Archiv


Hodjas Traum

Hodja, ein kleiner Junge aus dem Orient, hat einen Traum: Er möchte die Welt sehen und so macht er sich allen Widerständen zum Trotz auf den Weg - mit einem fliegenden Teppich. Der dänische Kinderbuchautor Ole Lund Kirkegaard erzählt eine Parabel auf das Leben eines neugierigen kleinen Jungen, der in einem Milieu von Konvention und Ignoranz aufwächst.

Von Siggi Seuß |
    "Pjort ist ein Ort im Land Bulgislav, und in diesem Ort Pjort wohnte ein Junge, der Hodja hieß. Von ihm handelt dieses Buch. Von ihm - und dem roten Teppich."

    Sanft auf einem Teppich im Abendrot über der Landschaft schweben, unter sich die Stadt mit den weiß getünchten Häusern und den flachen Dächern, auf denen bisweilen Männer sitzen, schwatzen und Wasserpfeife rauchen, ein träger Fluss, der sich vorüberschlängelt, Lastkähne, die gemächlich dahingleiten, süße Düfte blühender Orangenbäume und der Lärm des Bazars dringen an unser Ohr.

    Es ist wie in einem Traum aus der Kindheit oder wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Nein, nicht ganz. Obwohl in der Geschichte des 1979 im Alter von nur 38 Jahren gestorbenen dänischen Volksschullehrers und Kinderbuchautors Ole Lund Kirkegaard auch Ängste und Nöte, Lug und Trug, Starrsinn und Dummheit ihren Platz haben, liegt nichts Schwermütiges, nicht Unerklärliches über dem Märchen von "Hodja im Orient". Selbst die Magie hält sich in Grenzen, denn um einen alten, roten, modrigen Teppich zum Fliegen zu bringen braucht es weder Geisterbeschwörung noch Zauberformel. Es braucht nur einen, dem kleinen Helden Hodja wohlgesonnenen uralten Teppichweber, es braucht einen sehnsüchtigen Wunsch - allerdings jenseits aller materieller Begierden - und es braucht zwei Worte:

    "Flieg, Teppich!"

    So wie der neunjährige Hodja könnten wir eigentlich alle mal angefangen haben, als wir - wie er - ohne Hintersinn aussprachen, was die Neugier junger Weltentdecker und Abenteurer schon immer reizte:

    "Ich will in die Welt hinaus und mich ein wenig umsehen."

    Und viele von uns werden sich sehr wohl an die Antwort der Großen erinnern, die vielleicht sogar ähnlich klang wie die von Hodjas Vater:

    "Papperlapapp. Wo hast du nur solchen Unsinn her? Nein, mein Sohn. Bleib du zu Haus in Pjort und werden Schneider. Dann hast du dein Schäfchen im Trockenen."

    Wenn dann noch gewitzte Nachfragen des Jungforschers kamen, wie etwa:

    "Was ist ein trockenes Schäfchen?"

    Dann gab es ein "hm" und ein "tjaaa" und letztendlich folgte der ultimative Bescheid:

    "Du wirst schon noch klüger werden."

    Auch wenn Kirkegaard das Märchen in einem fiktiven orientalischen Land spielen und den jungen Helden auf der Suche nach dem gestohlenen Teppich sogar in den Sultanspalast eindringen lässt, wenn Kirkegaard also die Geschichte weit, weit entfernt von unserem Alltag ansiedelt, wendet er sich als Erzähler sogleich beruhigend an den Leser:

    "Das klingt alles sehr seltsam. Aber lass dir gesagt sein, dass sich Leute aus Pjort, abgesehen von den Schnabelschuhen, den Schleiern und den Wasserpfeifen, in nichts von allen anderen Menschen der Welt unterscheiden."

    Insofern ist das kleine feine Märchen nichts anderes als eine Parabel auf das Leben eines neugierigen kleinen Jungen, der in einem Milieu von Konvention, Dummheit und Ignoranz aufwächst. Altväterlichem Getue und Schulbuchweisheiten begegnet Hodja mit freundlicher Gelassenheit. Nichts beeinflusst seinen Entschluss, sieht man von Mutters eisernem Urteil ab:

    "Du kommst mir nicht aus dem Haus, ehe du nicht gewaschen und gekämmt bist."

    Hodja möchte die Welt selbst erleben, denn, wie er und seine Mutter und ein paar wirklich weise Menschen wissen oder zumindest ahnen:

    "Es gibt nichts Größeres als die Welt."

    So klar, so freundlich und gewitzt Kirkegaards Erzählung daherkommt, so klar, freundlich und gewitzt fügen sich auch die Tuschzeichnungen des Autors, Karikaturen gleich, in die Geschichte. Kein Strich zuviel, keiner zuwenig. Das kann man auch der Übersetzung bescheinigen: Senta Kapoun trifft Kirkegaards leicht ironischen Ton - und lässt zudem ganz nebenbei längst verloren geglaubte Worte wie "Dreikäsehoch" und "Spinnefips" wiederaufleben.

    Der passende Rahmen für dieses Märchen? - Zweifelsohne die "Bücher mit dem blauen Band", die bibliophile Kinder- und Jugendbuchreihe des S. Fischer Verlags. In Hodjas Buch hat deshalb keine bleistiftgekritzelte Randnotiz Platz, geschweige denn ein Eselsohr. Aber fliegen kann man mit ihm.

    Ole Lund Kirkegaard: Hodja im Orient
    Aus dem Dänischen von Senta Kapoun Mit Bildern des Autors und einem Nachwort von Hanns Grössel S. Fischer Verlag, Frankfurt 2008, 138 Seiten, 14,90 Euro