöchsten Berg der Alpen das erreichte Ziel. Im Morgendunst staffeln sich die Gebirgszüge des Piemont, erstreckt sich das schmale Band des Lago Maggiore. Ganz in der Morgensonne steht das 160 Meter niedrigere Matterhorn. In der Ferne thront der Mont Blanc. René ist glücklich:
"Es ist wunderbar. Aber ich habe, ich habe gedacht, es sei ein bisschen harmloser. Aber es war eine gute Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Aber es ist wirklich super. Unglaublich schön."
Bergführer Christian sieht die Sache freilich abgeklärt:
"Ihr habt euch geschlagen. Wobei jetzt, mit dem vielen Schnee, ist der Grat einfach gewesen. Wenn er weniger Schnee drin hat, ist er ein Stück schwerer zu klettern. Aber wir stehen auf dem Gipfel, alle zufrieden. Jetzt machen wir uns an den Abstieg."
So überlassen wir den Gipfel einer nachfolgenden Fünfer-Seilschaft, indem wir uns der Einfachheit halber über den nahen Silbersattel an Fixseilen auf den Gletscher abseilen. Zwanzig Minuten später stehen wir auf dem Gletscher, gut zweieinhalb Stunden darauf sind wir zurück an der Monte Rosa Hütte. Mit einem frisch gezapften Bier stoßen wir in der Mittagsonne auf das Ende eines schönen Abenteuers an.
Japan, Australien, den USA oder von der arabischen Halbinsel - der kleine schweizerische Bergort im Kanton Wallis ist ein Muss für Europareisende aus aller Herren Länder. Alle wollen den, wie viele meinen, schönsten Berg der Welt sehen: Das Matterhorn. Und sie entdecken: Der Berg liegt in einer einmaligen Naturkulisse vieler weiterer Viertausender. Und dieser Rahmen hat schon früher seine eigene Anziehungskraft ausgeübt. Sogar auf jenen Engländer, der bis heute für seinen Ausspruch "No sports!" - Nur keinen Sport! - bekannt ist, erzählt Peter Graf vom "Matterhorn Museum":
"Also, Winston Churchill kam vom Berner Oberland, überquerte den Gemmipass, kam nach Zermatt und sagte: Wo ist der höchste Berg? Natürlich ist es die Dufourspitze aus dem Monte Rosa Gebiet."
Es heißt, entscheidend für die Bergwahl des späteren britischen Premiers sei in Wahrheit ein entsetzter Blick auf die Preise der Bergführer gewesen:
"Monte Rosa 50 Franken, Matterhorn 100 Franken. Böse Zungen haben dann behauptet, er sei zu geizig gewesen, um das Matterhorn zu besteigen. Dem ist aber nicht so. Er hat effektiv gesagt: Wo ist der höchste Berg? Das ist die Dufourspitze."
1894 war das. Heute, mehr als ein Jahrhundert später, müsste Churchill deutlich tiefer in die Reisekasse greifen. 608 Franken, etwa 380 Euro, begleichen wir für die Buchung der Dufour-Hochtour im "Alpin Center Zermatt". Kosten für die Übernachtung in der Hütte und was sonst so anfällt nicht eingeschlossen.
Relaxt beginnen wir unsere Hochtour mit der Gornergratbahn. Die Fahrt erspart uns rund 1200 Höhenmeter zu Fuß - und Kraft, die wir noch gut brauchen werden. Der junge Churchill hat diese Annehmlichkeit nicht nutzen können, der berühmte Zug nahm seinen Betrieb erst vier Jahre später, 1898, auf.
Eine Haltestelle vor der Gipfelstation, auf etwa 2.800 Metern, steigen wir aus. Wir schultern den Rucksack, kehren dem Matterhorn im Westen den Rücken zu und machen uns auf den Weg hinab zum Gletscher.
Nach dessen Querung und insgesamt zweieinhalb Stunden später steht vor uns im milden Licht der späten Nachmittagssonne die Monte Rosa Hütte mit ihren roten Fensterläden. Auf der Terrasse treffen wir unseren Bergführer.
"Hallo, ich suche Christian Buchmann. Wo finde ich den?"
"Den haben Sie schon gefunden."
"Andreas Burman."
"Freut mich."
"So, geschafft."
"Geschafft."
