Samstag, 20. April 2024

Ukraine
Nach Dammbruch wächst die Sorge um betroffene Menschen - Erdogan schlägt Untersuchungskommission vor

Nach dem Dammbruch in der Ukraine hat Präsident Selenskyj der UNO und dem Roten Kreuz Versagen vorgeworfen. Sie seien nicht da, sagte Selenskyj im Interview mit mehreren Medien der Axel Springer Gruppe. Entsprechende Anfragen an die beiden Organisationen seien nicht oder wenn überhaupt diplomatisch beantwortet worden.

07.06.2023
    Ein Rettungshelfer trägt eine ältere Frau. Dahinter sind weitere Rettungskräfte und ein Schlauchboot zu sehen.
    Helfer retten Menschen im Überschwemmungsgebiet. (AP / Roman Hrytsyna)
    Anschuldigungen erhob Selenskyj zudem gegen russische Soldaten. Diese hätten ukrainische Rettungskräfte bei dem Versuch, Menschen zu retten, aus der Ferne beschossen. Nach der Zerstörung eines Staudamms im Süden der Ukraine bleibt die Lage in den Überschwemmungsgebieten kritisch. Nach russischen Angaben sind bis zu 40.000 Menschen im russisch besetzten Teil der Region Cherson betroffen. Die Ukraine hatte erklärt, dass auf der rechten Seite des Flusses Dnipro rund 17.000 Menschen ihre Häuser verlassen mussten.
    Der Damm war gestern Morgen gebrochen. Die Wassermassen überfluteten weite Teile im Süden des Landes. Kiew und der Westen bezichtigten russische Besatzungstruppen, den Damm gesprengt zu haben. Ziel sei es, die erwartete ukrainische Gegenoffensive aufzuhalten. Moskau hingegen machte Kiew für die Katastrophe verantwortlich. Die Ukraine betonte, die eigenen militärischen Pläne könnten trotzdem umgesetzt werden.

    International Rescue Committee warnt vor humanitärer Notlage

    Das International Rescue Committee (IRC) verurteilte den Angriff auf den Staudamm als "schwerwiegenden Verstoß" gegen das humanitäre Völkerrecht und zeigte sich besorgt um die betroffenen Menschen. Die schweren Überschwemmungen träfen die Zivilbevölkerung besonders hart, hieß es in einer Mitteilung der Hilfsorganisation. Im vergangenen Jahr hätten unzählige Menschen in der Region unter ständigem Beschuss gelebt, ohne ausreichenden Zugang zu Medikamenten oder Strom, so die Mitteilung weiter. Durch den Dammbruch seien Tausende Menschen in Gefahr, ihr Leben oder ihr Zuhause zu verlieren.

    UNO: Staudamm-Zerstörung vernichtet wichtiges Getreide

    Die Welternährungsorganisation (WFP) warnte vor verheerenden Konsequenzen für hungernde Menschen weltweit durch den Dammbruch. "Die massiven Überflutungen vernichten neu angepflanztes Getreide und damit auch die Hoffnung für 345 Millionen Hungerleidende auf der ganzen Welt, für die das Getreide aus der Ukraine lebensrettend ist", sagte der Leiter des Berliner WFP-Büros Frick der Deutschen Presse-Agentur. Das ukrainische Agrarministerium rechnet ersten Schätzungen zufolge mit der Überschwemmung von etwa 10.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche am nördlichen Ufer des Dnipro in der Region Cherson.

    Russischer Besatzungschef sieht taktischen Vorteil durch Hochwasser

    Der russische Besatzungschef im südukrainischen Gebiet Cherson, Saldo, bestätigte, dass die eigene Armee aus der Zerstörung des Staudamms einen militärischen Vorteil gezogen hat. "Aus militärischer Sicht hat sich die operativ-taktische Situation zugunsten der russischen Streitkräfte entwickelt", sagte Saldo im russischen Staatsfernsehen. Angesichts des um ein Vielfaches seiner eigentlichen Größe angeschwollenen Flusses Dnipro sagte Saldo: "Für unsere Streitkräfte öffnet sich jetzt ein Fenster: Wir werden sehen, wer und wie versuchen wird, die Wasseroberfläche zu überqueren."

    London: Ukrainischer Damm könnte weiter Schaden nehmen

    Britische Geheimdienste rechnen unterdessen mit weiteren Folgen. "Die Struktur des Damms wird sich in den nächsten Tagen voraussichtlich weiter verschlechtern, was zu weiteren Überschwemmungen führen wird", teilte das britische Verteidigungsministerium mit. Auf Fotos und Videos hat es den Anschein, dass ein Teil der Staumauer noch steht.

    Erdogan schlägt Untersuchungskommission vor

    Der türkische Präsident Erdogan hat sich für eine Kommission zur Untersuchung der Staudamm-Zerstörung ausgesprochen. Das teilte sein Präsidialamt nach Telefonaten mit Kremlchef Putin und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj mit. Eine solche Kommission könnte mit Experten der beiden Kriegsparteien sowie mit Vertretern der Türkei und der Vereinten Nationen besetzt sein und damit ein ähnliches Format haben wie das sogenannte Getreideabkommen.
    Diese Nachricht wurde am 07.06.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.