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Hodler-Retrospektive in Genf
Profane Ikonenmalereien

Ferdinand Hodler gilt als der erste moderne Künstler der Schweiz von Weltrang. In Genf wird ihm jetzt eine Retrospektive gewidmet - Dlf-Kunstkritiker Carsten Probst hält die Ausstellung für eine "Mammutschau".

Von Carsten Probst | 18.04.2018
    Ferdinand Hodler in seinem Atelier (undatiert).
    Ferdinand Hodler in seinem Atelier (undatiert). (dpa - Bildarchiv / Ullstein)
    Mit seiner wahren Massenproduktion von Bildern zu Anfang des 20. Jahrhunderts prägte Hodler einen neuen Künstlertypus mit, der für die Moderne und die Postmoderne von großer Bedeutung sein sollte. In Genf, jener Stadt, in der Hodler 1918 im Alter von 65 Jahren starb, wird jetzt eine große Retrospektive seines Gesamtwerkes ausgerichtet.
    "Hodler hat an Hunderten, Tausenden von Ausstellungen teilgenommen. Er hat an allen Ausstellungen teilgenommen bis 1914", berichtet der Kunsthistoriker Oskar Bätschmann über den Künstler, dessen Werk rund 1600 Gemälde und 15000 Zeichnungen umfasst und das Bätschmann mit seinem Team vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaft für den Catalogue raisonné gesichtet hat – ein Mammutprojekt von zwanzig Jahren Forschungsarbeit, das im Mai dieses Jahr mit dem 5. und letzten Band abgeschlossen wird.
    Eigene Bilder immer wieder kopiert
    Hodlers Idol war Gustave Courbet, einer der führenden Symbolisten in Frankreich. Courbet war aber auch ein genialer Selbstvermarkter, ein Künstler neuen Typs, der seine Ausstellungen unabhängig von den Salons der Kunstakademien organisierte und dazu in der Presse für gezielte Skandale sorgte. Ein künstlerischer Selfmademan wie Courbet wollte Ferdinand Hodler werden und hat dafür seine eigenen Bilder schlichtweg immer wieder kopiert.
    Oskar Bätschmann beschreibt den Prozess so: "Das ist auch etwas, was dann Mühe bereitet und was man ihm auch vorgeworfen hat. Also, er hat auf Transparentpapier eine Pause gehabt, und die hat er übertragen, und dann hat er die Komposition und die Farben ein bisschen anders draufgeschmiert und so, also das muss man nicht unterschätzen. Diese Beschickung von Ausstellungen, die Bedienung von Sammlern, die Bedienung von Museen, das hat der professionell gemacht."
    Für Fälscher attraktives Werk
    Auch die große Retrospektive im Musée Rath ist angesichts der schieren Masse von Hodlers Bildproduktion unausweichlich eine Mammutschau. Sie orientiert sich an den verschiedenen Phasen Hodlers: zwischen frühen realistischen und symbolischen und späten, expressiven Arbeiten, die das Werkverzeichnis vorgibt. Von manchen Motiven wie dem "Holzfäller" oder Bergansichten von Thuner oder Genfer See existieren zweistellige Versionszahlen, was sein Werk schon zu Lebzeiten für Fälscher attraktiv machte.
    Laut Oskar Bätschmann gab es seit 1912 Klagen wegen Fälschungen: "Dann gab es in den zwanziger Jahren Prozesse. Wir wissen von Fälschungen, die in Dresden entstanden sind 1913/14; die in München entstanden sind in den zwanziger Jahren. Die aber haben nicht so gearbeitet. Die hatten nicht dieses Material, sonst wäre es besser gewesen..."
    Fasziniert vom Parallelismus
    Hodler entstammte einfachen Verhältnissen, seine leiblichen Eltern waren bereits früh an Tuberkulose gestorben. Als 12-Jähriger hatte er die Werkstatt seines Stiefvaters, eines alkoholkranken Dekorationsmalers übernehmen müssen, um die Familie zu ernähren. Die entscheidende Wende in seinem Leben ergab sich, als er mit 18 Jahren von Barthélemy Menn entdeckt wurde, dem bedeutendsten Landschaftsmaler der Schweiz, der fortan sein Lehrer werden sollte. Doch löste sich Hodler später von der traditionellen Landschaftsmalerei und verfocht eine kunstphilosophische Theorie, die seinerzeit unter verschiedenen Namen auch in anderen europäischen Ländern kursierte: den Parallelismus. Darin geht es um die unmittelbare Symmetrie von Innen- und Außenwelt, von Seele und Natur: Den überwältigenden inneren Eindruck einer Landschaft wiederholt der Künstler in seinen Bildern, erklärte Hodler in einem seiner öffentlichen Vorträge. Künstlerische Subjektivität verknüpfte er auf das Engste mit den Wirkungen der Natur und war somit auch gleichsam ein Spiegel der Naturgesetze.
    "Hodler hat das als Weltgesetz propagiert, Parallelismus", erklärt Oskar Bätschmann. "Da kann man natürlich sagen: Naja, also bitteschön, ein bisschen Symmetrie oder so ist ja noch kein Weltgesetz. Der Punkt ist, dass man das nur wirklich verstehen kann, wenn man die zeitgenössische Diskussion, die enorme Diskussion über den psychophysischen Parallelismus berücksichtigt. Und diese Leib-Seele-Problematik hat alle beschäftigt: Alle Psychologen, alle Philosophen - und den Hodler!" Für seinen Stil leitete Ferdinand Hodler aus dieser Lehre die moderne Forderung nach "klaren Formen, einfachster Darstellung und Wiederholung des Motivs" ab. Die Umsetzung dieser Prämissen lässt Hodlers Gemälde wie profane Ikonenmalereien wirken, in denen die Kunst ganz diesseitige Motive zu spirituellen Erfahrungen verklärt.