Christian ist noch am Morgen mit einer Gruppe auf dem Pollux gewesen. Eine leichte Schneetour. Gleich danach ist er hierher gekommen. Wie er das kräftemäßig packt? Man sieht: Der 37-jährige ist durchtrainiert. Er sei praktisch rund ums Jahr im Einsatz, erklärt er, im Winter als Skilehrer und Skitouren-Guide. Hinzu kommen seine solide Ausbildung, Erfahrung, ein gutes Auge und Einsicht-Vermögen, wenn es einmal besser ist, den Aufstieg abzubrechen. Was er von seinen Gästen erwartet?
"Eine gute physische und psychische Kondition. Dass man auch einmal gewillt ist, etwas am Schmerz nahe zu sein, wenn man kalte Finger bekommt oder kalte Nasenspitze. So etwas muss man akzeptieren. Wir sind draußen in der Natur und die Natur kannst du nicht bezwingen, du kannst nur mit ihr gehen."
René Huber sitzt daneben und nickt. Der 43-jährige Schweizer ist für die Klettertour auf die Dufourspitze aus Hongkong angereist. Dort lebt und arbeitet er seit 14 Jahren für eine große Fluggesellschaft im Cockpit eines A 340 als Pilot. Ja, hoch hinaus und schnell müsse es gehen. Schon als Kind sei er mit seinen Eltern in den Bergen gewandert, sagt René:
"Na ja, ist eine Leidenschaft, aber ist eine Leidenschaft, die ich nur alle paar Jahre durchführen kann, leider. Also, ich wohne auf Meereshöhe, und ich bin auch nicht mehr der Jüngste, und dann muss ich mich darauf vorbereiten und das braucht relativ viel Zeit."
Die sich zu nehmen aber doch jedes Mal lohne. Das sieht auch unser Bergführer nicht anders. Um die Hochtour auf die Dufourspitze zu beschreiben, erinnert sich Christian nach kurzem Überlegen an seine frühere Ausbildung zum Koch:
"Du kannst es mit einem guten Essen vergleichen. Es fängt langsam an, man ist gespannt. Und ein Höhepunkt nach dem anderen kommt. Und das Dessert ist oben der Spitz: Wenn du droben stehst und 360 Grad schauen kannst und nichts mehr im Wege steht. Wie eine schöne Dessert-Sinfonie."
Früh am nächsten Morgen, Viertel vor drei. Nach einer kurzen, schlaflosen Nacht auf einem Mattenlager mit rund 30 anderen, schultern wir den Rucksack, schalten die Stirnlampen ein und machen uns bei etwa fünf Grad plus an den Aufstieg.
Holprig geht es über Felsplatten und loses Gestein durch die Nacht. Ohne Christian würden wir gewiss kaum durch das unwegsame Gelände finden. Nach kleineren Schneefeldern erreichen wir anderthalb Stunden von der Hütte den Gletscher. Während einer kurzen Pause legen wir die Klettergurte an, ziehen Gamaschen über die Stiefel, befestigen die Steigeisen und seilen uns an. Die Luft ist spürbar kälter geworden. René ist bisher zufrieden:
"Ja, es ist nicht so schlecht. Gar nicht so übel, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich hoffe, es bleibt dabei."
Bald queren wir erste Spalten. Sie sind weitgehend bedeckt, aber im runden Schein der Stirnlampen wirkt die Auflage trügerisch. Wir straffen das Seil, sicher ist sicher. Plötzlich sinkt René ein, doch nur bis zum Knie - das Eis trägt ihn noch. Schon beim nächsten Schritt greifen die Stahlzacken unter seinen Stiefeln wieder in eine fest gefrorene Schneedecke. Die unangenehme Stelle wird ein Einzelfall bleiben. Stattdessen bietet sich uns ein Anblick von entrückender Schönheit. Still, geheimnisvoll glänzt das Licht des Halbmondes auf den unterschiedlichen Stufen und Eistürmen des riesigen Gletschers. Etwas voraus blinken die kleinen Lichter anderer Seilschaften auf. Die Eisflanken naher Berge taucht der Mond in kühlen Widerschein. Und über allem dehnt sich ein sternenklarer Himmel. René ringt um Worte:
"Ha, es ist - unglaublich schön. Es ist eine mystische Erfahrung. Kann ich nicht genug davon bekommen."
Während wir durch Schneetäler und über Anhöhen aufsteigen, zeigt sich allmählich im Osten das erste Leuchten des heraufziehenden Tages. Wie bizarre Schattenrisse zeichnen sich die Gipfel davor scharf ab. Als die Sonne sie übersteigt, lässt der Feuerball die weite Gebirgsarena in kräftigen Rot-, Orange- und Gelbtönen erglühen. Ein wahres Fest für die Augen, was uns den anstrengenden Aufstieg erleichtert.
In etwa 4000 Metern Höhe gelangen wir in weichen Schnee. Beinahe jeder Schritt gibt bei Belastung nach. Als laufe man eine Sanddüne hinauf; mühsam, kräftezehrend. Auch den Eispickel einzustechen bringt nichts, der Schnee ist zu locker. Soll das jetzt so bis zum Gipfel weitergehen? Doch Christian hält unbeirrt den Rhythmus bei, bis wir, buchstäblich aufatmend, doch wieder auf trittfesten Untergrund gelangen.
Und auf 4200 Metern stehen wir dann auf einem Sattel, an dem nun der anspruchsvollste Teil des Aufstiegs beginnt: Der Dufourgrat. René wirkt unruhig. Er habe irgendwie ein mulmiges Gefühl, sagt er, weil es ab jetzt sehr ausgesetzt weitergehen soll. Christian verkürzt das Sicherungsseil. "So", betont er, "ab jetzt bleibt das Mikrofon eingepackt". Da gibt es für ihn keine Diskussion:
"Am Berg bin ich der Chef und wer das nicht akzeptieren kann, der kann nicht mit einem Bergführer in die Berge gehen. Wir sind Spezialisten auf unserem Gebiet und die Leute vertrauen einem Spezialisten ihr Leben an. Die wollen einen guten Tag in der Natur und sicher zurück."
Die Temperatur liegt inzwischen deutlich unter dem Gefrierpunkt. Unterhalb des Kamms einer langgezogenen Schneeflanke stapfen wir aufwärts. Als wir die Höhe erreichen und vor uns schauen, ist klar: Die letzten 60 Minuten kommt es auf ganze Konzentration und unbedingte Trittsicherheit an. Fest umfasst die Hand den Eispickel. Direkt auf dem fußbreiten Kamm des beiderseits steil abfallenden Grates geht es weiter. Der Blick in die Tiefe ist atemberaubend.
Christian geht voraus, prüft die Schneeauflage, sichert das Seil, wann immer möglich, um einen Fels. Im ständigen Wechsel geht es hinauf und hinab, immer wieder klettern wir über oder um Felsblöcke, suchen mit den Zacken der Steigeisen Halt am Gestein.
Und plötzlich sind wir am Ziel. Auf einer Stelle, die gerade Platz für drei, vier Leute bietet, dreht sich Christian um, reicht uns die Hand: "Herzlichen Glückwunsch, ihr seid auf der Dufourspitze." Welches Erlebnis, welches Gefühl. Nach sechseinviertel Stunden und vollen 1800 Höhenmetern krönt ein traumhafter Rundblick vom zweithöchsten Berg der Alpen das erreichte Ziel. Im Morgendunst staffeln sich die Gebirgszüge des Piemont, erstreckt sich das schmale Band des Lago Maggiore. Ganz in der Morgensonne steht das 160 Meter niedrigere Matterhorn. In der Ferne thront der Mont Blanc. René ist glücklich:
"Es ist wunderbar. Aber ich habe, ich habe gedacht, es sei ein bisschen harmloser. Aber es war eine gute Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Aber es ist wirklich super. Unglaublich schön."
Bergführer Christian sieht die Sache freilich abgeklärt:
"Ihr habt euch geschlagen. Wobei jetzt, mit dem vielen Schnee, ist der Grat einfach gewesen. Wenn er weniger Schnee drin hat, ist er ein Stück schwerer zu klettern. Aber wir stehen auf dem Gipfel, alle zufrieden. Jetzt machen wir uns an den Abstieg."
So überlassen wir den Gipfel einer nachfolgenden Fünfer-Seilschaft, indem wir uns der Einfachheit halber über den nahen Silbersattel an Fixseilen auf den Gletscher abseilen. Zwanzig Minuten später stehen wir auf dem Gletscher, gut zweieinhalb Stunden darauf sind wir zurück an der Monte Rosa Hütte. Mit einem frisch gezapften Bier stoßen wir in der Mittagsonne auf das Ende eines schönen Abenteuers an.